# taz.de -- Dorf auf dem Truppenübungsplatz Bergen: Zivilisten im Militärgebi… | |
> Ostenholz liegt auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Bergen. | |
> Einheimische und Auswärtige streiten, ob das nun ein Vor- oder Nachteil | |
> ist. | |
Bild: Können herrlich über die Bundeswehr streiten: Sigrid Ahlert und Seeben … | |
Ostenholz taz | Die Eicheln, die auf dem grau gepflasterten Fußweg liegen, | |
knacken unter seinen Sohlen. Sonst ist nicht viel zu hören. „Das ist der | |
Lärm, über den die Auswärtigen sagen, dass wir darunter leiden“, sagt | |
Seeben Arjes in die Stille hinein. Ein spöttisches Grinsen breitet sich | |
dabei in seinem bärtigen Gesicht aus. „Wir Einheimischen glauben das nur | |
nicht so richtig.“ | |
Der 77-Jährige blickt in die Richtung, in der hinter einigen | |
Fachwerkhäusern und großen Eichen die Panzerschießbahnen des | |
Nato-Truppenübungsplatzes Bergen verborgen liegen. Wenn Soldaten dort das | |
Schießen üben, ist das in Ostenholz, dem niedersächsischen Dorf, in dem er | |
lebt, gut zu hören – bei Tag und in der Nacht. Denn der 214-Seelen-Ort | |
liegt auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes, der vor allem von der | |
Bundeswehr, aber auch von Niederländern oder Kanadiern genutzt wird. | |
„Die Einheimischen haben kein Problem damit. Keiner“, sagt Arjes, der 19 | |
Jahre lang als Förster auf dem Militärgelände gearbeitet hat. Er könne am | |
nächsten Morgen nie sagen, ob die Bundeswehr geschossen habe. „Wenn jemand | |
an einem Bahnhof lebt, weiß er auch nicht, ob ein Zug rangiert wurde“, sagt | |
er. „Man schläft weiter.“ Diejenigen, die ein Problem daraus machten, dass | |
die Bundeswehr ihr direkter Nachbar sei, seien Leute von außen. | |
Eine von diesen Auswärtigen geht neben ihm und hält die strubbelige | |
Pflegehündin Lotte an der Leine. Sigrid Ahlert lebt im wenige Kilometer | |
entfernten Neumühlen an der Böhme. Sie würde die Bundeswehr gern mit all | |
ihren Panzern und Raketen, Soldaten und Kasernen aus der Region verbannen. | |
Nicht nur wegen der Maschinengewehrsalven, die sie auch bei sich noch hören | |
könne, und der Laser, die nachts üben den Himmel streiften. „Es stört mich, | |
dass hier bei uns in der Region Krieg vorbereitet wird“, sagt sie. „Hier | |
wird ein wunderschönes Gebiet für militärische Zwecke missbraucht.“ | |
Die 69-Jährige und Seeben Arjes sind eng befreundet, beide sind | |
Naturschützer. Aber beim Thema Bundeswehr werden sie sich nicht einig. „Wir | |
streiten uns hervorragend“, sagt Ahlert und lacht. | |
Im Jahr 2013, nachdem bekannt wurde, dass die Engländer ihre Soldaten aus | |
der Region rund um Bad Fallingbostel abziehen würden, hat Sigrid Ahlert mit | |
einigen Mitstreitern die [1][Bürgerinitiative Biosphärengebiet Hohe | |
Heidmark] gegründet. Heute hat der Verein fast 70 Mitglieder. Ihre Vision: | |
Der Truppenübungsplatz soll komplett in die zivile Nutzung übergehen, alle | |
Blindgänger und Munitionsreste geräumt werden und ein Biosphärengebiet | |
daraus entstehen – auf rund 280 Quadratkilometern. | |
Zum Vergleich: Die Stadt Hannover hat eine Fläche von 204 | |
Quadratkilometern. Das Areal ist riesig. Ahlert wünscht sich ein | |
Kerngebiet, in dem der Mensch nicht in die Natur eingreift. Es könne hier | |
sanften Tourismus geben: geführte Wanderungen und Fahrradtouren auf festen | |
