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# taz.de -- 40 Jahre taz: Die Lage in Nicaragua: Tagebuch eines Aufstands
> 1979 feierte die Linke in Europa den Sieg der Sandinisten. 2018
> protestiert die Bevölkerung Nicaraguas gegen Präsident Ortega. Stimmen
> aus einem zerrissenen Land.
Bild: „Gesucht: Mörder“ steht unter dem Kopf von Präsident Ortega
„Fake News und Fake Personen, Fake Gewissen, Fake Vorschläge. Falsch,
falsch, falsch. So sind diese winzigen Gruppen, die vom Hass getrieben
werden“
Vizepräsidentin Rosario Murillo am 19. April 2018 nach Berichten über erste
Opfer der Repression
* * *
„Ich kannte Daniel, als ich jung war. Ich war Schulsprecher am
Ramírez-Goyena-Gymnasium, er an der Schule Maestro Gabriel. Unter anderem
mussten wir gemeinsam das jährliche Gedenken an die Ermordung der Studenten
in León am 23. Juli 1959 organisieren. Die Nationalgarde hat an diesem Tag
vier Schüler getötet. Vier! Wir kämpften damals gegen einen Diktator, der
vier junge Menschen getötet hatte … Und derselbe Daniel ist jetzt für den
Mord an Dutzenden von Studenten verantwortlich und derselbe Daniel ist
jetzt der Diktator … Ich finde es schwer zu verstehen … „
FSLN-Veteran Julio López Campos, in envío, Juli 2018
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„Die hohe Anzahl getöteter Demonstranten ist ein klares Indiz für
exzessiven Gewalteinsatz. (…) Wenn sich das bestätigt, wären die Tötungen
als völkerrechtlich verbotene illegale Exekutionen durch den Staat zu
qualifizieren.“
Kommuniqué des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen, 27. April
2018
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„Das ist kein Tisch des Dialoges, sondern ein Tisch, an dem Ihr Abgang
verhandelt wird. … Wir stellen die Toten, die Verschwundenen und die
Inhaftierten. Ergebt euch dem Volke!“
Student Lesther Alemán zu Ortega und Murillo beim Nationalen Dialog am
16.4.2018.
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„Wir werden beweisen, dass es keine Verschwundenen und nicht einen
Gefangenen gibt. Alle wurden bereits freigelassen. Die Polizei hat den
Befehl, nicht zu schießen.“
Daniel Ortega, ebendort
* * *
„Er hat keine Alternative zum Leben an der Macht. Er hat viel Geld
angehäuft, aber ihm geht es nicht um Reichtum, den er irgendwo im Exil
genießen will. Das Geld ist nur ein Instrument der Macht. Er trägt seinen
Reichtum nicht in Form von teuren Uhren zur Schau. Seine Söhne schon. Aber
Daniel ist ängstlich. Wenn er sein festungsartiges Haus verlässt, lässt er
sich von 400 Sicherheitsleuten begleiten. Er kann sich nicht vorstellen, in
Kuba oder Russland im Exil zu leben.“
Sergio Ramírez, Vizepräsident Nicaraguas von 1984 bis 1990, taz, 25.4.2018
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„Als die Partei FSLN sich in ein Instrument des Caudillos verwandelt hat,
wurden Jugendliche und Erwachsene militärisch ausgebildet, um ‚die
Volksrevolution‘ zu verteidigen. Armeeveteranen, Leute von der
Staatssicherheit, vom ganzen Repressionsapparat der 1980er Jahre wurden
zusammengetrommelt. Diese Schlägertrupps sind nicht nur von der
Sandinistischen Jugend, sondern das sind Paramilitärs, die sich
zusammenrotten, um Daniel Ortega zu verteidigen. Ich denke, sie werden vom
Volk besiegt werden und auch die FSLN auf den Abfallhaufen der Geschichte
befördern“.
Henry Ruiz, ehemaliger Revolutionskommandant, unveröffentlichtes Interview
mit Ralf Leonhard, 25.4.2018
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„Ein 15-jähriger Junge namens Álvaro Conrado hatte mit dem eigenen
Taschengeld Wasser für die Studenten gekauft, die die Polytechnische
Universität besetzt hatten. Scharfschützen trafen ihn am Hals. Als man ihn
in das nächstgelegene Spital bringen wollte, wurde er abgewiesen. Auch im
deutsch-nicaraguanischen Krankenhaus verschloss man ihm die Türen. Erst in
der teuersten Privatklinik, die dem Unternehmer Pellas gehört, wollten sie
ihn aufnehmen, aber er ist unterwegs verblutet“.
