| # taz.de -- „Ende Gelände“ gegen RWE: Nacht im Gleisbett | |
| > Ein Wochenende Protest: AktivistInnen von „Ende Gelände“ blockieren einen | |
| > Bagger und Gleise im Braunkohlerevier bei Düren. | |
| Bild: Ende Gelände versteht seine Blockaden als Aktionen zivilen Ungehorsams | |
| Düren taz | Seit 18 Stunden blockiert Nike Mahlhaus die Gleise, gemeinsam | |
| mit etwa 2.000 anderen AktivistInnen. Am Sonntagmorgen um sieben kriecht | |
| sie aus ihrem Schlafsack. Sie sieht müde aus, hat Ringe unter den Augen. | |
| Dann schaut sie das Gleis hinunter, zu der Reihe von PolizistInnen. „Die | |
| armen Schweine“, sagt sie, „mussten uns die ganze Nacht beim Schlafen | |
| zusehen.“ Und obwohl „Gleisbett“ irgendwie kuschelig klingt, ist es hart, | |
| steinig und kalt, vier Grad. Trotzdem haben die AktivistInnen hier die | |
| Nacht verbracht. Warum machen die das? | |
| Das Gleis der Hambachbahn verbindet den Tagebau Hambach mit mehreren | |
| Kohlekraftwerken von RWE. Hier liegt der größte Braunkohletagebau Europas. | |
| Die AktivistInnen fordern den sofortigen Ausstieg aus der Kohlekraft. Das | |
| Aktionsbündnis „Ende Gelände“ hatte dazu aufgerufen, die Bagger im Tagebau | |
| zu blockieren und die Schienen zu besetzen. [1][Das Bündnis versteht seine | |
| Blockaden als Aktionen zivilen Ungehorsams.] Polizei und RWE sehen im | |
| Betreten von RWE-Betriebsgelände Hausfriedensbruch. | |
| Donnerstagabend, 40 Stunden bevor sie jubelnd auf das Gleis zurennt, packt | |
| Nike Mahlhaus in ihrer Wohngemeinschaft in Berlin einen Rucksack. | |
| Wanderschuhe, dicke Socken, eine Stirnlampe. Man könnte denken, die | |
| Studentin mit den kurzen Haaren und zurückhaltenden Gesten führe zum | |
| Wanderurlaub. Aber dann kommt noch etwas in den Rucksack: Sekundenkleber. | |
| Nike Mahlhaus will ihren richtigen Namen nicht nennen, weil sie juristische | |
| Konsequenzen fürchtet. Wenige Stunden später wird sie sich mit dem | |
| Sekundenkleber die Fingerkuppen verkleben, ihren Personalausweis lässt sie | |
| zurück. Sollten die AktivistInnen von der Polizei in Gewahrsam genommen | |
| werden, wollen sie ihren Namen nicht angeben. Das Kalkül: Wenn niemand | |
| seine Identität preisgibt, ist die Polizei überfordert, sie kann nicht alle | |
| Aktivisten festnehmen. | |
| Mahlhaus’ Vater hat Anfang der achtziger Jahre gegen den | |
| Nato-Doppelbeschluss demonstriert, „das mit den Atomraketen“. Da war | |
| Mahlhaus noch nicht geboren. Sie wuchs in Baden-Württemberg in einem grünen | |
| Haushalt ohne Auto auf. Politisch aktiv war sie lange nicht, das änderte | |
| sich erst vor einem Jahr, als sie mit FreundInnen zusammen zu einer Aktion | |
| von „Ende Gelände“ fuhr. Mahlhaus sagt, sie habe dort das erste Mal erlebt, | |
| dass man etwas tun kann, mit dem eigenen Körper. | |
| ## „Ende Gelände“ setzt viel voraus | |
| Am Freitagmorgen, kurz nach Mitternacht, ist Mahlhaus auf dem Weg zum | |
| Sonderzug der AktivistInnen. Der fährt von Prag über Dresden, Leipzig und | |
| Berlin ins Braunkohlerevier. Der Bahnsteig am Bahnhof Berlin-Südkreuz ist | |
| voll, hier wollen besonders viele Leute zusteigen. Auf dem Bahnsteig stehen | |
| vor allem junge Menschen zwischen 20 und 35 Jahren, wenige sind älter. | |
| Tatsächlich setzt die Aktion von „Ende Gelände“ viel voraus: Wer mitmachen | |
| will, braucht Kondition, rennt durch Polizeiketten, riskiert eine | |
| Strafanzeige. Das ist ein Grund, warum man vor allem junge Menschen sieht. | |
| Am Freitagmorgen, noch 24 Stunden bis zur Aktion, endet der Sonderzug im | |
| Bahnhof Düren im Braunkohlerevier. Er ist überfüllt, Mahlhaus hat wenig | |
| geschlafen. Die AktivistInnen wollen von hier aus zum Camp laufen, sich auf | |
| die Blockaden am Samstag vorbereiten. Doch so schnell geht es nicht. | |
| Hunderte PolizistInnen erwarten sie am Bahnhof Düren, haben den Vorplatz | |
| eingegittert und Dixiklos aufgestellt. Weil Straftaten angekündigt worden | |
| seien, will die Polizei die Identität aller rund 1.000 AktivistInnen | |
| feststellen, Taschen, Decken und Schlafsäcke kontrollieren, vor allem auf | |
