# taz.de -- TV-Serie „Krieg der Träume“: Verfilmte Geschichtsstunde | |
> Europäische Sender haben gemeinsam eine TV-Serie über die Zeit zwischen | |
> den Weltkriegen gedreht. Sie erzählt von Aufbruch, Utopien und | |
> Niederlagen. | |
Bild: Michalina Olszanska als Pola Negri in „Krieg der Träume“ | |
Wenn in Deutschland von der Zeit zwischen den Weltkriegen die Rede ist, | |
dann ist das in der Regel von einem unheilvollen Unterton geprägt. Die Zeit | |
wird gern verengt auf den Untergang der Weimarer Republik und die | |
Machtübernahme der Nationalsozialisten. | |
Zum Bild der Zwischenkriegszeit gehören aber auch andere Aspekte: Frauen | |
beginnen, für ihre Rechte zu kämpfen, die Zeit der Sexualaufklärung | |
beginnt, der antikoloniale Kampf nimmt seinen Anfang, und das Kino erlebt | |
eine Aufbruchphase. Die „utopischen Momente“ jener Zeit würden oft „unter | |
den Teppich gekehrt“, sagt Daniel Schönpflug, Professor für Geschichte der | |
Freien Universität Berlin. | |
Der Historiker hat als Berater einer aufwendigen Doku-Serie fungiert, die | |
sowohl die politisch krisenhaften Entwicklungen als auch die | |
gesellschaftlichen und kulturellen Aufbrüche im Blick hat. Im | |
deutschsprachigen Raum heißt sie „Krieg der Träume“, aber der | |
internationale Titel „Clash of futures“ trifft die Sache etwas besser. Arte | |
zeigt die Serie ab Dienstag in acht 52-minütigen Folgen, die ARD setzt | |
später auf eine andere Portionierung (dreimal 90 Minuten). | |
Mehr als 30 Partner haben für das von der Produktionsfirma Looksfilm | |
initiierte Projekt Geld beigesteuert, neben Arte und vier ARD-Anstalten | |
(NDR, RBB, SWR, WDR) mehrere öffentlich-rechtliche Sender Skandinaviens, | |
ein DVD-Label und verschiedene Förderinstitutionen. In 15 Ländern wird die | |
Serie ausgestrahlt – nicht nur in Europa, auch in Kanada. 10 Millionen Euro | |
habe die Serie gekostet, sagt Looksfilm-Geschäftsführer Gunnar Dedio, der | |
„Production Value“ sei aber „anderthalb bis zweimal so hoch“. Mit ander… | |
Worten: Die Serie sieht nach seiner Ansicht teurer aus, als sie ist. | |
Drehbuchautor, Showrunner und Regisseur von „Krieg der Träume“ ist Jan | |
Peter, der auch beim Vorgängerprojekt „14 – Tagebücher des Ersten | |
Weltkrieges“ involviert war. Insgesamt waren in den Bereichen Buch, | |
Dramaturgie und Regie fünf Personen beteiligt, der betreuende Stab von | |
Redakteur*Innen bestand sogar aus 18 Personen. Dedio sagt, die | |
Zusammenarbeit habe „viel Diplomatie“ erfordert. Jeder Partner hatte den | |
Anspruch, die Geschichte seines Landes in aus der eigenen Sicht | |
angemessener Weise repräsentiert zu sehen. Zudem galt es, verschiedene | |
Fernsehtraditionen unter einen Hut zu bringen. | |
## Geschichte jeweils anders erlebt | |
„Krieg der Träume“ basiert auf von Historikern so genannten | |
„Ego-Dokumenten“, also Briefen, Tagebüchern und anderen Selbstdarstellungen | |
historischer Personen, aus denen die Macher dann Spielszenen | |
herausarbeiten. Beim ähnlich angelegten Achtteiler „14 – Tagebücher des | |
Ersten Weltkrieges“ gab es noch einen Off-Erzähler. Darauf hat man dieses | |
Mal verzichtet. Berater Schönpflug sieht in „Krieg der Träume“ einen | |
„Versuch, mit geschichtlichem Material so nah wie möglich an die | |
Sehintensität einer fiktionalen Serie heranzukommen“, und dabei wäre ein | |
Erzähler möglicherweise hinderlich. | |
Beim herkömmlichen Geschichtsfernsehen versuche man, sich über „ein | |
Gegeneinander von Positionen verschiedener Historiker der Wahrheit | |
anzunähern“, sagt Schönpflug. Bei „Krieg der Träume“ entstehe dagegen … | |
Gegeneinander der Blickwinkel der Akteure“. Mit dieser | |
„Multiperspektivität“ trage man auch der Tatsache Rechnung, dass Alte und | |
Junge, Arme und Wohlhabende Geschichte jeweils anders erlebt haben. | |
Schönpflug verficht die These, dass dann, wenn man zeigt, wie Menschen ihre | |
