| # taz.de -- Gaulands Text in der „FAZ“: Zwei Volksschützer | |
| > Hat Alexander Gauland in einem Gastbeitrag für die „FAZ“ eine Hitler-Rede | |
| > zitiert? Möglicherweise nicht. Aber das macht die Sache keineswegs | |
| > besser. | |
| Bild: Gruselig, aber noch kein Hitler: Alexander Gauland | |
| Am 10. November 1933 stand die NS-Herrschaft noch an ihrem Anfang. Schon | |
| war der Reichstag entmachtet und alle politischen Parteien außer der NSDAP | |
| verboten worden. Tausende Regimegegner saßen in Konzentrationslagern ein. | |
| Der aggressiv-antisemitische Charakter des neuen Staates hatte sich vier | |
| Monate zuvor beim „Boykotttag“ gegen die Juden ungeschminkt gezeigt. | |
| Aber das NS-Regime war noch nicht der allumfassende Mörderstaat, der | |
| Millionen Juden planmäßig vernichtete und die ganze Welt in den Krieg zog. | |
| An diesem 10. November 1933 hielt Adolf Hitler vor Siemens-Arbeitern in | |
| Berlin eine Rede, die in diesen Tagen eine bemerkenswerte Aktualität | |
| gewonnen hat. Er sagte dort laut Abschrift des Bundesarchivs: | |
| „Es ist ein kleine wurzellose internationale Clique, die die Völker | |
| gegeneinander hetzt, die nicht will, daß sie zur Ruhe kommen. Es sind das | |
| die Menschen, die überall und nirgends zuhause sind, sondern die heute in | |
| Berlin leben, morgen genauso in Brüssel sein können, übermorgen in Paris | |
| und dann wieder in Prag oder Wien oder in London, und die sich überall zu | |
| Hause fühlen.“ (Zuruf aus dem Publikum: „Juden!“) „Es sind die einzige… | |
| die wirklich als internationale Elemente anzusprechen sind, weil sie | |
| überall ihre Geschäfte betätigen können, aber das Volk kann ihnen gar nicht | |
| nachfolgen, das Volk ist ja gekettet an seinen Boden, ist gekettet an seine | |
| Heimat, ist gebunden an die Lebensmöglichkeiten seines Staates, der Nation. | |
| Das Volk kann ihnen nicht nachgehen.“ | |
| ## Die Analogien sind auffällig | |
| 85 Jahre später verfasst der AfD-Bundesvorsitzende und Fraktionschef im | |
| Deutschen Bundestag, Alexander Gauland, [1][einen Gastbeitrag für die | |
| Frankfurter Allgemeine]. Die Kernsätze seines Textes lauten: | |
| „Diese globalisierte Klasse sitzt in den international agierenden | |
| Unternehmen, in Organisationen wie der UN, in den Medien, Start-ups, | |
| Universitäten, NGOs, Stiftungen, in den Parteien und ihren Apparaten, und | |
| weil sie die Informationen kontrolliert, gibt sie kulturell und politisch | |
| den Takt vor. Ihre Mitglieder leben fast ausschließlich in Großstädten, | |
| sprechen fließend Englisch, und wenn sie zum Jobwechsel von Berlin nach | |
| London oder Singapur ziehen, finden sie überall ähnliche Appartements, | |
| Häuser, Restaurants, Geschäfte und Privatschulen. Dieses Milieu bleibt | |
| sozial unter sich, ist aber kulturell ‚bunt‘. (…) | |
| Der globalistischen Klasse gegenüber stehen zwei heterogene Gruppen, die in | |
| der AfD eine Allianz eingegangen sind: zum einen die bürgerliche | |
| Mittelschicht, zu der auch der wirtschaftliche Mittelstand gehört, der | |
| nicht einfach seine Unternehmen nach Indien verlagern kann, um dort | |
| besonders billig zu produzieren; zum anderen viele sogenannte einfache | |
| Menschen, deren Jobs oft miserabel bezahlt werden oder nicht mehr | |
| existieren, die ein Leben lang den Buckel krumm gemacht haben und heute von | |
| einer schäbigen Rente leben müssen.“ | |
| Nein, es ist kein Plagiat, was Gauland hier aufgeschrieben hat. Aber die | |
| Analogien sind auffällig. Beide Autoren konstruieren Gesellschaften so um, | |
| wie es ihren politischen Ambitionen entspricht. Weder bei Hitler noch bei | |
| Gauland existieren Gesellschaftsklassen oder Schichten. Die Welt ist nicht | |
| zwischen oben und unten gespalten, nicht zwischen Besitzenden und | |
| Besitzlosen. Vielmehr wird eine Gruppe von Landfremden eingeführt, derer es | |