Wegen. Darum herum eine Pflegezone, in der ökologische Landwirtschaft | |
betrieben werden könnte und im äußeren Kreis eine Entwicklungszone, in der | |
Ortschaften wie Bad Fallingbostel, Bergen oder Walsrode liegen. „Die würden | |
davon profitieren“, sagt Ahlert. | |
## Es stört das Wild nicht, wenn es knallt und kracht | |
Seeben Arjes schüttelt bei den Worten „sanfter Tourismus“ mit dem Kopf. | |
„Das ist irreal“, sagt er. „Wo es Tourismus gibt, gibt es keine Natur | |
mehr.“ Die große Artenvielfalt auf dem Truppenübungsplatz gebe es nur | |
deshalb, weil das Militär dafür sorge, dass der Mensch als Störfaktor | |
draußen bleibe. Dass es auf dem Gelände manchmal knalle, störe die Tiere | |
hingegen überhaupt nicht. „Mitten auf der Schießbahn steht ein Rudel | |
Rotwild und brunftet. Die nehmen das nicht als Gefahr wahr, weil sie schon | |
unter Kanonendonner geboren wurden. Die kennen das nicht anders.“ | |
Deshalb sei der Truppenübungsplatz für die Natur besser als ein | |
Biosphärengebiet, sagt Arjes und fängt sich einen skeptischen Blick von | |
Ahlert ein. „An was für Tourismus denkst du denn?“, fragt sie. „Den | |
Heidepark?“ | |
„Du brauchst ja nur zu gucken, wer da alles kommt, wenn der Übungsplatz mal | |
für ein Wochenende freigegeben ist“, antwortet Arjes. „Schon am Sonnabend | |
stehen die Leuten da und wollen grillen!“ Er sieht ehrlich empört aus. | |
Dem 77-Jährigen geht es aber auch ums Prinzip: „Wenn es der politische | |
Wille ist, eine Bundeswehr zu haben, dann muss die auch üben können.“ | |
Ahlerts Wille ist das nicht. Sie hat nicht erst seit dem Moorbrand auf dem | |
Schießplatz bei Meppen wenig Vertrauen in die Bundeswehr. Man bekomme | |
schließlich nicht mit, was auf dem Platz passiere. Man wisse nicht, welche | |
Schadstoffe sich in den Böden ablagerten und durch einen Brand frei gesetzt | |
werden könnten. Moore gibt es in dieser Gegend auch. „Wir wollen uns nicht | |
darauf verlassen, was die Bundeswehr sagt“, meint Ahlert. | |
Ihre Initiative beschreibt es auf ihrer Webseite so: „80 Jahre Schießlärm | |
und Zonenrandlage sind genug! Ein Truppenübungsplatz ist kein Naturgesetz.“ | |
Am Rande des militärischen Sicherheitsbereichs, nur etwa 150 Meter vom | |
letzten bewohnten Haus des Dorfes entfernt, hängt ein rot-weiß gestreifter | |
Ballon an einem Mast. Er ist eine Warnung. Es könnte scharf geschossen | |
werden. Zu sehen sind von hier aber nur ein paar Dixi-Klos hinter einem | |
Sandhaufen und das Häuschen, in dem ein Wärter sitzt. | |
Vom Militär bekämen sie hier im Ort gar nicht viel mit, sagt Arjes. Die | |
olivgrünen Fahrzeuge seien selten zu sehen. Trotzdem gehört die Bundeswehr | |
zum Alltag. Alle Häuser in Ostenholz gehören – mit Ausnahme der hübsch | |
restaurierten Fachwerkkirche von 1724 – dem Bund und werden von der | |
Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, kurz Bima, verwaltet. | |
Die Nationalsozialisten errichteten den Truppenübungsplatz 1935 gegen | |
Proteste aus der Bevölkerung. Ganze Orte wurden abgerissen und 3.605 | |
Bewohner umgesiedelt. Auch Ostenholz war einmal größer. Heute reihen sich | |
die roten Backsteinhöfe und die Fachwerkhäuser mit den dunkelbraunen | |
Holzbalken vor allem an zwei Straßen auf. Außer der hellgelb gestrichenen | |
Gaststube „Kleiner Onkel Nickel“ an der Kreuzung gibt es hier keine neueren | |
