| # taz.de -- Debatte Lampedusa-Unglück: Schlimmer als vor der Katastrophe | |
| > Vor fünf Jahren ertranken 368 Menschen im Mittelmeer. Danach wurde die | |
| > italienische Rettungspolitik humaner – geblieben ist davon leider wenig. | |
| Bild: Bootsflüchtlinge vor der libyschen Küste, August 2018 | |
| Nur wenige hundert Meter waren sie von der rettenden Küste Lampedusas | |
| entfernt, doch es half ihnen nicht: 368 Menschen – die meisten von ihnen | |
| Eritreer – [1][ertranken im Morgengrauen des 3. Oktober 2013], als ihr von | |
| Libyen aus in See gestochenes Schiff kenterte. Die Katastrophe wurde zum | |
| Fanal für Italien, ja für Europa. Sie richtete den Blick auf das | |
| tagtägliche Flüchtlingsdrama, das sich im Mittelmeer abspielte und | |
| weiterhin abspielt. Endlich, so dachte man damals. | |
| Medienteams aus aller Welt trafen seinerzeit auf Lampedusa ein. Voller | |
| Betroffenheit berichteten sie, ließen die Angehörigen der Toten, die Retter | |
| und die Helfer zu Wort kommen. Mit einem Mal verwandelten sich Zahlen in | |
| Schicksale. Durch die TV-Schaltungen und Artikel waren Flüchtlinge und | |
| Migranten mit einem Schlag nicht mehr anonym. | |
| Es war eine Wende in der Wahrnehmung, die auch eine Änderung in der Politik | |
| einleitete. Nur wenige Tage später, am 11. Oktober 2013, ging zwischen | |
| Malta und Sizilien ein weiteres Schiff unter. Mehr als 250 syrische | |
| Flüchtlinge bezahlten mit dem Leben, dass Malta und Italien sich | |
| gegenseitig stundenlang die Verantwortung für den Rettungseinsatz | |
| zugeschoben hatten. | |
| Doch danach wachte wenigstens Italiens Politik auf. Der damalige | |
| Ministerpräsident Enrico Letta ordnete – im Namen der Humanität – die | |
| Mission „Mare Nostrum“ an. Seitdem waren die Schiffe der Küstenwache, der | |
| Marine und der Finanzpolizei mit dem Auftrag unterwegs, Menschenleben zu | |
| retten und weitere Katastrophen zu verhindern. Die Abschottung Europas | |
| stand nicht mehr im Mittelpunkt. | |
| ## Nur eine Episode | |
| Und die EU zog nach, wenn auch halbherzig. Mit der Mission EuNavforMed | |
| übernahm sie ein Jahr später offiziell zwar vor allem den Kampf gegen | |
| Schleuser, faktisch aber retteten europäische Marineschiffe tausende | |
| Menschen vor der Küste Libyens, gemeinsam mit italienischen Einheiten sowie | |
| zahlreichen NGO-Schiffen. Und alle konnten bei ihren Einsätzen auf die | |
| Koordinierung der italienischen Küstenwache zählen. | |
| Doch was als Umkehr in der Flüchtlingspolitik erschien, sollte sich als | |
| bloße Episode entpuppen. „Nie wieder eine Tragödie wie die von Lampedusa“, | |
| tönte noch Matteo Renzi, nachdem er im Februar 2014 die Regierungsgeschäfte | |
| in Rom übernommen hatte. Doch es war dann Renzi selbst, der den Kurswechsel | |
| zurück zur Politik der Abschottung vollzog. Renzi schloss mit Libyens | |
| Regierung sowie diversen Warlords gegen Millionen-Zahlungen Verträge, damit | |
| die Flüchtlinge nicht mehr in See stechen oder aber von der libyschen | |
| Küstenwache abgefangen werden. | |
| Italiens neue Regierung aus Fünf Sternen und Lega hat diesen Kurs weiter | |
| radikalisiert – auch wenn sie ihn nicht erfunden hat. Italiens Häfen sind | |
| mittlerweile für Schiffe mit Migranten an Bord geschlossen, die NGOs wurden | |
| aus dem Feld gedrängt, die Küstenwache weigert sich, überhaupt noch | |
| Rettungseinsätze zu koordinieren. Das ist nicht bloß ein Zurück zu den | |
| Zeiten vor der Tragödie von Lampedusa, es ist weit mehr: Innenminister | |
| Matteo Salvini meint es ernst mit seinem Totalstopp für Flüchtlinge und | |
| Migranten, er will die „australische Lösung“. | |
| Und die EU? Die mag [2][sich aufregen über die Haushaltspläne der | |
| italienischen Regierung], doch gegenüber ihrer Politik der Totalabschottung | |
| lässt sie Einwände nicht laut werden. Man toleriert, dass das Todesrisiko | |
| im Mittelmeer dramatisch gestiegen ist, und dass von der libyschen | |
| Küstenwache aufgegriffene Flüchtlinge in Lager zurückgebracht werden, in | |
| denen Folter auf der Tagesordnung steht. Das ist die Realität – fünf Jahre | |
| nach Lampedusa. | |
| 3 Oct 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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