# taz.de -- Konfrontation in Chemnitz: Die zerrissene Seele einer Stadt | |
> In Chemnitz haben Nazis gezeigt, wer sie sind. Viele Leute versuchen nun, | |
> das Bild einer weltoffenen Stadt dagegenzusetzen. | |
Bild: Eines wenigstens ist sicher: Auch Marx war weder grau noch braun | |
CHEMNITZ taz | „Am Montag sind wir überrannt worden“, sagt Randy Fischer. | |
„Aber jetzt wird das anders.“ Fischer ist Geschäftsführer des Chemnitzer | |
Clubs Atomino, eine Institution. Die Band Kraftklub wurde im Atomino groß, | |
bevor sie 2012 den Durchbruch schaffte. | |
Chemnitz, das muss man sagen, sah in dieser Woche manchmal ganz schön | |
scheiße aus. [1][Rechtsextreme Hooligans machten Jagd auf Migranten und | |
Gegendemonstranten], bürgerliche Anwohner standen Seite an Seite mit | |
Neonazis, die den Hitlergruß zeigten. | |
Doch seit die Situation am Montag eskalierte, arbeiten viele mit Hochdruck | |
daran, ein anderes Bild von der Stadt zu zeigen. Die nächsten Tage werden | |
entscheidend dafür sein. Da ist das große [2][Konzert am Montagabend]: | |
sieben Acts, darunter natürlich Kraftklub. Die Bands, die mitmachen, geben | |
vorab dazu keine Interviews – das Ganze sei eine gemeinsame | |
Kraftanstrengung, heißt es. | |
„Wir sind mehr“ lautet das Motto für Montag. Eine Ansage nicht ohne Risiko: | |
Mindestens 6.000 Teilnehmer waren am letzten Montag bei der | |
flüchtlingsfeindlichen Demonstration, die damit zu einem der größten | |
rechtsextremen Aufmärsche der letzten Jahre wurde. Will Chemnitz zeigen, | |
dass es anders kann, müssen es mehr werden. Zumindest auf Facebook | |
interessieren sich schon hunderttausend für die Veranstaltung. | |
## Das andere Chemnitz | |
Seit 1999 gibt es das Atomino, gegründet von Jan Kummer, seit den 1980ern | |
einer der umtriebigsten Köpfe der Chemnitzer Kulturszene und Vater von | |
Felix und Till Kummer, zwei Fünfteln von Kraftklub. In der Chemnitzer | |
Lokalpresse wird das Atomino „Kultclub“ genannt, Randy Fischer betont: „W… | |
machen kein linkes Nischenprogramm, sondern sprechen alle an mit dem, was | |
wir tun.“ | |
Das Atomino steckt auch hinter der Konzertreihe „Rock am Kopp“, die es in | |
Chemnitz seit 2016 gibt. Der Kopp ist das Karl-Marx-Monument. An den | |
kommenden vier Montagen soll der Platz rund um den Nischel, wie das Denkmal | |
in Chemnitz heißt, jetzt wieder zum Umsonst-und-draußen-Festival werden | |
statt zum Aufmarschort gewalttätiger Neonazis. Das Konzert mit Kraftklub, | |
den Toten Hosen, Feine Sahne Fischfilet und anderen am Montag ist nur der | |
Auftakt. „Die Solidarität in der Musikszene ist riesig“, sagt Fischer, es | |
gebe bereits eine ganze Reihe von Angeboten für Auftritte. | |
Auch am [3][Samstag gibt es in Chemnitz ein Konzert]: Die Band Madsen | |
spielt um 15 Uhr an der Johanniskirche im Chemnitzer Stadtzentrum. „Herz | |
statt Hetze“ ist das Motto. Das ist die zentrale Gegenkundgebung zu den | |
Demos von AfD und Pegida sowie Pro Chemnitz, die ebenfalls für | |
Samstagnachmittag in Chemnitz angekündigt sind. Viele Gruppen, auch die | |
CDU, rufen zu der Gegenkundgebung auf. | |
Es gibt ihn also, den Ruck durch die Chemnitzer Zivilgesellschaft, das | |
Zusammenhalten und das Aufstehen, das diese Woche viele forderten. | |
Trotzdem: Wie das in den nächsten Tagen ausgeht, ist nicht ausgemacht. | |
## „Die Stimmung war unerträglich“ | |
Denn da ist noch der Schock über das, was am Montagabend passiert ist. Der | |
sitzt tief, auch bei Fischer, auch bei anderen, die Chemnitz und die rechte | |
Szene dort seit Jahren kennen. | |
Marion Köster etwa, in Sachsen geboren, vor 13 Jahren nach Chemnitz | |
gezogen, Studentin an der Technischen Universität, hochschulpolitisch | |
aktiv. Die 33-Jährige war am Montag mit ihrer Tochter beim Gegenprotest, | |
bis sie gehen musste: „Die Stimmung war unerträglich, was einem dort an | |
Aggression und Gewalttätigkeit entgegenschlug, das konnte man kaum | |
aushalten“, sagt sie. Köster war dabei, wenn gegen den Chemnitzer | |