eigene Geschichte gerade erleben, Fernsehen entsteht, das dokumentarischer | |
ist als herkömmliche Geschichts-TV-Formate. In denen interpretieren und | |
ordnen oft Historiker mit dem Wissen über den weiteren Verlauf der | |
Geschichte im Nachhinein das Geschehen ein. | |
An sein 2017 erschienenes Buch „Kometenjahre. 1918: Die Welt im Aufbruch“, | |
das teilweise zu der Zeit entstanden ist, als er die ARD/Arte-Produktion | |
beraten hat, ist Schönpflug ähnlich herangegangen wie die Filmemacher. | |
Teilweise überschneiden sich die Protagonist*innen: Die einstige | |
Kosakensoldatin Marina Yurlova, die in die USA aufbricht, um | |
Balletttänzerin zu werden, taucht hier wie dort auf, ebenso Rudolf Höß, der | |
Mai 1940 bis November 1943 Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz | |
war. Und wir lernen Nguyen Ai Quoc kennen, der viel später als | |
vietnamesischer Präsident unter dem Namen Ho Chi Minh bekannt werden | |
sollte. | |
## Rudolf Höß' Probleme | |
Er kommt 1918 nach Frankreich, weilt von 1923 bis 1924 in der Sowjetunion, | |
sein Traum von einem unabhängigen Vietnam beginnt hier Formen anzunehmen. | |
Nguyen Ai Quoc gehört zu den faszinierenden Figuren der Serie, weil sie den | |
Gedanken weckt, dass es anregend sein könnte, sich mal wieder mit | |
antikolonialer Geschichte zu beschäftigen. | |
Mindestens problematisch ist die Darstellung der Figur Höß. Das | |
Gestaltungsprinzip von „Krieg der Träume“ bringt es mit sich, dass man hier | |
auch etwas von den Problemen mitbekommt, die der Mann hatte, bevor er zum | |
Massenmörder wurde. Das aber führt zu dem Gedanken, dass in solchen Szenen | |
beim Zuschauer ein unangebrachtes Mitgefühl entsteht. | |
Wie die Macher von „Krieg der Träume“ mit dokumentarischem Material | |
umgehen, ist, vorsichtig formuliert, gewöhnungsbedürftig. Es erinnert an | |
den Umgang mit (Sound-)Zitaten in der Popmusik. Was dort belebend und | |
selbstverständlich ist, hat hier einen unangenehmen Beigeschmack. Natürlich | |
soll keineswegs kleingeredet werden, wie schwierig es für die | |
Archivdurchwühler von Looksfilm, die Chef Dedio als „Nerds“ bezeichnet, | |
war, genau den richtigen Schnipsel zu finden, der an der jeweiligen Stelle | |
in die Erzählung passt. Aber man kann Bilder aufmarschierender Nazis oder | |
britischer Faschisten nicht wie Soundschnipsel aus dem Steinbruch der | |
Popgeschichte behandeln. Der Anteil herkömmlicher dokumentarischer | |
Elemente ist hier ohnehin so gering, dass man auch gut darauf hätte | |
verzichten können. | |
## Keine Ordnung im Chaos | |
In den „Nachgedanken“ zu seinen „Kometenjahren“ benennt Schönpflug die | |
Risiken der bei „Krieg der Träume“ praktizierten Geschichtsdarstellung: Zu | |
den „Herausforderungen“ des Buchs zähle „die Beantwortung der Frage, wie | |
weit ein Historiker sich auf Subjektivität einlassen darf“. Jemand wie Höß | |
habe „aus Gründen der Selbstrechtfertigung Tatsachen einseitig dargestellt | |
oder sogar bewusst verfälscht“. | |
Schönpflugs Fazit: „Ob der Preis für erzählerische Dichte, nämlich dass | |
ambivalente Figuren im vergleichsweise milden Licht der Selbstbeschreibung | |
zu positiv erscheinen, zu hoch ist, mag der Leser entscheiden.“ | |
Eine solche Entscheidung muss auch der Zuschauer von „Krieg der Träume“ | |
treffen. „Wir versuchen nicht, Ordnung ins Chaos zu bringen“, sagt | |
Produzent Dedio. Die Serie stelle „hohe Erwartungen an den Zuschauer“, weil | |
der nicht die „fertig eingetütete Wahrheit“ präsentiert bekomme und sich | |
„im Kopf selber etwas zusammensetzen“ müsse, ergänzt Berater Schönpflug. | |
Daher, findet er, sei „Krieg der Träume“ auch „anspruchsvoller“ als | |
herkömmliches Geschichtsfernsehen. | |
11 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
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