# taz.de -- Kurssturz nach US-Urteil: Glyphosat wird zum Gift für Bayer | |
> Klagen wegen Schäden durch das Vernichtungsmittel könnten den | |
> Chemiekonzern 10 Milliarden Dollar kosten. Der Wert der Firma bricht ein. | |
Bild: Sprühen mit ungewissen Folgen: Herbizideinsatz auf Zuckerrüben-Feld in … | |
Wovor Umweltschützer den Chemiekonzern Bayer schon lange gewarnt haben, | |
scheint sich jetzt zu bewahrheiten: Die Übernahme des Saatgut- und | |
Pestizidherstellers Monsanto hat üble Folgen für das Leverkusener | |
Unternehmen. Am Montag fiel der Bayer-Aktienkurs um fast 14 Prozent auf ein | |
Fünf-Jahres-Tief. Die Aktionäre fürchten, dass Klagen wegen | |
Gesundheitsschäden durch das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat Bayer und | |
seine Tochter Monsanto Milliarden Dollar kosten könnten. | |
Am Freitag hatte ein kalifornisches Geschworenengericht geurteilt, | |
Monsantos Glyphosat-haltiges Unkrautvernichtungsmittel RoundUp sei für die | |
Krebserkrankung des ehemaligen Platzwarts DeWayne Johnson verantwortlich. | |
Die Firma müsse dem Mann Schadenersatz in Höhe von 289 Millionen Dollar | |
zahlen. | |
Das US-Unternehmen Monsanto, das von Bayer gerade für rund 63 Milliarden | |
Dollar übernommen wurde, sieht sich mehr als 5.000 ähnlichen Klagen in den | |
USA gegenüber. | |
1. Wofür wird Glyphosat verwendet? | |
Das Mittel spart den Landwirten Arbeit und Geld. Man muss nicht mehr so | |
häufig mit dem Pflug oder anderen Geräten über den Acker fahren, um Unkraut | |
loszuwerden. Glyphosat zerstört so gut wie alle nicht gentechnisch | |
veränderten Pflanzen auf dem Feld. Es wird auf rund 37 Prozent der Äcker in | |
Deutschland gespritzt. Zum Beispiel vor der Aussaat von Raps. Aber auch | |
zwischen Obstbäumen, die bereits Früchte tragen. Die Bauern können auf | |
demselben Feld die Pflanzen häufiger hintereinander anbauen, die ihnen | |
besonders viel Geld einbringen, und trotzdem den Unkrautdruck gering | |
halten. Deshalb ist Glyphosat sowohl in Deutschland als auch weltweit das | |
meist verkaufte Pestizid überhaupt. | |
Die Alternativen: vielfältigere Fruchtfolgen und Unkraut etwa mit einem | |
Striegel zerschneiden, der den Boden nicht so tief aufreißt und weniger | |
Erosion verursacht als der Pflug. | |
2. Verursacht Glyphosat Krebs? | |
Im März 2015 ist Glyphosat von der Krebsforschungsagentur der | |
Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft | |
worden. Die Wissenschaftler beriefen sich insbesondere auf beunruhigende | |
Ergebnisse von Tierversuchen. Doch die Zulassungsbehörden in der EU, den | |
USA oder Kanada halten diese Experimente nicht für aussagekräftig genug. | |
Unter anderem, weil die Versuchstiere „exzessive“ Dosen Glyphosat bekommen | |
hätten. | |
Die Mengen, die wir mit den Lebensmitteln zu uns nehmen, sind gering, die | |
Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, ist daher niedrig. Aber | |
Umweltschützer sagen: Selbst wenn es nur einen Menschen treffen sollte, | |
wäre das einer zu viel. Da Betroffene sogar sterben können, gilt bei | |
solchen Fällen in der EU das Vorsorgeprinzip: Verdächtige Stoffe dürfen | |
nicht auf den Markt, selbst wenn die Krebsgefahr (noch) nicht völlig | |
bewiesen ist. | |
3. Wer könnte besonders gefährdet sein? | |
Studien vor allem aus den USA zeigen, dass die Anwender – also zum Beispiel | |
Bauern oder Landarbeiter – vergleichsweise hohe Dosen Glyphosat aufnehmen. | |
Auch der Kläger im kalifornischen Gerichtsprozess, DeWayne Johnson, hatte | |
als Platzwart bis zu 30 Mal pro Jahr Pestizide mit dem Wirkstoff auf dem | |
Gelände von Schulen ausgebracht. Laut Gericht hat das dazu beigetragen, | |
dass der heute 46-Jährige nun am Non-Hodgkin-Lymphom leidet, einer | |
bösartige Erkrankungen des lymphatischen Systems. Ärzte prognostizieren, | |
dass er nur noch kurz leben wird. | |
4. Können die Geschworenen diesen Fall überhaupt beurteilen? | |
Kritiker stellen das Urteil in Frage, weil die Geschworenen keine Experten | |
seien. Doch diese Laienrichter berufen sich auf die Aussagen von | |
Wissenschaftlern wie Christopher Portier, einem ehemaligen Leiter der | |
US-Behörde zur Registrierung toxischer Substanzen und Krankheiten. Zudem | |
haben sie von der Verteidigung vorgeschlagene Forscher angehört. Außerdem | |
berücksichtigten sie interne Monsanto-Dokumente. Diese zeigten den | |
