# taz.de -- Leere Kasernen: "Jetzt werde ich eine Seltenheit" | |
> Bis 2020 sollen die letzten britischen Soldaten Niedersachsen verlassen, | |
> schon jetzt verlassen sie Celle. Im dortigen Rathaus sorgt man sich um | |
> den städtischen Haushalt. | |
Bild: Wem die echten Soldaten abhanden kommen, der kann sich immer noch eine Na… | |
Im Flur des Kindergartens hängen die Fotos von Lucy, Bella, Casey, Ruby, | |
Finnlay und rund 50 weiteren Mädchen und Jungen. Die Bilder sind auf drei | |
Gruppen verteilt, über den meisten steht in großen Buchstaben „Cyprus“, | |
Zypern. Dort werden diese Kinder demnächst in den Kindergarten gehen. | |
Ungefähr ein Dutzend lebt bald in Großbritannien, die wenigsten bleiben in | |
Deutschland. | |
Mit Celles britischer Kaserne, den Trenchard Barracks, wird dieser Tage | |
einer der letzten deutschen Standorte der einstigen Besatzungsmacht | |
aufgelöst. Das betrifft zunächst die Soldaten selbst, rund 800 waren es | |
zuletzt, die ohnehin ungefähr alle zwei Jahre in eine andere Region der | |
Welt verlegt werden. Aber eben auch ihre Familien. „Die Stimmung ist | |
gedrückt“, sagt Audra Burton, Lehrerin an der örtlichen britischen Schule. | |
„Viele Mädchen und Jungen waren in Celler Sport- und Schwimmvereinen aktiv | |
und haben sich dort mit deutschen Gleichaltrigen angefreundet.“ Die | |
„Mountbatten Primary School“ wird bislang von Soldatenkindern besucht – u… | |
nun ebenfalls aufgelöst. | |
„Für junge alleinstehende Männer ist Zypern ein attraktiver Standort, auf | |
den sie sich freuen“, sagt Verbindungsoffizier Hugh Pierson. Viele Familien | |
dagegen bedauerten den Umzug, „weil sie sich in Celle wohl fühlten und weil | |
man von Hannover aus mit dem Flugzeug viel schneller Verwandte in der | |
Heimat besuchen konnte als von Zypern aus“. | |
Celle und der nahe gelegene größte Nato-Truppenübungsplatz Bergen-Hohne | |
waren für die Briten der Trainingsort, wo sie sich für ihren Einsatz in | |
Kriegen im ehemaligen Jugoslawien, im Irak oder in Afghanistan | |
vorbereiteten. Außer an einigen Standorten in Nordrhein-Westfalen gibt es | |
künftig nur noch eine kleine Einheit in Hameln sowie mehr als 5.000 Briten | |
in Bergen-Hohne. Bis spätestens 2020 sollen nach den Plänen der Londoner | |
Regierung sämtliche Truppen aus Deutschland abziehen. Aus Kostengründen. | |
In den deutschen Nordwesten gekommen waren sie 1945 als Sieger über | |
Nazi-Deutschland. Schon mit dem Ende des Kalten Krieges verließen | |
zahlreiche britische Soldaten Celle, ihre früher mal größte Kaserne | |
beherbergt heute das Rathaus. Was die Stadt einmal mit dem 31 Hektar großen | |
Kasernengelände machen wird, steht in den Sternen: Bislang gibt es weder | |
einen Investor noch ein Konzept. | |
Durch den Abzug der Soldaten und ihrer Familien sowie der zivilen | |
Angestellten verliert das rund 70.000 Einwohner zählende Celle knapp 1.000 | |
Menschen. Schon ab 2013 bekommt die Stadt deshalb rund fünf Millionen Euro | |
vom Land Niedersachsen. In den kommenden Jahren werden diese Zuweisungen | |
noch stärker sinken. „Wir müssen mehr sparen als bisher, höhere Einnahmen | |
erzielen oder neue Schulden machen“, sagt Oberbürgermeister Dirk-Ulrich | |
Mende (SPD). Er beziffert den Kaufkraftverlust auf neun Millionen Euro | |
jährlich. | |
Nicht alle Briten gehen, einige haben Wurzeln geschlagen. Brian Webb zum | |
Beispiel kam 1984 als Soldat, für zwei Jahre – dann sollte er mit seinem | |
Logistikregiment nach Dortmund weiterziehen. Webb wollte das nicht, | |
quittierte lieber seinen Dienst. „Ich stamme aus der Nähe von Manchester | |
und mag keine großen Industriestädte. Außerdem kam meine damalige Frau aus | |
Celle, wir wollten hier bleiben“, sagt der 51-Jährige in perfektem Deutsch | |
mit britischem Akzent, das er mit der Zeit gelernt hat. Dabei sprach er, | |
wie die meisten britischen Soldaten, in seiner Militärzeit überhaupt nicht | |
deutsch. | |
„Es hat sich viel in Celle seit meiner Ankunft verändert“, sagt Webb und | |
zählt die Diskotheken auf, die damals von britischen Soldaten gerne besucht | |
wurden. Übrig ist davon nur noch eine. Webb, der heute beim Straßenbauamt | |
arbeitet, ist seit vielen Jahren mit seiner zweiten Frau Jutta verheiratet, | |
die zusammen zwei fast erwachsene Töchter haben. Englisch spricht er nur | |
selten, die Kontakte zu Landsleuten halten sich in Grenzen. | |
Vermisst er etwas? Da braucht Webb nicht lange zu überlegen: Cricket, das | |
englische Essen, die Lockerheit seiner Landsleute, den britischen Humor. | |
„Engländer lachen über Dinge, die in Deutschland schnell als Beleidigung | |
aufgefasst werden. Ich bin deswegen vorsichtiger geworden, wenn ich Witze | |
erzähle.“ Und dann fällt Webb noch etwas ein, das ihm zuweilen Heimweh | |
bereite: „Mir fehlt hier die Freiheit. Damit meine ich die Landschaft. Ich | |
komme aus einer Gegend mit einem Mittelgebirge und viel Moorland, diese | |
Natur und den weiten Blick ohne Wälder vermisse ich.“ Aber es sei nicht | |
bloß die Landschaft: „In England kann man an den Strand gehen ohne Kurtaxe | |
zu zahlen, kann überall in der Natur kostenlos campen, die Museen kosten | |
keinen Eintritt.“ | |
Webb holt seine Erinnerungskiste heraus, gefüllt mit Souvenirs aus der | |
Heimat. Ein Wimpel von der Fußballweltmeisterschaft 1966, als England | |
Deutschland im Endspiel 4:2 schlug. Ein Stein, den er seit seiner Kindheit | |
hat. Ein alter englischer Pass. Welche Gefühle hat er beim Abzug der | |
britischen Truppen aus Celle? „Jetzt werde ich eine Seltenheit“, sagt Webb | |
und lacht. | |
5 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Joachim Göres | |
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