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# taz.de -- Protest gegen Wohnungsabriss: Planungsfuror in der Heide
> In Bad Fallingbostel sollen Wohnblöcke der abgezogenen britischen
> Soldaten abgerissen werden. Viele Wohnungen sind allerdings erst saniert
> worden.
Bild: Kamen unerwartet gut an: ehemalige Militärwohnblocks in Bad Fallingboste…
BREMEN taz | Die AnwohnerInnen des Bad Fallingbosteler Wohnviertels Wiethop
sind auf die Straße gegangen. Denn: Sie könnten einem „Umbaukonzept“ zum
Opfer fallen, das den „Rückbau der ehemaligen britischen Wohnquartiere zur
Entwicklung eines neuen Wohngebietes“ bedeutet – so steht es jedenfalls auf
dem großen Schild an der potenziellen Baustelle. Und dieser Rückbau beträfe
fast 500 Menschen.
Im niedersächsischen Bad Fallingbostel lebten bis ins Jahr 2015 viele
britische Soldaten. Die Stadt rechnete nach ihrem Abzug mit Leerstand und
Verfall. „Ich bin damals bestellt worden, erst für 24 Wohnungen, später
dann nochmal für 156 Wohnungen“, sagt die Immobilienverwalterin Carola
Fernau. Sie habe den Auftrag erhalten, diese leer gewordenen Wohnungen zu
vermieten, „und das habe ich getan – zum marktüblichen Quadratmeterpreis.
Die Stadt fand das gar nicht toll, weil sie dachte, so würden sich niemals
Mieter finden.“
Aber es kam anders: „Die Nachfrage war riesig. Hier gibt es viele Wohnungen
für Familien mit Kindern und dann auch noch welche, die alle erst 2009
saniert worden sind. Fast neue Bäder, komplette Küchen – die Leute mussten
da nur noch ihre Möbel reinstellen.“ 2015 wurden Fassaden und Treppenhäuser
einiger Wohnblocks saniert, sie bekamen neue Schließanlagen, Außenanlagen
und einen Kinderspielplatz.
## Leerstand prognostiziert
Diese Entwicklung entsprach allerdings nicht dem „integrierten
Stadtentwicklungskonzept“ (Isek) für Bad Fallingbostel, das bereits 2014
begonnen wurde, im April 2015 fertig war und in drei städtischen
Sanierungsgebieten Leerstand prognostizierte. Wörtlich heißt es da: „Soll
verhindert werden, dass der lokale Wohnungsmarkt durch das plötzliche
Überangebot zusammenbricht, müssen die überschüssigen, nicht marktfähigen
Wohneinheiten vom Markt genommen werden.“ Dies bedeute, heißt es weiter:
„vollständiger Abriss der Mehrfamilienhäuser in der Siedlung Wiethop,
Aufbereitung der Grundstücke, Neuentwicklung als Einfamilienhausgebiet auf
einer Teilfläche sowie als Grün- oder Erholungsbereich“.
An diesen Plänen hält Bad Fallingbostel fest. Denn auf Grundlage des Isek
bekommt die Stadt Geld: „4,2 Millionen Euro vom Land Niedersachsen, 4,2
Millionen vom Landkreis unter der Voraussetzung, dass wir selbst auch noch
einmal 4,2 Millionen beisteuern“, sagt Benjamin Platkowski, zuständiger
Sachbearbeiter für die Sanierungsgebiete der Stadt. „Dieses Geld wird
komplett in den Ankauf der Wohnungen gesteckt.“ Die Bewilligung der 4,2
Millionen Euro vom Land ist bis zum Jahr 2020 befristet – und wird auch nur
dann gezahlt, wenn tatsächlich mit dem Abriss begonnen werden kann.
