| # taz.de -- Neues Album von US-Künstlerin Mitski: Perlen ohne Wurzeln | |
| > Beziehungsknatsch zwischen Pop und Ambient: Die US-Künstlerin Mitski und | |
| > ihr widerborstiges neues Album „Be the Cowboy“. | |
| Bild: Sitzt immer am Steuer: Mitski | |
| Das kennt wohl jeder aus seinem Freundeskreis: ein Paar, für sich genommen | |
| nette Menschen, die aber Ungutes zusammenhält. Ständig fliegen die Fetzen. | |
| Und trotzdem feiern sie ihre Symbiose, reden sich den muckeligen Mief | |
| schön. Die japanisch-amerikanische Künstlerin Mitski beschreibt ein solches | |
| Szenario in ihrem Song „Me And my Husband“ auf dem neuen Album „Be The | |
| Cowboy“ – und grundiert es mit der Erkenntnis, dass wir sterblich sind, | |
| dass unsere Erinnerungen mit uns verschwinden werden. | |
| Nun, vielleicht braucht ein jeder seinen Anker, sei er noch so toxisch. Wie | |
| Mitski diesen Selbstbetrug bewertet, bleibt in der Schwebe, wie so einiges | |
| in ihrem vielschichtigen Werk. Doch Grund für einen Seufzer liefert das | |
| Gedankenspiel allemal: Mit dem, einem ganz tiefen, steigt Mitski in dieses | |
| bei aller Beschwingtheit fast unheimliche Stück ein. | |
| Auch die 13 anderen Songs auf „Be The Cowboy“ sind Vignetten, die weniger | |
| eine Geschichte erzählen, als dass sie Momente in Beziehungen beschreiben – | |
| die sich trotz ihrer Luftigkeit im Gedächtnis der Rezensentin festgebissen | |
| haben. Nur drei der Songs knacken die Drei-Minuten-Marke, die meisten | |
| dauern um die zwei Minuten. Und machen dabei doch ganze Welten auf. | |
| ## Intime Erzählstimme | |
| Mitskis Erzählerstimme wirkt intim und ist dabei weit weg von der | |
| bekenntnishaften Innerlichkeit, die den Indie-Rock der neunziger Jahre | |
| prägte. An dieses Genre dockt Mitski musikalisch zwar an, überführt es mit | |
| Ambient und Pop-Anleihen, vor allem aber ohne den Glauben an Katharsis, in | |
| die Gegenwart. | |
| Ihre Kompositionen wirken unangestrengt. Zugleich sind die Stücke komplex | |
| gebaut, gradlinig nur auf den ersten Blick. Im Auftaktsong „Geyser“ etwa | |
| baut Mitski drei Motive auf, führt sie zusammen und versenkt sie in einem | |
| Strudel aus Geigen und Gitarren. Auf Textebene gelingt ihr eine Balance | |
| zwischen dem Blick nach außen und dem Hineinhorchen ins eigene Ich. Oder | |
| das Ich anderer. | |
| Mitski nimmt innerlich Abstand und schaut trotzdem genau hin. In dem | |
| neurotisch anmutenden „Why Didn’t You Stop Me“ etwa fragt sie, warum ihr | |
| Gegenüber bitteschön nicht um sie gekämpft hat, als sie Schluss gemacht | |
| hat. „I know that I ended it, but / Why won’t you chase after me / You know | |
| me better than I do / So why didn’t you stop me.“ | |
| ## Absurdes Treiben | |
| Es geht bei Mitski immer auch um die Absurdität menschlichen Treibens. Auch | |
| der Song „A Pearl“, über eine Beziehung voll widerstreitender Gefühle, | |
| schenkt dem Hörer ein so surreales wie eindrückliches Bild: das einer im | |
| Kopf umherrollenden Perle, die für das Nachglühen eines Konflikts steht, | |
| bei dem das lyrische Ich nicht mitbekommen, dass das Gegenüber längst | |
| ausgestiegen ist. „It’s just that I fell in love with a war / And nobody | |
| told me it ended / And it left a pearl in my head / And I roll it around / | |
| Every night, just to watch it glow.“ | |
| „Be The Cowboy“ ist das fünfte Album von Mitski Miyawaki. Die 27-Jährige | |
| hält sich bedeckt, was sie jenseits ihrer Musik antreibt. Auch was ihr | |
| Vater beruflich macht, weshalb sie in ihrer Jugend dauernd umzog und in | |
| insgesamt 13 Ländern lebte, gibt sie nicht preis. Die USA erwiesen sich | |
| dann auch nicht als die Heimat, die sie sich in ihrer unsteten Jugend | |
| erträumt hatte. Trotzdem studierte sie Komposition in New York und brachte | |
| zwei folk- und klavierbasierte Alben auf ihrem eigenen Label heraus. | |
| Größere Aufmerksamkeit gab es 2014 für „Bury Me at Makeout Creek“, mit d… | |
| sie sich auf besagtes Indierock-Terrain begab – das bei ihr aber einen | |
| doppelten und dreifachen Boden hat. | |
| Identitätswirren, Wurzellosigkeit und Einsamkeit ziehen sich als Themen | |
| durch ihr Gesamtwerk, auch auf dem Durchbruchalbum „Puberty 2“ (2016), in | |
| dem sie das Thema Pubertät nachträglich beackerte. Allzu bekenntnishaft | |
| sollte man Mitskis Erzählperspektive jedoch nicht deuten. In Interviews zum | |
| neuen Album ärgert sie sich über die Rezeption ihrer Songs, die vermutlich | |
| eine andere wäre, wenn ein Mann sprechen würde: Die Vorstellung, dass ihre | |
| Texte ein ungefilterter, als authentisch zu verstehender Selbstausdruck | |
| sind, dass da eine einsame Seele durch Musik Schwäche in Stärke verwandelt, | |
| nehme ihr die „Autorität und Autonomie als Künstlerin“ – und sei eine | |
| Beleidigung ihrer Intelligenz. | |
| Der Zuspruch, den sie in den letzten Jahren erfahren hat, macht sie eher | |
| misstrauisch. Mitski geht es weniger um Selbstausdruck als um | |
| Selbstermächtigung, das wird mit jedem Hören ihrer in viele Richtungen | |
| offenen Songs deutlicher. So ist wohl auch der Albumtitel „Be The Cowboy“ | |
| zu deuten, keiner der Songs trägt diesen Titel. Ihre Selbstermächtigung | |
| betreibt sie nicht mit plumpen Slogans. Sondern macht sie möglich, indem | |
| sie Räume für Gedankenspiele aufmacht. Neben tollen, mit jedem Hören | |
| interessanter werdenden Songs ist das Mitskis größter Verdienst: ein | |
| frischer Blick auf ausgelatschte Beziehungspfade. | |
| 2 Sep 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Stephanie Grimm | |
| ## TAGS | |
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