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# taz.de -- Entsorgung von strahlendem Schlamm: Vor Cardiff ins Meer
> EDF baut den Atomreaktor Hinkley Point C. und entsorgt mutmaßlich
> strahlenden Aushub vor der walisischen Hauptstadt. Das ist offenbar
> legal.
Bild: Der umstrittene Reaktor Hinkley Point C wird gebaut
Cardiff taz | Es ist sehr früh am Montag, als der Fischkutter „Bad Boyz“
auf dem Severn, dem längsten Fluss Großbritanniens, durch das noch
schlafende Cardiff gleitet. Von der walisischen Hauptstadt aus steuert er
das belgische Spezialschiff „Sloeber“ an, das auf einem Monitor als sich
bewegender Punkt in der gigantischen, 25 Kilometer breiten Flussmündung
Severn-Ästuar zu sehen ist.
An Bord der „Bad Boyz“ befindet sich eine Gruppe von Atomkraftgegnern, an
Bord der „Sloeber“ Schlamm aus der unmittelbaren Umgebung der britischen
Atomanlage Hinkley Point, der zwei Kilometer vor Cardiff versenkt werden
soll.
Der Schlamm ist Aushub vom Bau [1][des umstrittenen neuen Reaktors Hinkley
Point C], mit dem die seit 1957 bestehende Anlage erweitert werden soll.
Die britische Regierung hat das französische Unternehmen EDF, das den
Reaktor mit hohen staatlichen Subventionen baut, beauftragt, den Boden zu
entsorgen. Auch ein chinesisches Unternehmen ist daran beteiligt. Insgesamt
geht es um rund 200.000 Kubikmeter aufgeweichte Erde – vermutlich
radioaktiv belastet.
Als die „Bad Boyz“ sich dem Schlammschiff nähert, nimmt ein Boot der
Küstenwache die Verfolgung auf, Zuschauer sind hier nicht gern gesehen. Da
öffnet sich das längliche Schiff plötzlich auf beiden Seiten. Eine braune
Masse rutscht ins Wasser, die Strömung ist an dieser Stelle aber so stark,
dass der Schlamm nicht gleich in die Tiefe sinkt.
## Zu viele Fragen
Auf der „Bad Boyz“ sind auch Prominente. Neil McEvoy, ehemals Mitglied der
walisischen Nationalpartei, aber wie er der taz sagt, „aufgrund meiner zu
vielen Fragen“ derzeit dort ausgeschlossen und nun unabhängiger
Abgeordneter im walisischen Senat. Und Cian Ciaran von der walisischen Band
Super Fury Animals.
Die beiden wollen in einem Livestream und mithilfe einer Drohne und einer
digitalen Kamera von oben dokumentieren, was an diesem Ort fast täglich
passiert. Denn sie sind davon überzeugt, dass die Behörden bei der
Genehmigung für die Verklappung des Schlamms geschlampt haben.
Im Sommer hatten McEvoy und Ciaran versucht, die weitere Versenkung des
Hinkley-Point-Schlamms durch eine einstweilige richterliche Verfügung zu
stoppen. Dabei kam heraus, dass [2][EDF tatsächlich keine
Umweltverträglichkeitsprüfung] für sein Vorgehen vorlegen konnte.
Außergerichtlich einigte man sich darauf, dass die walisische
Nationalversammlung entscheiden soll, wie es weitergeht.
Am heutigen Mittwoch wollen die Abgeordneten über einen Antrag Mc Evoys
abstimmen. Umweltorganisationen wie Greenpeace haben parallel zu der
Abstimmung zu Protesten aufgerufen, seit Tagen kursieren im Internet
Petitionen und Aufrufe, die Versenkung des Schlamms zu verbieten.
## Keine Antworten
Die Kritiker argumentieren vor allem damit, es sei unkalkulierbar, wie sich
die zähe Substanz auf lange Sicht verhalte. Der erste Anstoß zu den Fragen
stammte von Tim Deere-Jones, einem Musiker, der auch als wissenschaftlicher
Berater zu radioaktiver Belastung im Marinebereich anerkannt ist.
Er schildert der taz, dass er bereits in den 1980er Jahren als Teil seiner
Diplomarbeit recherchiert hatte, wie radioaktive Partikel aus der
Atomanlage Sellafield im nordenglischen Kumbrien tief in das Landesinnere
von Wales migrierten. „Wo wird der Schlamm aus Hinkley enden?“, fragt er.
EDF jedenfalls habe ihm darauf keine Antwort geben wollen oder können.
Auf taz-Anfrage erklärt ein EDF-Sprecher, dass es niemandem Sorgen machen
müsse, wenn der Schlamm im Wasser vor Cardiff abgeladen werde. Letztlich
handle es sich um ein umweltgerechtes Deponieren. Denn der Boden stamme aus
einem Schutzgebiet, und ausgehobene Sedimente müssten für das „natürliche
Gleichgewicht“ wieder in die gleiche Gegend eingelegt werden.
Auch mögliche radioaktive Strahlung sei zu vernachlässigen, heißt es. Das
der britischen Regierung unterstehende Prüfungslabor Cefas hat Schlamm aus
Hinkley untersucht und erklärt, die Strahlungswerte lägen unter den
Grenzwerten, eine spezifischere Untersuchung sei deshalb nicht notwendig.
## Simplifizierung und Skandal
Das bedeute konkret, dass gar nicht mehr weiter nach bestimmten Partikeln
gesucht würde, sagt Deere-Jones: „Und es bedeutet weniger Aufwand und
weniger Kosten.“ Dabei habe das Institut nur Proben aus bis zu fünf
Zentimeter Tiefe analysiert. Historische Verschmutzungen „aus den dreckigen
Jahrzehnten“ könnten aber bis zu einem Meter tief eingesunken sein.
Auch Strahlungsexperte Paul Dorfman hält das Vorgehen von Cefas für
„Unsinn“. Das ehemalige Mitglied des britischen Regierungskomitees zur
Strahlensicherheit sagt: „Was Behörden in Sachen Verstrahlung regulieren
und standardisieren, steht nicht im Einklang mit wissenschaftlichen
Erkenntnissen, sondern ist eine Simplifizierung!“
Als Ergebnis der vereinfachten Darstellungen habe sich seit gut einem
Jahrzehnt die Praxis durchgesetzt, verstrahlten Schlamm nicht – wie nötig,
aber kostspielig – konzentriert zu lagern, sondern ihn zu verdünnen und
dann zu verteilen, wie jetzt vor Cardiff. Die sich unkontrolliert
verbreitenden strahlenden Partikel gefährdeten neben der Umwelt vor allem
Heranwachsende und Menschen mit bestimmten genetischen Markern.
Auch politisch ist Schaden absehbar. „Die Schlagzeile ‚Englischer Müll auf
der anderen Seite der Flussmündung vor der 400.000-Einwohner Hauptstadt von
Wales versenkt‘ ist ein Grund mehr, mich für die Unabhängigkeit Wales
einzusetzen“, sagt Neil McEvoy.
10 Oct 2018
## LINKS
[1] /AKW-Hinkley-Point-geht-vor-den-EuGH/!5365349
[2] /Mangelhafte-Kontrolle-bei-AKW-Betreiber/!5465662
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
Wales
EDF
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