Dafür muss die Stadt mit enorm vielen EigentümerInnen verhandeln: Allein im
Verwaltungsbereich von Carola Fernau sind es über 140. „Und kein einziger
davon will verkaufen“, sagt sie. Kein Wunder, denn die Stadt bietet für
eine leerstehende, über 70 Quadratmeter große Wohnung gerade einmal 16.000
Euro. „Wenn eine Wohnung vermietet ist, wird je nach Einzelfall natürlich
mehr gezahlt“, sagt Platkowski. Aber wie viel das sei, könne er nicht
sagen: „Das ist natürlich immer eine Einzelfallentscheidung.“ Dafür müsse
ein Vertragswertverfahren zu Grunde gelegt werden – und das dafür
notwendige Gutachten vom Eigentümer selbst beauftragt und bezahlt werden.
Es sei ja nicht abzusehen gewesen, sagt Platkowski, dass so viele Menschen
in die Häuser einziehen: „Die kamen ja erst Ende 2015, da war das Isek ja
schon fertig.“ Dass sich das Entwicklungskonzept in seiner Prognose für das
Gebiet Wiethop schlicht vertan hat – zwischen Abzug der Briten und Neubezug
der Wohnungen lagen ja nur sechs Monate – mag er nicht zugeben: „Frau
Fernau ist ja nicht nur Verwalterin, sondern auch Maklerin.“ In dieser
Funktion sei es für sie bestimmt einfacher als gewöhnlich gewesen, die
Wohnungen zu vermieten.
„Hier gibt es viele Wohnungen, die enorm gefragt sind: nämlich welche für
Familien mit mehreren Kindern. Andere Städte und Kommunen dürften die Stadt
Bad Fallingbostel um das bestehende Wohnungsangebot beneiden“, widerspricht
Fernau. Familien aus Hannover oder Itzehoe seien nach Bad Fallingbostel
gezogen, weil sie dort endlich bezahlbaren Wohnraum gefunden hätten. „Und
für die gibt es hier im Falle des Abrisses keine Alternative.“
Fernau räumt ein, dass es auch leerstehende und verfallene
Mehrfamilienhäuser in den ehemaligen Briten-Siedlungen gibt. „Die können ja
auch gerne abgerissen werden – auf den Grundstücken könnte man gut
ergänzend neu bauen, zum Beispiel Doppelhäuser.“ Es gebe insgesamt fünf
Verwaltungen für die Häuser in den Sanierungsgebieten: „Die hätte man doch
einfach mal alle an einen Tisch holen können, um wirklich strukturiert
einen Plan auszuarbeiten“, sagt Fernau. Das sei aber nie geschehen.
## Protest provoziert
Stattdessen sind WohnungseigentümerInnen und MieterInnen des Quartiers
Wiethop vor zwei Wochen auf die Straße gegangen, um gegen die Umbaupläne zu
protestieren – und den gegenwärtigen Zustand ihres Viertels. Denn das, sagt
Fernau, werde immer unattraktiver: „Die Straßenbeleuchtung wird nicht
repariert, die Straßen werden nicht saniert, Kabel Deutschland kann das
Quartier nicht erschließen, weil es sich um ausgewiesenes Sanierungsgebiet
handelt.“ Der Bund der Steuerzahler hat sich auch bereits in Fallingbostel
erkundigt, ob dort möglicherweise sinnlose, steuergeldfinanzierte
Abrissmaßnahmen geplant seien, der NDR berichtete über die Proteste und den
Unmut in Bad Fallingbostel.
Vielleicht ist all das der Grund, warum die Stadt nun zögerlich einzulenken
scheint: „Die Pläne werden im Zuge eines städtebaulichen Rahmenplans noch
konkretisiert“, der einen Teilbereich der Sanierungsgebiete anders bewerte
als das Isek, sagt Platkowski in schönstem Beamtendeutsch. „Das ist aber
noch nicht rechtsverbindlich und wird sicher nicht vor Februar oder März
2018 beschlossen.“ Nach wie vor gelte deshalb der derzeitige Beschluss,
„alles aufzukaufen“.
8 Nov 2017
## AUTOREN
Simone Schnase
## TAGS
Stadtentwicklung
Konversion
Wohnen
Britische Armee
Bundeswehr
Konversion
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