Pegida-Ableger demonstriert wurde, bei Protesten in Dresden und in | |
Heidenau, aber so was habe sie noch nicht erlebt. Randy Fischer erzählt, er | |
habe sich bei allen Anti-Nazi-Demos, bei denen er in den neunziger Jahren | |
dabei war, geschützter gefühlt als am letzten Montag. | |
Sie freue sich über die kommenden Protestveranstaltungen, sagt Köster, sie | |
freue sich auch, dass viele, die längst aus Chemnitz weg sind, nun anrufen | |
und nach Übernachtungsplätzen fragen. Doch sie sagt auch: Ob sie hingehen | |
wird, das weiß sie noch nicht. „So etwas wie am Montag will ich meinen | |
Kindern nie wieder zumuten.“ | |
Köster heißt eigentlich anders. In Chemnitz ist sie unter ihrem richtigen | |
Namen für ihr Engagement bekannt – dass der nicht in der Zeitung stehen | |
soll, liegt kurz gesagt daran, dass sie damit nicht nur gute Erfahrungen | |
gemacht hat. | |
## Pegida-Ableger ging die Puste aus | |
Denn auch das gehört zum Bild: „Es gibt in Chemnitz viele Menschen, die | |
sich gegen rechts engagieren – aber die Hegemonie ist auf der anderen | |
Seite“, sagt Köster. So ähnlich wie [4][das „Sachsengespräch“ mit Mich… | |
Kretschmer] würden auch die Einwohnerversammlungen verlaufen, die die | |
SPD-Bürgermeisterin Ludwig bereits seit Jahren regelmäßig veranstaltet, was | |
Köster ihr hoch anrechnet. Diejenigen, deren Lieblingssatz „Man wird ja | |
wohl noch sagen dürfen“ lautet, hätten dort die überwältigende Mehrheit. | |
In Chemnitz gebe es beides, sagt Köster: Schulen, an denen | |
Antidiskriminierungsprojekte abgebrochen werden müssten, weil die rechten | |
Schüler dort den Ton angeben; und junge Menschen, die 2015 und 2016 Montag | |
für Montag gegen den lokalen Pegida-Ableger auf die Straße gingen, bis dem | |
schließlich die Puste ausging. „Das zu sehen war ein Hoffnungszeichen“, | |
sagt Köster. | |
Die nächsten Tage wird Deutschland noch auf Chemnitz schauen. Aber danach | |
wird der Kampf um das, was Chemnitz ist, noch lange nicht vorbei sein. | |
1 Sep 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Chemnitz/!t5027409 | |
[2] /Wir-sind-mehr-Festival-in-Chemnitz/!5532422 | |
[3] /Geplante-Demos-in-Chemnitz/!5532702 | |
[4] /MP-Kretschmer-trifft-Buerger-in-Chemnitz/!5532574 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
## TAGS | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Sachsen | |
Chemnitz | |
Rechtsextremismus | |
Polizei Sachsen | |
Polizei Sachsen | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
zeitgenössische Kunst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
MDR-Diskussion mit Neonazi: Bürgermeisterin sagt ab | |
Nach Kritik an der Teilnahme eines Rechtsextremen an einer | |
MDR-Podiumsdiskussion haben zwei eingeladene Gäste ihre Zusage | |
zurückgezogen. | |
Polizeibilanz zu Demos in Chemnitz: 37 Strafanzeigen und 18 Verletzte | |
Nach den Protesten am Samstag in Chemnitz hat die Polizei ihre Zahlen nach | |
oben korrigiert. Demnach gab es 37 Strafanzeigen und 18 Verletzte. | |
Rückblick Demos in Chemnitz: Rechte waren fassungslos | |
Die Polizei beendete die Demo von AfD, Pegida und Pro Chemnitz. Dann kippte | |
die Stimmung, die Polizei konnte eine Eskalation verhindern. | |
Abschluss Liveticker zu Chemnitz-Demos: Siegerstimmung bei Gegendemo | |
Die Demonstranten für Offenheit und Demokratie freuen sich: AfD und Pro | |
Chemnitz konnten ihre Routen nicht laufen. Der genaue Ablauf hier in | |
unserem Liveticker. | |
Geplante Demos in Chemnitz: „Entschlossen für Demokratie“ | |
Wieder stehen Demonstrationen in Chemnitz an. Neue Ausschreitungen sind | |
möglich. Die Polizei will diesmal mit einem Großaufgebot dagegenhalten. | |
Was Kulturschaffende in Chemnitz sagen: Den Diamanten schleifen | |
Die Stadt vor ihren vermeintlichen Verteidigern retten: Das wollen Ingrid | |
Mössinger und Frédéric Bußmann von den Kunstsammlungen Chemnitz. | |
Kolumne Macht: Es reicht! | |
Auch eine liberale Gesellschaft definiert sich durch die Grenzen, die sie | |
zieht. Wer Rassismus propagiert, mit dem kann man kein Gespräch führen. |