# taz.de -- Debatte Wahl in Brasilien: Der Trump Brasiliens | |
> Sehnsucht nach einem starken Mann: Im größten Land Lateinamerikas liegt | |
> der Rechtspopulist Jair Bolsonaro im Präsidentschaftswahlkampf vorne. | |
Bild: Anhänger des rechtspopulistischen Kandidaten Jair Bolsonaro in Manaos im… | |
Das einst recht stabile politische System in Brasilien ist aus den Fugen | |
geraten. Bei der kommenden Präsidentschaftswahl am 7. Oktober droht den | |
mächtigen Konservativen und der politischen Mitte das Aus. An ihrer Stelle | |
führt der [1][rechtsextreme Ex-Militär Jair Bolsonaro] die Umfragen mit | |
deutlichem Vorsprung an. Vor allem für Wohlhabende und Gebildete scheint | |
der homophobe Sprücheklopfer die beste Option, die Rückkehr einer | |
fortschrittlichen Regierung an die Macht zu verhindern. | |
Zugleich steht die Linke in ungewohnter Geschlossenheit hinter einem | |
Kandidaten – Ex-Präsident Lula da Silva. Der darf allerdings nicht | |
kandidieren und erhält vor allem deswegen so viel Zuspruch, weil er | |
offenbar zu Unrecht und auch noch von seinen politischen Gegnern hinter | |
Gitter gebracht wurde. An seiner Stelle wurde Anfang September [2][Fernando | |
Haddad] ins Rennen geschickt. In Wahlslogans wie in der Wahrnehmung der | |
Brasilianer ist er der „Kandidat von Lula“. In den Prognosen für den | |
Urnengang ist er inzwischen auf Platz zwei geschnellt, Tendenz deutlich | |
steigend. | |
Ein Sieg Bolsonaros in der Stichwahl Ende Oktober gilt als | |
unwahrscheinlich. Keiner der Mitbewerber stößt auf derart breite Ablehnung | |
unter den Wahlberechtigten. Doch auszuschließen ist keinesfalls, dass der | |
„Trump Brasiliens“ die Demoskopen überrascht. Nachdem der frühere | |
Fallschirmjäger vor wenigen Wochen bei einer Messerattacke eines offenbar | |
verwirrten Angreifers verletzt wurde, steigt er in der Wählergunst. | |
Bolsonaro ist einer der ersten lateinamerikanischen Politiker, der sich mit | |
den Rechtspopulisten in Europa und anderswo vergleichen lässt. | |
Homosexuelle bezeichnet er als Gefahr für die Familie, die stets von einem | |
männlichen Oberhaupt angeführt werden sollte. Seine Reden sind mit | |
rassistischen Sprüchen gegen Nichtweiße gespickt. Eine Abgeordnetenkollegin | |
bezeichnete er als „zu hässlich, um vergewaltigt zu werden“. Dafür wurde … | |
rechtskräftig verurteilt. Sein Votum für die Amtsenthebung von Präsidentin | |
Dilma Rousseff 2016 widmete er dem Oberst, der sie einst während der | |
Militärdiktatur folterte. | |
## Mehr Waffen und tödliche Gewalt | |
Der 63-Jährige bedient die Sehnsucht vieler Brasilianer nach dem angeblich | |
starken Mann. Beim wichtigen Wahlkampfthema Kriminalität punktet er mit | |
seinem überzeugenden Versprechen, mit mehr Waffen und tödlicher Gewalt | |
gegen wirkliche und mutmaßliche Verbrecher vorzugehen. Anderen, eher | |
gemäßigten Unterstützern, gilt Bolsonaro als einziger Kandidat für einen | |
Wandel. Obwohl er seit langem in traditionellen wie korrupten Parteien | |
aktiv ist hat er das Image, eine Alternative zum derzeitigen Brasilien zu | |
sein, das von riesigen Korruptionsskandalen und einer schweren | |
Wirtschaftskrise geprägt ist. | |
Für die schlechte Stimmung im größten Land Lateinamerikas ist vor allem die | |