Gebäude. Alles ist historisch. „Fast museumsartig“, sagt Arjes, für den d… | |
den besonderen Reiz des Ortes ausmacht, in dem obendrauf noch die Mieten | |
billig sind. Im Schnitt zahlten die Einwohner vier Euro pro Quadratmeter, | |
sagt Arjes. Er ist CDU-Mitglied und ein Vertreter der Einwohner in dem | |
gemeindefreien Bezirk Osterheide, in dem Ostenholz liegt. | |
## Die Fenster eingeschlagen, Tapeten hängen in Fetzen | |
Es gibt da allerdings auch eine Kehrseite. Die Bima scheint nicht nur kein | |
Interesse daran zu haben, den Ort durch Neubauten zu vergrößern, die | |
Bundesanstalt ist auch bei Sanierungen zögerlich. Nicht weit von Arjes | |
kleinem, weißen Häuschen steht ein Backsteinhaus leer, das einmal sehr | |
schön gewesen sein muss. Jetzt sind viele der Fenster in den weißen | |
Holzrahmen eingeschlagen. Im ehemaligen Kinderzimmer blättert eine | |
Benjamin-Blümchen-Tapete von der Wand und über einer Gardinenstange hat ein | |
Vogel sein Nest gebaut. | |
„Nicht wenige Häuser hier haben keine Zentralheizung, sondern nur einen | |
Ofen“, sagt Arjes. Die Menschen, die hier lebten, seien zufrieden damit, | |
wegen der günstigen Miete. Aber wenn sie versterben oder wegzögen, kämen | |
keine neuen Mieter mehr nach. Die Bima lasse die Häuser leer stehen, statt | |
sie zu sanieren, oder reiße sie ab. Verkauft werden die Gebäude nicht, weil | |
sonst die zivilen Eigentümer gegen den Schießlärm auf dem | |
Truppenübungsplatz klagen könnten, heißt es von der Bundeswehr. Die Bima | |
hat sich gegenüber der taz nicht geäußert. | |
In der Ortsmitte steht ein großes Gasthaus mit gut erhaltener | |
Fachwerkfassade und einer mit Schnitzereien verzierten Holztür leer. „Anno | |
1833“ ist in einen Türbalken geritzt. John Lennon sei einmal hier im | |
Wünninghof gewesen, erzählt Arjes. Nun hängen an dem Bauzaun, der ihn | |
umgibt, Schilder mit der Aufschrift „Betreten des Grundstücks verboten!“ | |
Auch dieses Haus sollte abgerissen werden: „Aber wir haben uns heftigst | |
gewehrt“, sagt Arjes – und meint damit die Einwohner und die Auswärtigen. | |
Denn auch Ahlert und ihre Initiative kämpfen für den Erhalt des Gasthofes. | |
„Da geht sonst ein wunderschöner Saal mit Jugendstilelementen verloren“, | |
sagt sie. Es müssten nur rund 10.000 Euro investiert werden, um die unteren | |
Räume wieder nutzen zu können. | |
Die Initiative wollte das Gasthaus sogar selbst mieten und in Eigenleistung | |
renovieren. Ausstellungen sollten hier stattfinden und ein Infozentrum über | |
den Wünninghof und den Platz drumherum entstehen, aber der Verein bekam von | |
der Bima eine Abfuhr. „Das ist so, als wollte der Fuchs den Hühnerstall | |
mieten“, sagt Arjes. | |
Saniert haben die Aktivisten der Initiative trotzdem schon etwas – die | |
kaputte Regenrinne, damit die Fassade nicht gammelt. Die Bima erteilte | |
ihnen dafür Hausverbot. Protestaktionen finden in schöner Regelmäßigkeit | |
vor dem Bauzaun statt. | |
Ahlert hofft, dass sie den Hof erhalten können. Und im Gegensatz zu ihrem | |
Freund Arjes setzt sie dafür auch auf den Abzug der Bundeswehr. „Ich kann | |
mir gut vorstellen, dass hier dann Leute herziehen, die die alten Häuser | |
gern sanieren.“ | |
13 Oct 2018 | |
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## AUTOREN | |
Andrea Maestro | |
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