Carlos Tünnermann, Ex-Unterrichtsminister, 26. Mai 2018
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„Rosario Murillos Verlogenheit und ihre Janusköpfigkeit ist mir immer
aufgefallen. Als sie begann, die Wahlkämpfe von Ortega zu organisieren,
wurde sie plötzlich religiös und sprach mit Gott. Eine Frau, die nie
gläubig war, verwandelte sich über Nacht in Mutter Theresa.“
Gioconda Belli gegenüber der spanischen Presseagentur EFE , Juni 2018
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„In dieser Untersuchung hat Amnesty International festgestellt, dass die
Regierung nicht nur übermäßige Gewalt im Rahmen der Proteste eingesetzt,
sondern vielleicht außergerichtliche Hinrichtungen unter Mitwirkung
parapolizeilicher Gruppen zu verantworten hat. Die alarmierende Anzahl von
Toten, die meisten durch Schüsse auf vitale Zonen wie Kopf, Hals oder
Oberkörper, sind Indizien für mögliche Tötungsabsicht der
Sicherheitskräfte.“
Amnesty International im Bericht Shoot to Kill, Mai 2018
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„Um das politische System zu verstehen, muss man wissen, dass der
historische revolutionär-sandinistische Prozess in den 1980er Jahren von
zwei Mächten sabotiert wurde: Von der katholischen Kirche und der
Privatwirtschaft. Daher war das erste, was die neo-sandinistische Regierung
machte, als sie 2007 an die Macht kam, mit genau diesen Sektoren ein
Bündnis einzugehen. Das Abtreibungsverbot ist eines der Resultate dieses
Bündnisses. Es erzeugte einen Bruch der FSLN mit den sozialen Bewegungen in
Nicaragua, vor allem aber mit der internationalen Solidaritätsbewegung. Das
Resultat des Bündnisses mit der Privatwirtschaft war der sogenannte
,‚Nationale Konsens‘, der in den vergangenen Jahren erstaunlich gut
funktionierte. Die Regierung war dennoch gleichzeitig von einem steigenden
Autoritarismus geprägt. Das zeigte sich etwa dadurch, dass die Zugänge zu
unabhängiger Information immer weiter eingeschränkt wurden. Die Maßnahmen
nährten die Unzufriedenheit in der Bevölkerung“.
Giorgio Trucchi, italienischer Journalist, im re:volt magazine, 8. Juli
2018
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„Ich bedaure, dass das, was einmal ein Traum war, vom Weg abgekommen und
zur Autokratie geworden ist. Die Revolutionäre von gestern haben das Gespür
dafür verloren, dass es im Leben Momente gibt, wenn man sagen muss: Ich
gehe.“
Uruguays Ex-Präsident Pepe Mujica, 17. Juli 2018
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„Die Regierung darf nicht zulassen, dass irreguläre bewaffnete Gruppen
gebildet werden. Die Armee von Nicaragua, deren nationale und unparteiische
Orientierung uns viel Arbeit gekostet hat, darf diese Situation nicht
zulassen“ … „Daniel steht nicht mehr für unseren Sandinismus der 1980er
Jahre“
Ex-Armeechef Humberto Ortega, CNN, 27. Juli 2018
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„Wir befinden uns in den Händen einer Frau mit unbeschränkter Macht und
eines Präsidenten, der von ihr beherrscht wird“.
Ernesto Cardenal, August 2018
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„Sie haben mir einen elektrischen Spieß in den Anus gesteckt“
Politischer Gefangener und Folteropfer, August 2018
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„Sehen wir nur den Mut der Menschen, die auf den Straßen ihre Meinung
vertreten: Klarheit einer staatsbürgerlichen Überzeugung, Wiedererlangen
der Würde. Mit solchen Menschen gibt es eine Zukunft“.
Bischof Silvio Báez, Predigt am 19.8.2018
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„Das Besuchssystem wird nach Belieben verwaltet und es kommt spontan am Tag
des vereinbarten Besuchs zu willkürlichen Verzögerungen oder
Verschiebungen. Die Privatsphäre wird aufgrund der Anwesenheit von
Strafvollzugs- oder Polizeibeamten während der Besuche nicht gewährleistet.
Die Besuchszeit schwankt willkürlich zwischen zehn Minuten und zwei
Stunden“.
Bericht des Special Follow-up Mechanism for Nicaragua der
Interamerikanischen Menschenrechtskommission, 25.8.2018
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„Der Terrorismus der Putschisten ist am Ende nichts anderes als ein
teuflisches Ritual. Pervers. Bösartig.“
Rosario Murillo, 29. 8.2018
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„Wer sind die Putschisten? Es sind Truppen, die von den USA versorgt
werden“.
Daniel Ortega, Interview Deutsche Welle, 10. 9.2018
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„Nach vielen Jahren der Solidarität mit dem sandinistischen Nicaragua
stellen wir heute fest: Das politische System ist unter der Regierung
Ortega zu einem Gewaltsystem pervertiert, das Menschenrechte systematisch
verletzt und Andersdenkende mit Gewalt verfolgt. (…) Aus dem gleichen
Grund, warum wir in den 1980er Jahren solidarisch mit der Sandinistischen
Revolution waren, bestehen wir heute auf einem sofortigen Ende der Gewalt
durch das Regime. Ortega, Murillo und ihre Machtstrukturen haben jegliche
Legitimation verspielt und es gibt keine menschenwürdige Zukunft mit ihnen.
Erklärung der Solidaritätsbewegung, September 2018
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„Er hat mir gesagt, er wird mindestens bis 2021 bleiben“
Carolina Chimoy über Daniel Ortega, Deutsche Welle.
Zusammengestellt und großteils übersetzt von Ralf Leonhard, seit 1982 bei
der taz
5 Oct 2018
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