# taz.de -- Sex, Lügen und ein Bild von Rembrandt: Die Verschwörung der Ma… | |
> Von einer Lüge, vom Akt des Verbergens und von der Malerei selbst erzählt | |
> uns Rembrandts Bild „Joseph und die Frau des Potiphar“. | |
Bild: Selten gemaltes Motiv: „Joseph und die Frau des Potiphar“ entstand im… | |
Von allen Seiten umfängt Dunkelheit die Protagonisten des mittelgroßen | |
Gemäldes von 1655, das „Joseph und die Frau des Potiphar“ betitelt ist. | |
Unsere Augen werden von Potiphars Frau angezogen, die auf einer Ecke ihres | |
Betts sitzt, von fühlbaren Farbschichten illuminiert. Mit einer Hand | |
berührt sie ihre Brust, die zum Teil von einer rötlichen, opulenten Robe | |
verhüllt wird. | |
Ihre andere Hand ist in Richtung des Betrachters außerhalb des Bildes | |
ausgestreckt und vollführt eine energische Geste, die zugleich einladend | |
und bedrohlich wirkt. Sie scheint eine Geschichte zu erzählen und eine | |
Gebärde der Verführung zu imitieren. | |
Aber weder die Frauenfigur in ihrem Gewand, in ihrer fleischlichen | |
Sinnlichkeit und mit ihrem absichtsvollem Ausdruck befindet sich im Zentrum | |
dieses Bilds, noch tun dies ihre leicht verwischten, dunklen Begleiter – | |
ihr Mann Potiphar mit verziertem Turban zu ihrer Linken und der sich | |
verbeugende Joseph zu ihrer Rechten, der seine scheinbar unvollendete | |
Handfläche dem Paar entgegenstreckt, als ob er Nein sagen wollte. | |
Potiphars gemachtes Bett, mit einem weißem Laken bedeckt, ein strahlend | |
schimmernder Farbfleck, der beinahe abstrakt erscheint, ist der | |
Kulminationspunkt dieses Dramas: Tatort eines Verbrechens, das nicht | |
begangen wurde. | |
## Sex, Lügen und ein Bild | |
Wie bei [1][Rembrandts Gemälde „Susanna und die beiden Alten“] aus dem Jahr | |
1647, das in der Gemäldegalerie an der gegenüber liegenden Wand hängt, wird | |
auch hier von einer Verleumdung, einer Verschwörung und einer Lüge über ein | |
sexuelles Ereignis erzählt, das nicht stattgefunden hat. In beiden Bildern | |
nimmt dieses Ereignis, um das sich die Darstellung dreht, die Form einer | |
Leerstelle an. | |
Ikonografisch betrachtet, ist die Szene, in der Potiphars Frau ihren Diener | |
Joseph zu verführen sucht, ein weit weniger populärer Topos als „Susanna“. | |
Als calvinistischer Bibelleser wählte Rembrandt in seiner Werkstatt | |
eigenwillig ausgefallene biblische Szenen, von denen einige nur selten | |
zuvor abgebildet worden waren, als Rahmen für einige seiner Bilder aus. | |
## Josephs Kittel | |
Die biblische Geschichte erzählt uns davon, wie die Frau eines wohlhabenden | |
Mannes (Potiphar) den hübschen hebräischen Diener zu verführen sucht, der | |
von seinen neidischen Brüdern verkauft worden war und dann in ihren | |
Haushalt aufgenommen wurde und Segen über das Haus brachte. | |
Als sie ihn zu zwingen versucht, sich zu ihr ins Bett zu legen, flieht er | |
nach draußen. Sie hat ihn in seine Kleider gegriffen, wie es in der Bibel | |
heißt, nun lässt er seinen Kittel in ihren Händen zurück. Er dient | |
Potiphars Frau nun als Beweis für das Ereignis, das nicht stattgefunden | |
hat. Als Potiphar nach Hause zurückkehrt, zeigt sie ihm Josephs Kittel und | |
beschuldigt Joseph, sie vergewaltigt zu haben. Joseph wird ins Gefängnis | |
geworfen. | |
## Die Scham wird zum Objekt des Bildes | |
Die Figuren der Susanna und der Frau Potiphars verkörpern Handlungen des | |
Ent- und Bekleidens. Susanna wird nackt vorgefunden, ihr Körper vor Scham | |
gebeugt. Die biblische Szene der Susanna im Bad wurde in der Malerei oft | |
als Gelegenheit betrachtet, eine bloßgestellte nackte Frauenfigur | |
darzustellen. | |
Rembrandt machte bei allen von ihm gemalten Variationen die entkleidete | |
Frau und die damit verbundene Scham zum Objekt des Bildes, also den | |
Betrachter zum Zeugen der Verlegenheit. Potiphars Frau dagegen zieht in | |
einer Umkehrung des Motivs den jungen Mann aus, der sich ihr entzieht. Auf | |
Rembrandts Bild ruhen ihre Füße auf seinem zerrissenen Kittel. | |
## Der Akt des Verbergens | |
Beide Frauen berühren sich auf beiden Bildern selbst. Potiphars Frau tut es | |
auf theatralische Weise und mit einem Ausdruck verletzten Stolzes. Diese | |
Berührung ist aber mehr als scheinheilig vorgespielte Entrüstung. Diese | |
Berührung scheint einen Kreis zu schließen, als ob sich in ihr das Gemälde | |
selbst berührt. | |
Halb angezogen, halb entblößt offenbart Potiphars Frau die Lüge und das | |
Geheimnis, den Akt des Verbergens, das Gemälde selbst. Was wir sehen, ist | |
das Erscheinen des Verbergens, das untrennbar zum Sichtbaren gehört. Ihre | |
Intrige ist die Verschwörung der Malerei. | |
