# taz.de -- Sexualisierte Gewalt bei Alten Meistern: Susanna und die beiden Alt… | |
> Die biblische Geschichte von Susanna handelt von sexueller Belästigung | |
> und Rufmord. Rembrandts Version wurde von einem Fan übermalt. | |
Bild: Die Geschichte Susannas wird im Buch Daniel erzählt – hier ein Ausschn… | |
Die junge Frau, die mit einem Bein bereits im klaren Wasser steht, wirft | |
uns einen Blick zu, aus dem Sorge, Angst und Verzweiflung sprechen. Ihr | |
nackter Körper lehnt sich nach vorne, ihre blasse Haut glüht unter einem | |
goldenen Lichtstrahl, der die rechte Seite dieses mittelgroßen Ölgemäldes | |
auf Tropenholz, Rembrandt van Rijns „Susanna und die beiden Alten“ aus dem | |
Jahr 1647, erleuchtet. | |
Susanna hat wohl gerade erst ihren opulenten Umhang abgelegt und ihre | |
Pantoffeln abgestellt. Beide sind in warmem Rot gemalt. Man meint, beinahe | |
die Wärme ihrer Füße fühlen zu können, die gerade erst aus den Pantoffeln | |
herausgeschlüpft sind. | |
Susanna ist dabei, ein Bad zu nehmen. Ihr Blick macht uns zu Zeugen, macht | |
sich doch ein elegant gekleideter Mann daran, ihr mit der linken Hand das | |
Tuch herunterzuziehen, das um ihre Hüften geschlungen ist, während er sein | |
Kinn auf seine Rechte stützt. In seinem Gesicht scheint man ablesen zu | |
können, was er da im Schilde führt. | |
Begleitet wird er von einem bärtigen Alten, der weniger detailreich gemalt | |
ist, doch auch sein verschlossenes Gesicht wird vom Licht erleuchtet. Beide | |
haben sich hinter ihr überraschtes und hilfloses Opfer auf der steinernen | |
Treppe zum Wasser geschlichen. | |
„Susanna und die beiden Alten“ war im Amsterdam des 17. Jahrhunderts ein | |
beliebtes Motiv. Die Geschichte wird im Buch Daniel erzählt und handelt von | |
der tugendhaften Frau eines wohlhabenden babylonischen Juden, die von zwei | |
Richtern erpresst wird, die Susanna nötigen, mit ihnen zu schlafen. Voller | |
Gottvertrauen weigert sie sich, worauf sie von den Richtern der Unzucht | |
bezichtigt wird. Sie wird zum Tod verurteilt, aber von Daniel gerettet. | |
## Mit schreckengeweiteten Augen | |
Rembrandt ließ sich für sein Bildnis der Geschichte Susannas von Pieter | |
Lastmans Gemälde aus dem Jahr 1614 inspirieren. Heute hängen beide Bilder | |
nebeneinander in der Gemäldegalerie. Die kompositorischen Ähnlichkeiten | |
sind offensichtlich, doch Lastmanns Gemälde folgt einer theatralischen | |
Choreografie in hoher Auflösung vor dem Hintergrund eines naturalistischen | |
Gartens. | |
Die Blicke scheinen in seinem Bild auf nichts und niemanden gerichtet zu | |
sein, während Rembrandts Susanna uns mit schreckengeweiteten Augen | |
ansieht. Ihre hoffnungslose Situation, einem männlichen Überfall | |
ausgeliefert zu zu sein, erzeugt Scham und Mitleid beim Betrachter. Die | |
Figur der Susanna ist wie ein Mensch aus Fleisch und Blut präsent. | |
Drei Anläufe brauchte Rembrandt, bis er sein Bild von Susanna im Jahr 1647 | |
fertigstellen konnte. Der mühsame Prozess des Malens hat sich | |
wahrscheinlich über einen Zeitraum von vielen Jahren hingezogen und war von | |
einem lebhaften Ideenaustausch in seinem Atelier begleitet. Um 1635 schuf | |