Klage-Anwälten zufolge, dass die Firma „seit Jahrzehnten“ von einem | |
krebserregenden Potenzial von Glyphosat wusste. | |
5. Wie verteidigen sich Bayer und Monsanto? | |
Bayer beruft sich auf Studien, die belegten, „dass Glyphosat bei | |
sachgemäßer Anwendung sicher ist und nicht das Non-Hodgkin-Lymphom | |
verursacht“. Das zeigten auch die „Einschätzungen von Regulierungsbehörden | |
weltweit“. | |
Doch die Klageseite in dem kalifornischen Verfahren zog die Glaubwürdigkeit | |
dieser Wissenschaftler erfolgreich in Zweifel. Aussagen von | |
Monsanto-Mitarbeitern hätten bewiesen, „dass Firmenmitarbeiter als | |
‚Ghostwriter‘ wissenschaftliche Artikel geschrieben und externe Forscher | |
bezahlt haben, die Artikel unter ihrem Namen zu veröffentlichen“. | |
6. Was droht Bayer jetzt? | |
Die Bayer-Tochter Monsanto steht in den USA vor einer Klagelawine. Der | |
US-Richter Vince Chhabria, bei dem Hunderte Klagen von Landwirten, Gärtnern | |
und Verbrauchern zu einem Sammelverfahren gebündelt sind, hat erst im Juli | |
den Weg für einen weiteren Prozess freigemacht. | |
7. Könnten die Glyphosat-Prozesse Bayer ins Wanken bringen? | |
Die Aktionäre gehen zumindest von erheblichen Belastungen aus, wie der | |
Verfall des Aktienkurses belegt. Das Brokerhaus Mainfirst stufte die | |
Bayer-Aktie herunter und senkte das Kursziel auf 90 von 135 Euro. Wie groß | |
die Gefahr ist, zeigt eine Überschlagsrechnung der Analysten: „Die | |
Gesamtkosten könnten unseres Erachtens leicht 10 Milliarden Dollar | |
erreichen“, erklärte Mainfirst. Vorausgesetzt, Bayer würde sich mit einer | |
größeren Zahl von Klägern außergerichtlich einigen. Wenn die Kunden die | |
Pflanzenschutzmittel von Monsanto als gefährlich ansähen, bestehe ein | |
langfristiges Risiko für das Geschäft. Das sei ein weiterer Grund für | |
Investoren, sich vorerst von Bayer zurückzuziehen. Homebase, einer der | |
größten Einzelhändler für Garten- und Heimwerkerbedarf in Großbritannien, | |
überprüft angesichts des Urteils bereits den Verkauf glyphosathaltiger | |
Produkte. | |
Monsanto habe aber nur 250 Millionen Dollar für Rechtsstreitigkeiten | |
zurückgelegt, teilte Branchenexperte Daniel Wendorff von der Commerzbank | |
mit. Das ist weniger als der Schadenersatz für den aktuellen Fall in | |
Kalifornien. Bayer habe Ende 2017 lediglich 393 Millionen Euro für solche | |
Zwecke zurückgelegt. Und die Firma hat ja auch noch Klagen wegen anderer | |
Produkte – etwa Medikamenten – am Hals. | |
10 Milliarden Dollar Zahlungen wegen Glyphosat wären auch für ein großes | |
Unternehmen wie Bayer eine erhebliche Belastung. Im gesamten Jahr 2017 hat | |
es 35 Milliarden Euro eingenommen. | |
8. Wird Monsanto die 289 Millionen Dollar Schadenersatz überhaupt zahlen | |
müssen? | |
Das ist noch nicht klar. Monsanto hat bereits angekündigt, Berufung | |
einzulegen. Häufig werden die Strafzahlungen bei solchen Verfahren später | |
erheblich verringert oder die Urteile in der nächsten Instanz wieder | |
einkassiert. | |
9. Wird Glyphosat in Deutschland jetzt verboten? | |
Wohl nicht. Die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast | |
(Grüne) forderte zwar: „Wir brauchen jetzt dringend ein umfassendes | |
Anwendungsverbot in Deutschland.“ Die Bundesregierung bekräftigte aber am | |
Montag ihre vage Haltung, dass sie die Anwendung von Glyphosat innerhalb | |
der Legislaturperiode bis 2021 lediglich „grundsätzlich“ beenden wolle. | |
Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) hatte im April erklärt, in Haus- und | |
Kleingärten solle Glyphosat künftig tabu sein – außer, es gibt keine | |
Alternative und der Gärtner hat einen Sachkundenachweis. Bauern sollen den | |
Wirkstoff nur anwenden dürfen, wenn sogenannte Saumstrukturen ausreichend | |
vorhanden sind. Das sind zum Beispiel Hecken, die Tieren einen Rückzugsraum | |
bieten. | |
Ausnahmen sind zudem für stark erosionsgefährdete Böden, zum Beispiel an | |
Hängen, für gefährdete Ernten oder bestimmte Unkräuter wie Disteln und | |
Quecken geplant. Um Mensch und Natur zu schützen, solle Glyphosat außerdem | |
nicht mehr in öffentlichen Parks und Sportanlagen sowie in der Nähe von | |
Gewässern verwendet werden dürfen, sagte Klöckner. | |
(mit rtr, dpa ,afp) | |
13 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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