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# taz.de -- Roman von Nino Haratischwili: In einem Dorf während des Krieges
> Der Stoff ist großartig. Kann Nino Haratischwili ihn erzählen? Ihr Roman
> „Die Katze und der General“ spielt in Moskau, Tschetschenien und Berlin.
Bild: Ihr Roman steht auf der Shortlist für den deutschen Buchpreis: Nino Hara…
Manchmal gibt es vier, fünf Seiten, von denen man sich mehr wünscht. Zum
Beispiel der Geburtstag von Tina, in deren kleiner Berliner Wohnung sich
eine Migrantenszene aus Georgien trifft. Wie Nino Haratischwili da von
deren Enttäuschungen erzählt, von der professionellen Herabstufung, die
jeder der Intellektuellen in seinem neuen Leben erfahren hat, vom
kritischen Blick aufeinander, von der wachsenden Bedeutung einer
Vergangenheit, die man sich wieder und wieder erzählt, obwohl man doch
gerade gemeinsam hat, da unbedingt weggewollt, weggemusst zu haben, nach
dem Platzen der Träume von einer nachsowjetischen Demokratie, da glaubt man
bei jedem Satz, dass die Autorin diese Leute kennt, mit ihnen gefeiert und
mit ihnen gelitten hat.
Es ist viel Witz und viel Beiläufigkeit in diesen erfahrungssatten Seiten,
die mit leichter Hand in ein großes historisches Panorama eindringen.
Aber ach, all die dort beschriebenen Charaktere sind Nebenfiguren, nur
zwischen Seite 308 und 314 in dem 760 Seiten starken Roman „Die Katze und
der General“ von Nino Haratischwili zu finden. Ihre Erfindung ist
gewissermaßen Verschwendung in dem an Schauplätzen zwischen Moskau,
Tschetschenien und Berlin wechselnden Roman. Er spielt im
Tschetschenienkrieg Anfang der 1990er Jahre, und in der Gegenwart, und
kehrt immer wieder zurück zu der Ermordung des tschetschenischen Mädchens
Nura in einem Dorf während des Krieges, ein von der Armee und gerade reich
gewordenen Russen gedecktes Verbrechen.
Die Hauptfiguren sind die „Katze“, eine junge Schauspielerin, als Kind aus
Georgien nach Berlin gekommen, und der „General“, ein mit Immobilien reich
gewordener Russe. Was genau er mit dem Verbrechen zu tun hat, weshalb er
die Schauspielerin so obsessiv zu einer Doppelgängerin der Ermordeten
machen will, daraus wird schon mal die ersten 400 Seiten ein Geheimnis
gemacht. An entscheidender Stelle der Handlung kommt einfach ein Blackout.
So kann man Spannung auch erzeugen.
In Nino Haratischwilis vor vier Jahren erschienenem Roman „Das achte Leben“
ist man der Autorin gerne mit großer Spannung durch ein Jahrhundert der
Geschichte einer georgischer Familie gefolgt, weil man immer wieder voller
Trauer und voller Anteilnahme war über den vergeblichen Kampf um ein
persönliches Glück, stets geknickt von politischen und kriegerischen
Geschäften. Die Emotionen banden den Leser an die Figuren, das ließ über
literarische Schwächen hinwegsehen.
## Recherche als Kulisse
Das funktioniert diesmal längst nicht so gut. Zu konstruiert sind die
Figuren, zu klischee- und phrasenhaft teils ihre Beschreibung, zu
mystifiziert ihre Beweggründe. Das Leben von Alexander Orlow, des
russischen Oligarchen, den seine Beteiligung an dem Verbrechen keine Ruhe
lässt, ist ungefähr so ausgemalt, wie das der Bösewichte in
James-Bond-Filmen.
Ob er in seinem luxuriösen Pool auf einem Berliner Seegrundstück
Erinnerungen nachhängt, ob er seiner heißgeliebten Tochter Ada einen
venezianischen Palast schenkt, ob er sich wortlos mit einer treuen
russischen Dienerin verständigt oder mit seinem Spezialisten für
geräuschlose Beseitigung von Gegnern; stets bleibt er eine Hochglanzkopie,
die mit dem Wunsch nach der Auseinandersetzungen mit dem realen Schweigen
über reale Kriegsverbrechen nicht glaubwürdig verknüpft werden kann. Was
ihn antreibt, fragen sich nicht nur die, die er in sein Spiel der
Abrechnung verwickelt, es fragt sich auch der Leser. Die Handlung humpelt
über logische Abgründe.
Dabei hat die Autorin in Tschetschenien recherchiert, und wie sie in
[1][einem Spiegel-Interview] vom Alltag des Schweigens erzählt, von der
Unsichtbarkeit einer nicht lange zurückliegenden Geschichte, ist
unheimlich. Wie dort muslimische Traditionen zum Potential des Widerstandes
gegen russische Herrschaft werden, die sich überall als Propaganda zeigt,
[2][ist ein interessanter Stoff], der im Roman aber nicht über ein Ausmalen
als Kulisse hinauskommt.
Nura, dem jungen tschetschenischen Mädchen, das von den Russen vergewaltigt
und ermordet wird, ist der Prolog gewidmet. Man erfährt von ihrer Hoffnung,
vor dem Zwang zu einer Heirat mit einem sich gerade zum Glaubenskrieger
entwickelnden Mitschüler fliehen zu können; deswegen verkauft sie den
Russen heimlich Hühner und Eier, weil sie Geld für ihre Unabhängigkeit
braucht. Von ihrem Leben, von ihrem Dorf, von den Widersprüchen, mit denen
sie fertig werden muss, würde man gern mehr wissen; und weniger davon, was
„Katze“ sich vorstellt, was Nura jetzt denken würde.
Der Thriller, der in diesem Roman steckt, ist nicht wirklich gelungen. Er
wirkt wie ein Vorwand, das komplexe Thema, wie ein Krieg die Menschen
verändert und noch jahrelang in ihnen weiterlebt, dem Leser in einem
anderen Genre unterzujubeln. Eine Verpackung, die dann oft mit Sätzen
ausgewalzt wird, die einem Teil der Personen eine ganz besondere Tiefe und
tragische Größe anstricken will, aber dabei doch eher ambitionierter Kitsch
bleibt. Auf 760 Seiten ist eben viel Platz.
1 Oct 2018
## LINKS
[1] http://www.spiegel.de/kultur/literatur/nino-haratischwili-ueber-die-katze-u…
[2] /Shortlist-fuer-den-deutschen-Buchpreis/!5531589
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
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Georgien
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