Rembrandt die erste Version seiner großformatigen „Susanna“, die er später | |
weiterentwickelte und noch zweimal veränderte. | |
Das Bild gilt als eines der Meisterwerke Rembrandts in der relativ großen | |
Rembrandt-Sammlung der Gemäldegalerie, der drittgrößten außerhalb der | |
Niederlande. Auf der heute zu sehenden Oberfläche dieses Bildes wird das | |
Licht in der linken Hälfte schwächer. Es wird umso stärker abgeblendet, je | |
weiter die Bildstelle von der Szene mit Susanna entfernt ist. Leicht | |
verwischt sind dort in braunen und grünen Tönen eine großzügige | |
Palastarchitektur und Vegetation zu sehen, die den Gartenteich umgibt. | |
## Licht und Schatten | |
Zwar sagte der Kunsthistoriker Adolf Rosenberg über das Bild anlässlich | |
seines Erwerbs durch die Berliner Gemäldegalerie im Jahr 1883, es sei | |
„ebenso sehr von jeder Beschädigung wie von jeder fremden Hand verschont | |
geblieben“, und doch hat man das Gefühl, dass irgendetwas an ihm nicht | |
stimmig ist. | |
Die Pastosität des Bilds ist beinahe greifbar, so wie man es von Rembrandt | |
kennt, jeder Pinselstrich erzählt etwas. Auch die Organisation des Lichts | |
scheint auf den ersten Blick typisch zu sein. Rembrandt bediente sich des | |
Chiaroscuro, der Hell-dunkel-Malerei, um Teile seiner Bilder zu betonen. Er | |
„beleuchtete“ sie, um dramatische Effekte hervorzurufen. | |
Diese Beleuchtung orientierte sich nicht notwendigerweise an einer | |
korrekten physischen Repräsentation. Im Lauf der Zeit lösten sich bei | |
Rembrandt Licht und Schatten vom Bild und dienten immer stärker der Malerei | |
als solcher. | |
Aber die plumpen Details auf „Susanna und die beiden Alten“ und die | |
überwältigend düsteren zwei Drittel des Bilds um die drei Figuren herum | |
vermitteln eher den Eindruck, dass das Gemälde in eine milchig-grüne Soße | |
getaucht worden sei. | |
## Sir Joshua Reynolds malte drüber | |
Es war eine sensationelle Entdeckung, die vor drei Jahren Katja Kleinert | |
und Claudia Laurenze-Landsberg von der Gemäldegalerie der Staatlichen | |
Museen zu Berlin bekannt machten, womit sie den Verdacht bestätigten, der | |
sich beim Betrachten einstellt: Wahrscheinlich war das Gemälde bereits im | |
Jahr seiner Fertigstellung verkauft worden. Im 18. Jahrhundert erwarb es | |
der bekannte englische Maler Sir Joshua Reynolds (1723 bis 1792). Weil das | |
Bild kurz danach von Richard Earlom auf einem Schabkunstblatt kopiert | |
wurde, ließ sich nachvollziehen, dass Reynolds große Teile des Bilds | |
entfernt und übermalt hat. Röntgen- und Pigmentuntersuchungen stützen | |
diesen schockierenden Befund. | |
Reynolds, der Gründer und erste Präsident der Royal Academy, besaß eine | |
beeindruckende Sammlung von Meistern aller bekannten Malschulen, darunter | |
27 Bilder von Rembrandt, aber auch Werke von Bellini, Tizian, Velázquez und | |
Rubens. Viele von ihnen „verbesserte“ er. | |
Das Team der Gemäldegalerie konnte in Zusammenarbeit mit dem Reynolds | |
Research Project im Fall der „Susanna“ zeigen, dass der neugierige und | |
experimentierfreudige Meister Reynolds die originalen Farbschichten extrem | |
tief penetrierte und teils zerstörte. Sein Drang, das Gemälde zu verbessern | |