## Tücher, Vorhänge, Schleier | |
Vielleicht sind deswegen viel seltener nackte Körper auf Rembrandts Bildern | |
zu sehen als etwa bei den vergleichbaren Malern Tizian oder Rubens. Seine | |
Bilder sind voller Kleider, sind fast aus ihnen gemacht, aus Tüchern, | |
Vorhängen, Schleiern und Roben, die ihre Protagonisten in opulente | |
Schichten von Fasern und Farbschichten einhüllen und den nackten Körper | |
verschleiern. | |
So werden die Körper der Männer und Frauen zu einer prekären Schöpfung, die | |
nie dauerhaft ist, als ob sich ein Vorhang hebt und wieder fällt. Mit der | |
Leinwand alliiert, auf die sie gemalt wurden, werden die Figuren und | |
Objekte auf Rembrandts Gemälden vor einer anatomischen, optischen | |
Beschreibbarkeit geschützt, deren Gewalt Rembrandt in seinem Bild „Die | |
Anatomie des Dr. Tulp“ betont. | |
Dort zeigt er uns das wissenschaftliche Sezieren als Vorgang, in dem die | |
Vorstellung des Leibs zugunsten eines toten Körpers aufgegeben wird, im | |
Dienst der cartesianischen Trennung von Körper und Geist. | |
## Die Malerei gegen das Bild wenden | |
Rembrandts aufgeladener Pinselstrich wendet die Malerei gegen das Bild, | |
das ist sein radikaler Schritt. Er überträgt die Anziehungskraft des | |
Gemäldes, seine Erfahrung aus der geometrischen Reproduktion eines | |
illusorischen Raums gemäß den perspektivischen Regeln der Renaissance auf | |
die Oberfläche des Gemäldes. | |
Das ist der Grund, warum fast jeder moderne Maler (Turner, Delacroix, van | |
Gogh, aber auch von Chaim Soutine bis Frank Auerbach und vielleicht sogar | |
Bacon) „sich selbst für Rembrandt hielt“, wie Picasso seiner Liebhaberin | |
Françoise Gilot sagte. Das war der Beginn der modernen Malerei. | |
## Die Farbe ist jünger als das Bild | |
Die dichte Dunkelheit des Gemäldes verschluckt den Baldachin des Betts und | |
ungefähr zwei Drittel der Oberfläche des Bildes, auf dem nur sporadisch | |
glitzernde Spuren von goldenen Gewändern und Ornamenten aus Metall | |
aufscheinen. Diese sind mit dicken Pinselstrichen gemalt, die beinahe | |
absichtlich den Pinselstrich als solchen hervorheben. | |
Innerhalb des dunklen Raums wurden Pigmente gefunden, die als Preußischblau | |
identifiziert wurden, das erste moderne synthetische Pigment. Es bleicht | |
nicht aus und wurde bald zu einem populären und ökonomischen Ersatz für die | |
teuren blauen Pigmente, die Maler bis dahin benutzt hatten, etwa das | |
Ultramarin, das aus dem wertvollen Lapislazuli gewonnen wird. Preußischblau | |
wurde jedoch, erst 50 Jahre nachdem Rembrandt sein Bild signierte und 37 | |
Jahre nach seinem Tod in Berlin synthetisiert. | |
## Übermalt und retouchiert | |
In der Tat beweist die forensische anatomische Untersuchung des Bilds, die | |
sich bis heute fortsetzt, eine massive Restaurierung, der das Gemälde um | |
1830 unterzogen worden sein muss. Noch hat das Berliner Forscherteam kein | |
abschließendes Urteil abgegeben. Viele Details sprechen von vielfachen | |
Übermalungen und Retouchen. | |
Auch die Figuren von Potiphar und Joseph erscheinen als untypisch für | |
Rembrandt. Es könnte sein, dass sie von Miniaturen aus Indien beeinflusst | |
sind, die Rembrandt gesehen und möglicherweise benutzt hat, um seine | |
Figuren mit orientalischen Attributen zu versehen. | |
## Später nannte man sie Suleika | |
War sich Rembrandt der orientalischen Umgestaltungen dieser Geschichte | |
bewusst? In der Bibel trägt Potiphars Frau keinen Namen, im Koran und in | |
nachfolgenden persischen und indischen Traditionen erscheint sie als | |
Suleika. Das Begehren, das Josef/Yusuf in ihr hervorruft, wird in diesen | |
Traditionen als Leidenschaft für göttliche Schönheit dargestellt, es dient | |
nicht der protestantischen Hervorhebung der Sünde der Verleumdung, der | |
bösen Potenziale weiblicher Sexualität und der Tugend der Enthaltsamkeit. | |
All diese Umstände und offenen Fragen verkomplizieren die Faszination des | |
Bilds. Wie stark ist das, was wir auf ihm sehen, durch unsere Projektionen | |
bestimmt? Die Urheberschaft vieler traditionell Rembrandt Harmensz. van | |
Rijn zugeschriebener Werke wurde seit Beginn des 20. Jahrhundert infrage | |
gestellt. Von einst etwa 1.000 Bildern gelten heute noch gut die Hälfte als | |
Werke Rembrandts. Unmöglich, zwischen individueller Genialität und den | |
Effekten von Individualität zu entscheiden. | |
13 Jan 2019 | |
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[1] /Sexualisierte-Gewalt-bei-Alten-Meistern/!5543369/ | |
## AUTOREN | |
Tal Sterngast | |
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