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# taz.de -- Ex-Sowjet-Dissident über Prager Frühling: „1968 fühlte ich mic…
> Der damalige Dissident Pawel Litwinow demonstrierte in Moskau gegen den
> Einmarsch des Warschauer Paktes in Prag. Ein Interview über 1968 und
> Russland heute.
Bild: Am 25. August will Pawel Litwinow wieder auf den Roten Platz gehen
taz: Herr Litwinow, Sie haben vor 50 Jahren mit sieben Gleichgesinnten auf
dem Roten Platz in Moskau gegen den Einmarsch der sowjetischen Truppen in
die Tschechoslowakei demonstriert. War das eine spontane Aktion?
Pawel Litwinow: Nein, wir haben Wochen oder Monate damit gerechnet, dass
die Sowjetunion in die Tschechoslowakei einmarschieren wird. Und deswegen
hatten wir auch Zeit, uns zu überlegen, was wir im Falle eines Einmarsches
tun werden.
Warum haben Sie sich zu dieser Aktion entschlossen?
Mein Land hat ein kleines Nachbarland angegriffen, das uns nichts
Schlechtes getan hatte. Dieses Land hatte sich doch nur entschieden, seinen
eigenen Weg des Sozialismus zu gehen. Ich musste etwas tun und konnte nicht
das Bild stehen lassen, dass die sowjetische Regierung etwas tut, was auch
unser Volk gutheißt. Ich musste sagen, dass diese Intervention nicht in
meinem Namen geschieht.
War Ihnen klar, dass Sie am Abend nicht mehr nach Hause zurückkehren
würden?
Ich war sicher, dass ich sieben Jahre bekomme und noch einmal fünf Jahre
Verbannung. Dann kam es weniger schlimm, als ich befürchtet hatte. Ich
bekam insgesamt nur fünf Jahre Verbannung.
Sie haben viel riskiert. Haben Sie mit dieser Aktion dennoch etwas
erreicht?
Zunächst einmal habe ich damals protestiert, weil ich das einfach von
meinem Gewissen her tun musste. Aber ich denke schon, dass wir auch unseren
Beitrag geleistet haben zum Zusammenbruch des Kommunismus und der
Sowjetunion.
Sie haben damals für die Tschechoslowakei unter Dubček gekämpft. Haben Sie
sich diesen Sozialismus mit menschlichem Antlitz auch für die Sowjetunion
gewünscht?
Mir war es wichtig, dass die Tschechoslowakei einen Weg gehen kann, den sie
selbst wählt. Und wenn man dort einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz
will, dann ist es nicht unser Recht, sich in diesen Weg einzumischen.
Irgendwann mal war ich überzeugter Kommunist, doch 1968 fühlte ich mich
schon eher als Liberaler.
Sie waren in der Verbannung wegen Ihrer Überzeugung, auch Ihr Sohn Dima ist
diesen Weg gegangen. Er wurde 2013 bei einer Expedition von Greenpeace vom
Geheimdienst FSB festgenommen und war zwei Monate in Haft. Das scheint fast
eine Tradition in Ihrer Familie zu sein. Aber es gibt auch eine andere
Tradition. Ihr Großvater war Außenminister von Josef Stalin.
Wir haben eine Tradition, uns für die Schwächeren einzusetzen. Ich würde
nicht sagen, dass mein Großvater, der Revolutionär im Zarenreich,
Weggefährte von Lenin war und für die Interessen der Arbeiterklasse
gekämpft hat, andere Werte hatte als mein Sohn oder ich. Was ich an meinem
Großvater ablehne, ist, dass er sich mit Gewalt für den Sozialismus
eingesetzt hat. Aber als Elfjähriger habe ich ihn sehr bewundert.
1974 sind Sie in die USA ausgereist …
Ja, aber freiwillig habe ich diese Entscheidung nicht getroffen. Sie fingen
an, mich zu bedrängen, das Land zu verlassen. Das begann 1974, nach meiner
Rückkehr aus der Verbannung. Eine Gruppe von Männern hielt mich auf der
Straße an und brachte mich zur Miliz. Dort wartete jemand vom KGB, einem
Spezialisten für Dissidenten. Er sagte, er wisse alles über meine Familie,
und er drohte mir, wie meine Kinder leben würden, wenn ich im Land bleiben
sollte. Gegen mich war schon ein Verfahren vorbereitet, weil sie wussten,
dass ich einen Brief zur Unterstützung von Andrei Sacharow und Alexander
Solschenizyn geschrieben hatte. Der KGB-Mann sagte, sie wüssten, dass ich
Einladungen aus dem Ausland hätte, aus den USA und Israel. Und dass ich,
sollte ich einen Ausreiseantrag stellen, keine Probleme bekäme. So war es
dann auch. Als ich mich dazu entschlossen hatte, ging alles ganz leicht.
Vieles hat sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR geändert, aber in Russland
ist es nicht unbedingt besser …
Heute ist einiges besser. Man kann frei reisen. Und auch die Existenz eines
Alexei Nawalny, mit dessen Programmatik ich nicht in allen Punkten
übereinstimme, zeigt, dass heute eine gewisse Opposition möglich ist.
Navalny wird, im Gegensatz zu Boris Nemtsow, nicht getötet. Heute kann man
in Russland auf die Straße gehen und demonstrieren. Wir haben damals für
die Freiheit des Wortes gekämpft. Die ist heute, wenn auch eingeschränkt,
gegeben.
Wie würden Sie Putins Russland charakterisieren?
Das ist ein autoritäres Regime mit pseudodemokratischen Elementen. Aber das
heutige Russland kann nicht jeden Protest im Keim ersticken. Auch die
imperialistischen Züge sind geblieben. Russland hat die Krim okkupiert,
droht der Ukraine, es ist imperialistisch und daher gefährlich. Heute haben
wir keinen Totalitarismus. Wir haben zynische Banditen an der Regierung,
die nur an Geld glauben. Trotzdem bin ich optimistisch. Doch große
Veränderungen werde ich nicht mehr erleben.
Was machen Sie in diesem Jahr am 25. August?
Ich werde wieder auf den Roten Platz gehen.
20 Aug 2018
## AUTOREN
Bernhard Clasen
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Schwerpunkt 1968
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