| # taz.de -- #MeToo-Affäre in Arbeitsagentur: Frau B. und ihr armer Kollege | |
| > Ein Mitarbeiter einer Berliner Agentur für Arbeit belästigt seine | |
| > Kollegin. Die Vorgesetzten schützen den Täter. Jetzt landet der Fall vor | |
| > Gericht. | |
| Bild: Belästigte Mitarbeiterin gekündigt: Agentur für Arbeit | |
| BERLIN taz | „Ich werde dich ficken! Ich werde dich ficken!“, schreit der | |
| Kollege Frau B. an. Das ist der Anfang der Geschichte. Am Ende steht eine | |
| Entlassung. Entlassen wird nicht der Kollege. Entlassen wird Frau B. Eine | |
| [1][#MeToo]-Geschichte. | |
| Er war nicht bei sich, der Kollege, der Frau B. in der Agentur für Arbeit | |
| in Berlin-Mitte an dem Tag gegenüber saß. Schon zuvor, beim Umtrunk mit der | |
| Kollegin, die ihre Entfristung feierte, hatte er ihr über den Nacken | |
| gestrichen. Sie dreht sich um und denkt: „Wie sieht der denn aus?“ Er hat | |
| getrunken, er wirkt wirr. „Wie ein anderer Mensch“, sagt Frau B. Später | |
| wird sie hören, dass er psychotisch sei und seine Medikamente abgesetzt | |
| hatte. Zudem trockener Alkoholiker. Nach einem Krach mit seiner Frau ist er | |
| so desolat zur Arbeit erschienen. Und später, am Tisch gegenüber, brüllt er | |
| plötzlich los. | |
| Unberechenbar erscheint er ihr nun. Ihre Kollegin, die ihr in diesem Raum | |
| etwas erklärt hat, und sie verlassen das Zimmer. Zum Chef, schnell zum | |
| Chef. Der muss aber gerade zu einem Termin. Frau B. merkt, wie ihr ganz | |
| merkwürdig wird. Ein unkontrollierter, brüllender Mann. So einen kennt sie. | |
| Von zu Hause. Der Vater war so. Die Familie hat ihn eines Tages verlassen. | |
| Am nächsten Tag geht sie ganz früh zur Arbeit, um den Teamleiter zu | |
| erwischen. Der sagt: „Ich war nicht dabei. Da kann ich gar nichts machen.“ | |
| Und dass der Kollege Alkoholiker sei. „Das ist eine anerkannte Krankheit“, | |
| erklärt er: „Um den Kollegen müssen wir uns jetzt kümmern.“ | |
| ## Kein Schutz | |
| Frau B. geht innerlich unter. Da ist der unkontrollierte Mann. Und da ist | |
| offenbar kein Schutz. Der Kollege sitzt im Nachbarraum, jederzeit kann er | |
| herein kommen. Jederzeit kann sie ihm auf dem Gang begegnen. Sie kann gar | |
| nicht mehr aufhören zu weinen. Sie kann auch kaum noch arbeiten. Nochmal | |
| zum Teamleiter. Der schickt sie zur Psychologin. Die Psychologin sagt: | |
| „Gehen Sie nach Hause, lassen Sie sich krankschreiben. Sie können nicht | |
| arbeiten.“ | |
| Frau B. will vorher noch mit dem Chef sprechen. Der hätte sich inzwischen | |
| mit der Führungsetage verständigt, sagt er. Man sei sich einig: Dem | |
| Kollegen müsse geholfen werden. Sie selbst dürfe über den Vorfall auf | |
| keinen Fall sprechen. Sonst drohten „arbeitsrechtliche Konsequenzen“. | |
| Frau B. erzählt das alles in einem kleinen Café in Berlin. Sie ist wieder | |
| einigermaßen stabil, nach einer langen Therapie. Drei Jahre ist die Sache | |
| her. Sie ist eine junge, freundlich wirkende Frau, schlank, wie gerade dem | |
| Studium entwachsen sieht sie aus. Sie kann jetzt ruhig erzählen. Von den | |
| Panikattacken, die dann kamen. Wie sie monatelang nicht mehr vor die Tür | |
| kam, aus Angst vor Angriffen. Wenn sie erzählt, wie es sich draußen für sie | |
| anfühlt, wenn gegenüber eine Gruppe alkoholisierter Männer entlang läuft, | |
| werden die Augen noch feucht. Die Therapeutin hat mit ihr geübt: rausgehen, | |
| sich der Angst stellen. Abends, nach Dienstschluss ist sie zum Jobcenter | |
| gefahren, ist dort herum gewandert, um die Furcht vor dem Haus zu | |
| verlieren. Jedes Mal eine Expedition ins Land der Angst. | |
| Irgendwann läuft das Krankengeld aus, eine Begutachtung beim | |
| Arbeitsmedizinischen Dienst. Wann kann sie wieder arbeiten? In dem Gebäude, | |
| in dem der Kollege sitzt? Gar nicht. In einer anderen Zweigstelle? Wo kann | |
| sie sich geschützt fühlen? Das ist ihre wichtigste Frage. Sie schlägt ein | |
| Haus vor, in dem ein lieber Kollege arbeitet. Dort ist keine Stelle frei. | |
| In einem anderen Haus, das ihr vorgeschlagen wird, hat sie schon mal einen | |
| Übergriff erlebt. Auch dort geschah nichts. Ja, dafür gibt es Zeugen. Dort | |
