# taz.de -- Debatte Grüne und Feminismus: Gestrig und ängstlich | |
> Die Grünen versäumen den neuen Feminismus. Dabei könnten sie damit nicht | |
> nur zur Europawahl, sondern auch für die Partei einiges bewegen. | |
Bild: „Neue Zeiten, neue Antworten“ hatten die Grünen versprochen. Im Prog… | |
Wenn die Grünen nicht gerade von sengenden Sommern oder verrückten | |
Bajuwaren profitieren, dann lautet ihre Formel für zukünftigen Erfolg „Neue | |
Zeiten – neue Antworten“. Eine dieser neuen Antworten wurde neulich [1][auf | |
dem „Zukunftskongress“ der grünen Frauen Anfang September in Leipzig] | |
propagiert, um nicht zu sagen: gefeiert. „Feminismus wird Programm“, hieß | |
es da. Die grünen Frauen wollen den feministischen Aufbruch in der | |
Gesellschaft nicht verpassen und in die Partei holen. Die Frauen, | |
wohlgemerkt, denn im Kurs der Gesamtpartei ist von der Party noch nichts | |
angekommen. Mehr noch, sie schickt sich an, eine einmalige Chance zu | |
verpassen. | |
Denn gesellschaftlich bewegt sich gerade eine Menge: Es gibt Debatten über | |
sexualisierte Angriffe unter den Stichworten #MeToo und #ausnahmslos, über | |
[2][mehr Frauen in Entscheidungspositionen unter dem Stichwort „Pro | |
Quote“], über ungleiche Bezahlung und Geschlechterbilder in den Medien – | |
und viele Bewegungen zur Anerkennung feministischer Vielfalt. Vor allem | |
aber gibt es weltweit eine Art Schock angesichts des Ausmaßes an | |
übersteigerter, egomanischer, menschenverachtender, nationalistischer | |
Männlichkeit, die sich im Rechtspopulismus Bahn bricht. Sogar in Bayern | |
zeigt sich vor der Wahl, dass das bajuwarische „Mannsbild“ nur noch | |
eingeschränkt vermittelbar ist. | |
Die Grünen könnten alles im Angebot haben, um hier eine Alternative zu | |
bieten. Allein: Die Auslage ist leer. Gerade erst liegt der Entwurf für ein | |
Europawahlprogramm vor. Darin ist Feminismus keinesfalls „Programm“, wie | |
noch in Leipzig gefordert. Programmatischer Feminismus müsste ja an vielen | |
Stellen sichtbar werden. Er würde [3][für eine feministische Außenpolitik | |
einstehen] oder im Wirtschafts- oder Sozialkapitel erklären, wie die | |
besonderen Lagen, die durch unsere geschlechtliche Arbeitsteilung entstehen | |
und die zu Ungerechtigkeiten wie dem Lohngefälle führen, politisch zu | |
behandeln sind. Nichts davon ist in dem Entwurf zu lesen. | |
Auffangen könnte man dieses Versäumnis vielleicht noch dadurch, dass man | |
irgendwo erklärt, Feminismus als Programm betreiben zu wollen. Genau dies | |
geschieht im Entwurf des Bundesvorstands aber nicht. Im Europawahlprogramm | |
von 2014 hatten die Grünen noch gefordert, die Politik der EU | |
flächendeckend auf mögliche Benachteiligungen der Geschlechter zu | |
überprüfen. Im aktuellen Entwurf gibt es zwar wieder ein Kapitel zur | |
Gleichstellung. Aber dieser Punkt ist darin nicht mehr zu finden. Lediglich | |
die Überprüfung der Budgets auf Benachteiligungen ist noch vorgesehen. | |
## „When they go low, we go high!“ | |
Die Grünen wollten angeblich in „neuen Zeiten neue Antworten“ geben, so der | |
Slogan zu ihrem neuen Grundsatzprogramm. Im Europaprogramm findet sich aber | |
nur Altbekanntes – niedrig dosiert: Man „unterstützt“ eine Quote für | |
Aufsichtsräte, man möchte gern, dass das Europäische Genderinstitut EIGE | |
mehr Geld bekommt und die Istanbul-Konvention umgesetzt wird. Statt | |
struktureller Lösungen bieten die Grünen „do it yourself“ an: Die | |
Europäische Grundrechtecharta soll individuell einklagbar werden, Verbände | |
gegen Diskriminierungen klagen können. Gerichtsverfahren als Politikersatz. | |
Die Grünen überlegen wie alle Demokrat*innen gerade, wie sie der | |
grassierenden Demokratieverachtung entgegenwirken können. Das latente | |
