# taz.de -- Die Wahrheit: Tagediebe im Fadenkreuz | |
> Wenn zwischen aufbrausenden Helikoptern und einfliegenden | |
> Helikoptereltern kein Kleinkind mehr passt, ist höchste Alarmstufe | |
> angesagt. | |
Helikopter …“, keuchte Raimund, als er auf uns zugerannt kam. Luis und ich | |
tranken Kaffee an einem der Stehtische vor der Bäckerei Brüser und zogen | |
unwillkürlich die Köpfe ein, weil wir befürchteten, gleich Wagners | |
„Walkürenritt“ und Robert Duvalls Luftkavallerie aus „Apocalypse Now“ … | |
Tiefflug heranknattern zu hören. Aber Raimund war noch nicht fertig: „… | |
eltern!“, vollendete er, was uns allerdings nur wenig beruhigte, denn ganz | |
egal, ob nun Helikoptereltern durchs Viertel streiften oder amerikanische | |
Luftstreitkräfte am Himmel auftauchten: In Lebensgefahr befand man sich so | |
oder so. | |
„Stimmt“, sagte Luis, „Schule hat ja vor kurzem angefangen.“ Seit Jahren | |
terrorisierten die Helikoptereltern außerhalb der Ferien die Gegend rund um | |
die Goetheschule: Es empfahl sich, schon beim Brötchenholen hellwach zu | |
sein, um sich gegebenenfalls mit einem beherzten Sprung in einen | |
Müllcontainer zu retten, da jederzeit ein Porsche Cayenne über den | |
Bürgersteig schießen konnte, in dem eine Mutter saß, die ihre Brut direkt | |
bis ans Schultor bringen wollte. Am Mittag dann verstopften die | |
SUV-Tiefflieger wieder alle Straßen, und wer zu dieser Zeit bei Rot die | |
Schillerstraße überquerte, musste – selbst wenn gar keine Kinder in der | |
Nähe waren – darauf gefasst sein, geteert und gefedert zu werden. | |
„Also“, sagte Luis, „seid vorsichtig, wenn …“ Aber Raimund unterbrach… | |
„Guckt mal, das ist ja Sven!“, rief er. Jahrelang hatte Sven mit uns nachts | |
an der Theke des Café Gum gestanden und Bier getrunken. Dann aber hatte er | |
eine viel zu junge Frau kennengelernt, ein Kind gezeugt, ein Haus gebaut | |
und wahrscheinlich auch einen Baum gepflanzt. Aus unserer Welt aber hatte | |
er sich schlagartig verfatzt. | |
## Svennie freute sich nicht | |
„Mensch, Svennie, wir haben uns ja ewig nicht gesehen!“, sagte Raimund | |
erfreut. Aber Svennie freute sich sichtlich nicht. „Ich hab's ja gesagt: | |
Keine hundert Meter von der Schule entfernt!“, fauchte er: „Wie viel Geld | |
haben wir in unsere Kids investiert?! Meine Philomena ist gestern | |
eingeschult worden, und sie spricht schon fließend Englisch und Chinesisch. | |
Ich habe immer nur die teuersten Privatlehrer engagiert, damit sie gute | |
Chancen hat, Vorstandsvorsitzende bei Daimler oder Nato-Generalsekretärin | |
zu werden. Aber was wird passieren, wenn sie hier vorbeikommt und euch | |
Taugenichtse sieht, die den Tag mit Biersaufen verplempern?! Sollen das die | |
Vorbilder für unsere Kinder sein, Männer?!“ | |
Er meinte das völlig ernst und wandte sich jetzt zu den anderen Vätern um, | |
die ihn begleiteten und geschlossen den Fluchtweg Richtung Goetheplatz | |
versperrten. Ein empörtes Gemurmel erhob sich, der beißende Geruch von | |
flüssigem Teer wehte herüber und ich überlegte, ob ich versuchen sollte, | |
auf mildernde Umstände zu plädieren, da wir ja immerhin um diese Zeit noch | |
kein Bier vor uns stehen hatten. Nun gut, der eine kleine Ramazzotti zur | |
Verdauung am Mittag. Der hatte doch vorbildlich geschmeckt. | |
25 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Joachim Schulz | |
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