| will sie also auch nicht hin. Langsam kehrt ihr Kampfgeist zurück. Es kann | |
| doch nicht sein, dass sie allein alles auszuhalten hat? Dass ein | |
| Arbeitgeber sie so im Stich lassen kann? | |
| ## Anruf aus Nürnberg | |
| Schließlich, es ist Anfang 2018, bricht sie das Schweigegebot und schreibt | |
| an das Bundesministerium für Arbeit, das doch für die Arbeitsagentur | |
| zuständig sein sollte, schildert ihren Fall. Das Ganze harre noch der | |
| Aufklärung, schreibt sie. Was die Agentur für Arbeit, was das Ministerium | |
| unter Fürsorgepflicht verstehe, wüsste sie gerne. Wie es sein könne, dass | |
| ihr gedroht worden sei, anstatt die Situation zu klären? | |
| Es dauert nicht lang, da wird sie angerufen. Man habe sich bei der | |
| Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg erkundigt, der Fall sei umfassend | |
| aufgearbeitet worden, der Kollege entlassen. Frau B. versteht nun zwar die | |
| Welt nicht mehr, ist aber vor allem erleichtert. Warum hat man ihr nicht | |
| gesagt, dass der Kollege weg ist? Längst hätte sie dann doch zurückkehren | |
| können. | |
| Sie freut sich, nun kommt also alles wieder ins Lot. Die gute Nachricht | |
| hätte sie gern schriftlich. Doch schriftlich kommt nichts. Fragt man beim | |
| Ministerium nach, so heißt es von dort: Die Bundesagentur für Arbeit sei | |
| selbstständig. Man habe sichergestellt, dass der Fall dort bekannt sei und | |
| bearbeitet werde. Mehr könne man nicht tun. | |
| Nichts kommt ins Lot. Stattdessen steht einige Tage später ein Kollege vor | |
| der Tür und drückt ihr die Kündigung in die Hand. Offizieller Grund: Sie | |
| sei zu lange krank gewesen. Und auch in der Zukunft offensichtlich nicht | |
| mehr in der Agentur für Arbeit einsetzbar. Es sieht so aus, als sei die | |
| Drohung nun wahr geworden. Sie hat etwas gesagt. Nun ist sie entlassen. | |
| ## „Schweigeverpflichtung unwirksam“ | |
| Nathalie Oberthür ist im Deutschen Anwaltsverein Mitglied des Ausschusses | |
| für Arbeitsrecht. Eine solche Attacke, sagt sie, müsse vom Arbeitgeber | |
| geahndet werden. „Der Arbeitgeber ist laut Paragraf 12 des Allgemeinen | |
| Gleichbehandlungsgesetzes gehalten, alle geeigneten und erforderlichen | |
| Maßnahmen zu ergreifen, um die Mitarbeiterin vor sexueller oder sonstiger | |
| Belästigung zu schützen. Das könnte in diesem Fall beinhalten, die | |
| Mitarbeiterin oder den Kollegen zu versetzen oder den Kollegen abzumahnen“, | |
| erklärt sie. Keinesfalls aber dürfe man eine Kollegin zum Schweigen | |
| verpflichten. „Eine Schweigeverpflichtung ist nicht wirksam.“ | |
| Frau B. hat das Gefühl, dass das Fass übergelaufen ist. Sie war die | |
| Leidtragende, sie konnte nicht arbeiten. Ihr wurde gedroht, und kaum hat | |
| sie getan, was sie nicht sollte, kommt die Kündigung? Sie zieht vor | |
| Gericht. | |
| Fragt man die Agentur für Arbeit, so erhält man eine nette E-Mail von der | |
| Bundesagentur, in der steht, dass man sich zu der Sache nicht äußern könne, | |
| weil man ja Verfahrensbeteiligte sei. Aber generell sei es so: „Die BA | |
| duldet keine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.“ Sie wirke ihr, wie im | |
| Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz vorgeschrieben, aktiv entgegen. | |
| „Führungskräfte aller Ebenen werden beispielsweise fortlaufend | |
| sensibilisiert, durch eigenes Vorleben ein diskriminierungsfreies | |
| Arbeitsklima zu fördern und Diskriminierungsvorfällen konsequent | |
| nachzugehen.“ Alle Fälle, die der Bundesagentur für Arbeit bekannt würden, | |
| würden untersucht und disziplinarisch verfolgt. „Im Mittelpunkt steht dabei | |
| immer das Opfer von diskriminierendem Verhalten.“ | |
| Am Mittwoch wird vor dem Arbeitsgericht in Berlin die Kündigungsklage von | |
| Frau B. verhandelt. Nimmt man die Bundesagentur für Arbeit ernst, sollte | |
| die Behörde die Kündigung zurücknehmen. Dann kann Frau B. wieder arbeiten. | |
| Und eine #MeToo-Geschichte bekommt ein gutes Ende. | |
| 29 Aug 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Heide Oestreich | |
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