Legitimationsproblem der mehr oder weniger repräsentativen Demokratie ist | |
spätestens seit der Finanzkrise akut geworden. Sozialstaat abbauen und | |
Großkapital retten: kam nicht gut an. Zum einen also müsste jede Partei | |
sich sputen, eine solide Sozial- und Steuerpolitik anzubieten. | |
Zum zweiten aber, und das wäre eben ein Alleinstellungsmerkmal der Grünen, | |
kann man das Repräsentationsdefizit auch durch programmatischen Feminismus | |
bekämpfen: Der bedeutet ja nichts anderes, als dass beide Hälften der | |
Bevölkerung und dazu noch verschiedene Minderheiten gleich gut teilhaben | |
können, Rechte wahrnehmen können, sich entfalten können. Hier! Wir sind die | |
anderen!, könnten die Grünen rufen – und mit Michelle Obama: „When they go | |
low, we go high!“ | |
Doch da ist nichts zu hören. Die Grünen wirken gestrig und ängstlich. Das | |
ergibt insgesamt eine Irritation, denn ihre Führungsriege ist modern und | |
jung. Würde man sie fragen, würden sie sich alle Feminist*in nennen, auch | |
die Männer. Warum tun sie es nicht laut und deutlich? „He for She“, schon | |
mal gehört, von der Kampagne, mit der Männer ihre männlichen Privilegien | |
für die Förderung der Rechte anderer nutzen? Die Grünen verkörpern ja | |
geradezu einen alternativen Männlichkeitsentwurf: Hier sind die | |
Detox-Männer gegen toxische Männlichkeit! Raus mit ihnen! | |
## It’s 2018! | |
Es ist ja heute gar nicht mehr so, dass Feminismus politisches Kassengift | |
wäre, wie noch vor kurzem. Es gibt Ansätze einer neuen Frauenbewegung – | |
durchaus auch europaweit. Und falls Sie noch nie etwas von feministischer | |
Außenpolitik gehört haben: Gerade hat sich das „Centre for feminist foreign | |
policy“ in Berlin gegründet, da kann man nachlesen, was das sein könnte. | |
Und nicht nur das: Die Mitte der Gesellschaft ist in diesen Fragen geradezu | |
feministisch eingestellt, sogar die CDU setzt Quoten durch. | |
Hier wollten die Grünen doch auf Fischfang gehen, warum tun sie es nicht? | |
Gratis und obendrauf könnte man zudem noch ein kräftiges Signal in Richtung | |
[4][neurechter Herrenreiter mit Dackelkrawatten] senden. | |
Aber das Führungsteam versteckt seinen Feminismus im Schrank. Als hätten | |
wir noch 2005 und Harald Martenstein würde die Geschlechterdebatte | |
dominieren. Als seien sie verängstigt durch 10 Jahre | |
Feminismusverdrossenheit. Es ist vorbei! It’s 2018!, möchte man ihnen | |
zurufen. Dass ausgerechnet die Grünen den neuen Feminismus liegen lassen, | |
der sie so wenig kosten würde und so viel einbrächte – erstaunlich ist das | |
schon. | |
9 Oct 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Gruene-streiten-ueber-Feminismus/!5531303 | |
[2] /Foerderung-von-Frauen-in-den-Medien/!5390313 | |
[3] /Feministische-Aussenpolitik-in-Schweden/!5530518 | |
[4] /Konkret-Magazin-in-Schwierigkeiten/!5537981 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
## TAGS | |
Schwerpunkt #metoo | |
Grüne | |
Feminismus | |
Frauenrechte | |
Pro Quote | |
#ausnahmslos | |
Feminismus | |
Bremische Bürgerschaft | |
Grüne | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Grüne streiten über Feminismus: Sorge um Sternchen und Kopftuch | |
Auf dem Frauenkongress der Grünen geht es um Intersektionalität und | |
Religion. Aktivistinnen der zweiten Welle finden die Jüngeren „infantil“. | |
Bremer Grünen-Nachwuchs über Ziele: „Politik machen, die Leuten weh tut“ | |
Die Bremer Grünen reservieren der Partei-Jugend zwei sichere Listenplätze | |
für die Bürgerschaftswahl 2019. Aber wofür stehen die beiden | |
aussichtsreichsten Newcomer? | |
Diskussion um neues Grundsatzprogramm: Grün ist der Feminismus | |
Am Freitag starten die Grünen ihren Programmprozess. Eine Gruppe von Frauen | |
fordert vorab: Frauenpolitische Fragen müssen im Mittelpunkt stehen. |