| Seile und Kletterausrüstung. Doch Mahlhaus ist vorbereitet. Als sie zur | |
| Polizeikontrolle geht, spricht sie Englisch mit den Polizisten. Und der | |
| Scanner kann ihre Fingerabdrücke nicht lesen. Sie kann weiterziehen, ins | |
| Camp. | |
| Von hier aus starten die AktivistInnen am Samstagmorgen ihre Aktion. Das | |
| Aktionsbündnis Ende Gelände schätzt ihre Anzahl auf 6.500, die Polizei | |
| veröffentlicht keine Zahlen. Als die Menge gegen neun Uhr aufbricht, haben | |
| bereits 39 Aktivisten den Tagebau Hambach betreten, 18 von ihnen besetzen | |
| einen Bagger. Die Polizei räumt am Nachmittag und bringt alle in die | |
| Gefangenensammelstelle (Gesa) in Aachen – auch einen Journalisten, der über | |
| die Aktion berichtet hatte. Ermittelt wird wegen Hausfriedensbruch. | |
| Um Polizeisperren flexibler umlaufen zu können, haben sich die | |
| AktivistInnen in fünf Gruppen – sogenannten Fingern – organisiert. Nike | |
| Mahlhaus läuft im roten mit und trägt einen weißen Maleranzug. Überhaupt | |
| ist der Protest sehr gut organisiert: In den Fingern gibt es Mikrofone und | |
| Fahnen, um sich untereinander koordinieren zu können. Auch die Pressearbeit | |
| ist professioneller als bei manchem Unternehmen. Mahlhaus spricht ab, was | |
| sie erzählt. | |
| ## „Stromausfälle wird es nicht geben.“ | |
| An ihrer Verwurzelung im Braunkohlerevier muss die Bewegung allerdings noch | |
| arbeiten: Die meisten AktivistInnen sind aus Großstädten angereist. Eine | |
| Anwohnerin, die ReporterInnen mit dem Auto mitnimmt, macht zwar deutlich, | |
| dass sie mit dem Protest sympathisiere, doch die meisten AnwohnerInnen, mit | |
| denen die taz spricht, äußern sich kritisch über die Proteste. Ein Rentner | |
| steht in seiner Ausfahrt und beobachtet den Demonstrationszug mit | |
| verschränkten Armen. „Für ein paar Bäume“, sagt er, dafür habe er kein | |
| Verständnis. RWE habe doch so viele neue gepflanzt. | |
| Etwa 500 AktivistInnen, die als orangefarbener Finger mit Bussen vom Camp | |
| aufbrechen, kommen nahe heran an die Abbruchkante am Tagebau Inden. Bevor | |
| Verstärkung eintrifft, haben die BeamtInnen Mühe, die Menge festzusetzen. | |
| Unter Einsatz von Bodychecks, Pfefferspray und Schlagstöcken, verfolgen sie | |
| die AktivistInnen über Felder und kesseln die Menge schließlich ein. Etwa | |
| 250 nehmen sie in Gewahrsam. | |
| Die Strategie ist offenbar, gegenüber der Polizei den Anschein zu erwecken, | |
| das Ziel seien die Bagger in den Tagebauen. Doch vier der fünf Finger | |
| steuern die Gleise der Hambachbahn an. „Hast du schon dieses ‚Ende | |
| Gelände‘-Gefühl?“, fragt Mahlhaus einen Freund, der neben ihr läuft. | |
| „Meinst du Schiss?“, fragt der. „Nein, das andere!“ Dann rennen sie los, | |
| auf Polizeiketten zu, über die gesperrte Autobahn, an einem Wasserwerfer | |
| vorbei. Mahlhaus bekommt Pfefferspray ins Gesicht, aber sie erreicht die | |
| Gleise – und mit ihr schlussendlich etwa 2.000 andere. | |
| Am nächsten Morgen in ihrem Schlafsack sagt Nike Mahlhaus noch: „Ich will | |
| auf jeden Fall bleiben, bis das Kraftwerk gedrosselt ist.“ Ob das der Fall | |
| ist, ist gar nicht so einfach festzustellen. Ein RWE-Sprecher sagt der taz, | |
| man befürchte einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden. Ob es zu einer | |
| Drosselung komme, hänge davon ab, wie lange die Blockade andauere. | |
| „Stromausfälle wird es nicht geben.“ | |
| Am Sonntagvormittag, nach langer Nacht, entscheiden sich die meisten | |
| AktivistInnen, das Gleis gegen 11 Uhr zu verlassen. Unter ihnen ist auch | |
| Nike Mahlhaus. Sie laufen zurück zum Camp, am Abend erwartet sie der | |
| Sonderzug nach Berlin. Etwa 150 AktivistInnen bleiben sitzen, einige ketten | |
| sich fest oder entfernen Steine aus dem Gleisbett. Die Polizei räumt die | |
| Besetzung, unter anderem mit zwei Zügen von RWE, in die sie die | |
| AktivistInnen lädt. Am Sonntagnachmittag ist die Räumung beendet. | |
| 28 Oct 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Kersten Augustin | |
| Anett Selle | |
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