und noch Rembrandt-hafter zu machen, ließ ihn zu einer dunkleren | |
Farbpalette greifen und einen viel diffuseren und groberen Hintergrund | |
malen, der ganze Teile des Rembrandt’schen Gartens eliminierte und durch | |
neue Details ersetzte. Zwei flüchtende Dienerinnen Susannas ließ Reynolds | |
vollständig verschwinden. | |
## Ein gemütliches Grinsen | |
Stereoskopaufnahmen zeigen mit feinem Pinsel sorgfältig gemalte Details des | |
von Rembrandt gemalten Gartens, aber auch in der Kleidung der Figuren, die | |
Reynolds komplett überschmierte. Vielleicht wollte er damit den Fokus noch | |
stärker auf die drei Figuren lenken. Selbst an das Gesicht des zweitens | |
Manns im Hintergrund legte Reynolds Hand an. Auf Richard Earloms Kopie | |
zeigt der bärtige Alte ein anzügliches Grinsen – und seine Zähne. Reynolds | |
verschloss den Mund des Manns und malte ihm ein gemütliches Grinsen ins | |
Gesicht. | |
Glücklicherweise hat Reynolds die Figur der Susanna fast unversehrt | |
gelassen. Vermutlich hat Rembrandts deutlich jüngere zweite Frau Hendrijeke | |
für Susanna Modell gestanden. Rembrandt war 41 Jahre alt, als er die Arbeit | |
an der „Susanna“ beendete, zwölf Jahre nach den ersten Skizzen zum Thema. | |
Vor Kurzem hat das Rijksmuseum in Amsterdam erklärt, ab Juli 2019 mehrere | |
Millionen Euro für die dann live im Netz gestreamte Restaurierung von | |
Rembrandts „Nachtwache“ ausgeben zu wollen, die neben „Las Meninas“ von | |
Velázquez zu den besten Gemälden der Welt gezählt wird. | |
Die „Nachtwache“ war vom Kapitän der Amsterdamer Bürgerwehr zur Zeit des | |
Achtzigjährigen Kriegs in Auftrag gegeben worden. Im Jahr 1715 wurde das | |
Bild auf allen Seiten beschnitten, damit es zwischen zwei Türen im zweiten | |
Stock im Nieuwe Stadhuis passte. | |
## Genial heißt nicht unverbesserbar | |
Das Restaurationsprojekt des Rijksmuseums macht deutlich, wie sich die | |
Vorstellung der Betrachtung von Kunst und die Betonung des Originalen seit | |
den Eingriffen von Reynolds geändert hat. Kunstwerke werden heute als | |
spektakuläre Attraktionen im Dienst des Tourismus und zugleich als beinahe | |
heilige Artefakte verstanden. | |
Reynolds dagegen hat, vielleicht im Geist seiner Zeit, Werke nicht in | |
erster Linie als originären Ausdruck der Genialität des Künstlers | |
verstanden, sondern als malerische Oberfläche, die verändert und verbessert | |
werden kann. | |
So destruktiv und voller Hybris Reynolds’ Eingriffe auch gewesen sein | |
mögen, richtet sich die Überidentifikation des Übermalenden weniger auf | |
den Maler Rembrandt als auf dessen Werk. Reynolds wollte Rembrandts Bild | |
perfektionieren, auf dass es noch rembrandtesker werde. | |
Reynolds Vorgehen ähnelt dem des Mannes, der an einem Tag im September 1975 | |
Rembrandts „Nachtwache“ mit einem Brotmesser aufschlitzte, sich dabei | |
eines Museumswärters erwehrte und anderen Besuchern zurief, er tue das für | |
Gott. Reynolds Wunsch, Rembrandt zu korrigieren, ist ein ähnlich perverser | |
Akt der Gewalt, eine Mitwirkung am Kunstwerk, die weit übers Ziel | |
hinausschießt. | |
30 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Tal Sterngast | |
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