| sich zu erwehren gilt. Diese Kosmopoliten, die „nirgends zu Hause sind, | |
| sondern die heute in Berlin leben, morgen genauso in Brüssel sein können“ | |
| (Hitler) beziehungsweise die „fast ausschließlich in Großstädten [leben], | |
| fließend Englisch sprechen, und zum Jobwechsel von Berlin nach London oder | |
| Singapur ziehen“, werden zur eigentlichen Bedrohung für das schützenswerte | |
| Volk erklärt. Einem Volk, das „gekettet an seinen Boden [ist], gekettet an | |
| seine Heimat“ (Hitler) oder wahlweise ein Leben lang den Buckel krumm | |
| gemacht [hat] und heute von einer schäbigen Rente leben“ muss (Gauland). | |
| ## Die Demokratie dekonstruieren beide | |
| So entsteht ein Gegensatzpaar zwischen dem beschützenswerten und verratenen | |
| Heimatlichen einerseits und den herumreisenden Volksfremden auf der anderen | |
| Seite. | |
| Hitler verweist in seiner Rede an keiner Stelle auf die jüdische Minderheit | |
| als vermeintlichen Träger des Kosmopolitischen, die Zuhörer interpretieren | |
| seine Worte aber schon von selbst genauso: „Juden“, so lautet der | |
| Zwischenruf in seiner Rede. Auch Gauland benennt seine als „Weltbürger“ | |
| apostrophierten Gegner nicht näher, und es wäre eine bösartige | |
| Unterstellung anzunehmen, er habe dabei an Juden gedacht. | |
| Gaulands Rechtfertigung, er kenne die Hitler-Rede vom 10. November 1933 | |
| überhaupt nicht, lässt sich nicht überprüfen, aber sie kann durchaus der | |
| Wahrheit entsprechen. Aber das macht die Angelegenheit keineswegs | |
| erträglicher. | |
| Denn seine Konstruktion des nicht überbrückbaren Gegensatzes zwischen einer | |
| „globalistischen Klasse“ einerseits und dem Mittelstand und den Armen | |
| andererseits dekonstruiert die Demokratie ebenso wie Hitlers Schmähungen. | |
| Sie hebt die Gegensätze zwischen links und rechts scheinbar auf und setzt | |
| ihr das Bild von Geknechteten entgegen, die sich des Bösen erwehren müssen, | |
| das, kaum fassbar und privilegiert, zwischen Weltstädten hin und her | |
| jettet. | |
| ## Wer würde heute schon Adolf Hitler wählen? | |
| Wie aber sollte sich die Bevölkerung gegen eine solche globale Bedrohung | |
| anders wehren als mit einer reaktionären Revolution, einem Umsturz also, | |
| der diese Elite hinwegfegt? Die Möglichkeiten der Demokratie erscheinen bei | |
| diesem übermächtigen Gegner jedenfalls völlig unzureichend. | |
| 1933 ging es Adolf Hitler darum, den Siemens-Arbeitern ein neues Feindbild | |
| zu präsentieren. Als Ersatz für den Klassenkampf, den zu führen eine | |
| Inhaftierung im KZ nach sich bringen konnte, empfahl er, sich auf einen | |
| neuen Feind zu konzentrieren, den zu nennen er gar nicht nötig hatte. | |
| 2018 braucht Alexander Gauland keine Juden als Feindbild. Der Klassenkampf | |
| ist ohnehin out. Seine „globalistische Klasse“ hat sich überall auf der | |
| Welt eingenistet und macht dabei fette Beute. Hakennasen für ihre | |
| Charakterisierung sind da gänzlich überflüssig. | |
| Die AfD ist keine Nazi-Partei, und Alexander Gauland ist schon gar nicht | |
| ein Adolf Hitler. Solche Vergleiche entsprächen nicht nur einer | |
| Banalisierung der NS-Herrschaft und des Holocaust. Sie sind auch schlicht | |
| falsch. Weder plant die AfD eine „Machtergreifung“, noch will sie alle | |
| anderen Parteien verbieten oder Konzentrationslager einrichten. | |
| Aber ja, diese Partei will eine andere Gesellschaft und einen anderen | |
| Staat. Ihre ideologische Grundausstattung ähnelt in vielen Bereichen | |
| völkischen Versatzstücken aus den Tagen der NSDAP. Das aber macht die | |
| Angelegenheit umso gefährlicher – denn wer würde heutzutage schon einen | |
| Adolf Hitler wählen? | |
| Das Wort „Demokratie“ fällt übrigens in keinem der besprochenen Texte. | |
| 10 Oct 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
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