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# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Die Mär von der Alternativlosigkeit
> Niedersachsens Bauern klagen, das Betäuben von Ferkeln vor der Kastration
> sei sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Aber das kann nicht
> stimmen.
Bild: Werden nach wie vor unbetäubt kastriert: Jungeber in einem Aufzuchtstall
Wie wird ein Ferkel kastriert? „Der Schweinezüchter nimmt die Ferkel
einzeln hoch, schneidet die Haut über den Hoden ein, drückt den Hoden
heraus und durchtrennt den Samenleiter.“ So fand ich das bei „ProVieh“
erklärt.
Ich bin kein Mann, aber ich weiß, wie empfindlich Männer an ihren Hoden
sind. Wenn man einen Mann kennenlernt, dann kriegt man das schnell mit.
Männer werden ungern an ihren Hoden grob behandelt. Ihre Hoden sind eines
der empfindlichsten Teile ihres Körpers. Und nun stelle man sich vor, ein
Mann wird so am Hoden behandelt, wie ein Ferkel, man schneidet die Haut
über den Hoden ein, drückt den Hoden raus und durchtrennt den Samenleiter.
Das wäre doch mal was.
Aber man kann natürlich Schweine nicht mit Menschen vergleichen. Einen
Menschen darf man nicht in der Pubertät schlachten, später auch nicht.
Menschen stehen über den Schweinen.
Dennoch sind die meisten Menschen der Meinung, selbst die, die Fleisch
essen, dass man Tiere nicht quälen soll. Das Verbot des Quälens von Tieren
ist im Gesetz verankert, im Tierschutzgesetz. „An einem Wirbeltier darf
ohne Betäubung ein mit Schmerzen verbundener Eingriff nicht vorgenommen
werden.“, heißt es im §5 (1) des Tierschutzgesetzes.
So weit, so gut, aber dann gibt es die ganzen Ausnahmen, die auch in diesem
Gesetz verankert sind. Nämlich für Fälle, wo es unpraktisch ist, einen
schmerzhaften Eingriff ohne Betäubung vorzunehmen. Nachzulesen unter §5 (2)
1.-7. Tierschutzgesetz.
Für das Kürzen des Schwanzes, das Schleifen von Eckzähnen, das Kastrieren
von klitzekleinen Babyrindern, -schafen, -ziegen etc. Da wäre es einfach
aufwendig und lästig, jedes Mal vom Tierarzt eine Betäubung vornehmen zu
lassen, wenn man da einen Zahn abschleift, einen Hoden entfernt oder einen
Schwanz abschneidet. Wie soll ein Landwirt das hinkriegen, bei den heutigen
Fleischpreisen?
Warum, fragt das kleine Ferkel, muss ich überhaupt kastriert werden, warum
darf ich kein Mann werden? Damit du besser schmeckst, sagt der Landwirt,
der Koch und der Genießer. Denn ein nichtkastriertes Ferkel schmeckt ein
bisschen nach Mann, nach Eber. Das mögen manche Menschen nicht. Und der
Geschmack ist nun mal an einem Schwein das Wichtigste.
Frau Otte-Kienast, Niedersachsens Landwirtschaftsministerin hat die Bauern
[1][am Montag zu einem Gipfel nach Hannover eingeladen]. Denn das
betäubungslose Kastrieren soll ab 2019 verboten sein. Es soll sehr
schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein, die Ferkel zu betäuben, klagen
die Bauern. Deshalb wollen sie gerne einen Aufschub, eine Übergangslösung
für diese Regelung. Es gebe keine Alternativen, heißt es.
Da ist es mir ein Rätsel, wie ausgerechnet Firmen, wie Aldi-Süd und Rewe
schon seit 2016 erklären, kein Fleisch mehr zu führen, das von
betäubungsfrei kastrierten Tieren kommt. Wie geht das? Wie kriegen deren
Lieferanten das hin? Und wie kriegen die ihr Jungeberfleisch los, das sie
erklären, auch zu verkaufen? Geht es nun oder geht es nicht?
Es kommt mir so merkwürdig vor, wenn Unternehmer sagen, dass sie etwas
nicht hinbekommen, dass es keine Alternativen gibt. Haben wir hier eine
flexible Industrie, einen freien Markt? Sind wir in der DDR, oder was? Gibt
es wirklich keine Lösungen? Und die Schweine? Die vor Schmerzen schreienden
kleinen Schweine? Tja, es hat doch bisher niemanden interessiert. Warum
fängt man jetzt an, Theater zu machen?
Ein Schwein hat keine Rechte. Ein Schwein ist nur ein Schwein. Wäre es ein
Hund, dann dürfte es in unserem Bett schlafen. Dann dürfte es ein Jäckchen
tragen, wenn es regnete, es würde gestreichelt und geküsst werden. Aber
leider ist es ein Schwein. Es ist ebenso intelligent wie ein Hund und
ebenso zärtlich und anhänglich. Aber es ist ein Schwein. Pech gehabt. Der
eine wird als Hund geboren, der andere als Schwein. Der eine frisst, der
andere wird gefressen. So ist das in der Natur, wie in der Marktwirtschaft.
Und wer nicht geschmeidig bleibt, der muss halt sehen, wo er bleibt.
10 Oct 2018
## LINKS
[1] /Schweinegipfel-in-Hannover/!5542055/
## AUTOREN
Katrin Seddig
## TAGS
Ferkel
Kastration
Niedersachsen
Landwirtschaft
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