amtierende Regierung unter Michel Temer verantwortlich. Dabei war Temer | |
erst vor zwei Jahren im Zuge von Massendemonstrationen und einer gewissen | |
Aufbruchstimmung von rechts ins höchste Staatsamt gehievt worden. | |
Die breite Koalition von konservativen und Mitte-Parteien, die damals die | |
Regierung übernahm, steht jetzt mit dem Rücken zur Wand. In den vergangenen | |
zwei Jahren hat sie die drängenden ökonomischen Probleme nicht in den Griff | |
bekommen. Und der Makel eines korrupten Komplotts hängt Temer und den | |
Seinen bis heute an. Alle Kandidaten ihres Spektrums – darunter auch | |
Geraldo Alckmin von der Unternehmerpartei PSDB, die sich seit Ende der | |
Militärdiktatur 1985 mit der PT in einer Art Zweiparteiensystem | |
eingerichtet hat – schaffen nicht den Sprung in zweistellige Umfragewerte. | |
Die Polarisierung pro oder contra PT, die damals den Sturz von Rousseff | |
ermöglichte, fällt der traditionellen Rechten nun auf die eigenen Füße: | |
Mangels Erfolgen und Überzeugungskraft steht Brasilien nun vor einem neuen | |
Zweikampf, diesmal zwischen rechtsextrem und der PT, die den Machtverlust | |
vor zwei Jahren nicht zuletzt dank der Integrationsfigur Lula erstaunlich | |
gut überstanden hat. Alckmins Partei, die ehemalige Umweltministerin Marina | |
Silva und Temers Kandidat, Ex-Finanzminister Henrique Meirelles, warnen mit | |
tatkräftiger Unterstützung der Massenmedien unisono vor den Extremisten von | |
recht und links und merken dabei nicht, dass sie damit die Publicity vor | |
allem von Bolsonaro und jetzt Haddad noch beflügeln. | |
## Ungewöhnliche Allianzen | |
Im linken Spektrum führt die komplizierte politische Konjunktur zu | |
ungewöhnlichen Allianzen. Alle ihre Kandidaten und Parteien kritisierten | |
vehement die umstrittene Inhaftierung von Lula da Silva wegen Korruption | |
und sehen im Verbot seiner Kandidatur eine Demontage des Wahlrechts durch | |
rechte Justizkreise. Lula führte lange Zeit das Präsidentschaftsrennen mit | |
zuletzt 40 Prozent Umfragewerten uneinholbar an. Unter ihnen ist auch der | |
momentan drittplatzierte Ciro Gomes, der Lula im Gefängnis besuchte, doch | |
jetzt in direkter Konkurrenz zum PT-Kandidaten Haddad steht. | |
Für die von Vielen erhoffte gemeinsame Kandidatur von links hat es nicht | |
gereicht. Doch der Sturz von Dilma Rousseff und die Ausschaltung des | |
Ex-Gewerkschafters Lula hat zu einer recht übereinstimmenden Lesart der | |
Zeit nach Rousseffs Wiederwahl 2014 geführt: Ein Putsch der traditionellen | |
Rechten in mehreren Etappen, um die durchaus erfolgreiche Sozialpolitik der | |
PT zu diskreditieren und die Macht der Eliten erneut festzuschreiben. | |
Dabei bezieht sich die Einigkeit nur auf die Verteidigung von Demokratie | |
und Rechtsstaatlichkeit. Viele, die die PT-Regierungspolitik schon lange | |
kritisch sahen, sagen heute, sie wählen Haddad nur wegen Lula und Lula nur | |
wegen dessen Verfolgung. Sollte also ein Durchmarsch von Bolsonaro | |
verhindert werden, heißt dies mitnichten, dass ein gangbares | |
fortschrittliches Projekt in Aussicht steht. | |
30 Sep 2018 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Behn | |
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