| # taz.de -- Junge Mordlust im Thriller „Vollblüter“: Auf der Suche nach Me… | |
| > Cory Finleys Debütfilm ist ein unkonventioneller Thriller. Darin planen | |
| > die Teenager Lily und Amanda gemeinsam einen Mord. | |
| Bild: Lily und Amanda planen zusammen den Mord an Lilys Stiefvater | |
| Auf den ersten Blick gleichen sie den Heldinnen jener soapigen | |
| Teenie-Vorabendserien, in denen Mädchen ihr perfekt aufgelegtes Make-up als | |
| Waffe einsetzen. Das Setting ist privilegiert: Irgendwo im nördlich von New | |
| York gelegenen Küstenstreifen Connecticuts, wo Villen großzügig bemessene | |
| eigene Zufahrten haben und auf der Rückseite über gepflegte Rasenflächen | |
| hinweg zum Meer führen. Hier treffen sich Amanda (Olivia Cooke) und Lily | |
| (Anya Taylor-Joy) und taxieren einander. Wie gesagt, noch glaubt man in | |
| eine Episode von „Gossip Girl“ geraten zu sein, aber kaum dass die beiden | |
| zu reden beginnen, wird bemerkbar, dass Theaterautor Cory Finley in seinem | |
| Filmdebüt etwas ganz anderes vorhat. | |
| Dieses „Andere“ enthüllt er erst nach und nach, wobei es bis zuletzt eine | |
| Suggestion und schwer zu fassen bleibt. Leichter fällt es daher mal wieder | |
| aufzuzählen, was der Film alles nicht macht: Er erzählt nicht von zwei | |
| Lolitas, die Männer ins Verderben stürzen; er zeigt seine jugendlichen | |
| Heldinnen aber auch nicht als Opfer. „Vollblüter“ ist kein Thriller, der | |
| sich daran ergötzt, die Mordlust in zwei vermeintlich unschuldigen Mädchen | |
| hervorzulocken. Der Film stellt andererseits keine Satire dar, etwa über | |
| die kategorische Unmoral der Reichen. Dann wiederum findet sich von all dem | |
| etwas in Andeutungen, aber sie setzen sich zu einem facettenreichen | |
| Psychogramm zusammen, das gerade in der Zurückhaltung tiefe Einblicke | |
| gewährt in zwei sehr komplizierte Frauen-Seelen. | |
| Als die schwierigere tritt zuerst Amanda in Erscheinung. Schon wie sie | |
| Lilys Villa betritt, sieht man ihr eine ruchlose Respektlosigkeit allen und | |
| allem gegenüber an. Lily scheint davon so eingeschüchtert wie angetörnt. | |
| Die beiden waren als Kinder miteinander befreundet. Amanda spricht in | |
| flachen, gefühllosen Sätzen und konfrontiert ihr Gegenüber mit der Ansage, | |
| dass sie über das Arrangement des Treffens im Bilde sei: Lily lasse sich | |
| von Amandas Mutter dafür bezahlen, ihr bei den Vorbereitungen fürs College | |
| zu helfen. | |
| Denn Amanda hat sich durch eine Untat zur sozialen Außenseiterin gemacht: | |
| Sie hat ihr eigenes Pferd grausam niedergestochen, weshalb ihr eine Anklage | |
| wegen Tierquälerei droht. Das alles sei sicher nicht leicht für Amanda, | |
| versucht es Lily mit Empathie. Sie fühle nichts, entgegnet Amanda, gar | |
| nichts. Außer Hunger ab und zu. Die Psychiaterin habe sie bereits rauf und | |
| runter diagnostiziert. Aber sie sei doch kein schlechter Mensch deshalb. | |
| Gegenüber Amandas demonstrativer Bad-Girl-Attitüde wirkt Lily wie die | |
| Guterzogene, Brave. Doch die Fassade trügt. Amanda bekommt nicht nur | |
| heraus, dass Lily ihr Internat nicht freiwillig verlassen hat, um es, wie | |
| sie betont cool von sich gibt, „wie Steve Jobs“ zu machen und ohne | |
| Abschluss direkt ins Business einzusteigen. | |
| Sie sagt der Freundin auf den Kopf zu, was diese tief im Herzen verbirgt: | |
| unglaublichen Hass auf den Stiefvater Mark (Paul Sparks). Es dauert ein | |
| wenig, bis Lily sich dazu bekennt, dann aber bricht es mit überraschender | |
| Heftigkeit aus ihr heraus: Schon der verhaltene Lärm der Fitnessmaschine, | |
| die Mark obsessiv benutzt, treibe sie in den Wahnsinn. „Bring ihn doch | |
| einfach um“, schlägt Amanda vor. Es braucht einige Wendungen, dann aber | |
| kommt Lily auf Amandas Vorschlag zurück. Das mag nach Thriller klingen, | |
| aber wie gesagt, Finley setzt andere Schwerpunkte. Mit irritierend | |
| gemächlichem Tempo zeigt er, wie die Dinge sich zuspitzen für Amanda und | |
| Lily, wobei er die Spannung steigert, ohne dass das Gefühl von Bedrohung | |
| hinzukäme. | |
| ## Verlagernde Sympathie | |
| Man registriert, wie sich die Sympathien immer wieder verlagern: War man | |
| zuerst von Amandas Talent zur Grausamkeit abgestoßen, wächst mit der Zeit | |
| das Erschrecken über Lilys Egoismus und Skrupellosigkeit. Der Film spielt | |
| quasi mit den B-Seiten der Gefühle: Aus Amandas Gleichgültigkeit wird eine | |
| irritierend selbstlose Hingabe, in Lilys Konformität meint man doch noch | |
| echte Trauer zu erkennen. In ähnlicher Weise verachtet man zunächst den | |
| kleinen Drogendealer, den die beiden sich als Ausführer des Mords | |
| aussuchen. Aber dann gewinnt der gerade mit seiner Erbärmlichkeit an | |
| menschlicher Größe. Gespielt wird er übrigens von Anton Yelchin, der 2016 | |
| kurz nach den Dreharbeiten im Alter von nur 27 Jahren an einem tragischen | |
| Unfall starb. | |
| „Vollblüter“ gehört zu den Filmen, die die Zuschauer kalkuliert außen vor | |
| lassen. Man kann sich mit keiner Seite völlig identifizieren. Mit kaltem, | |
| schneidend präzisem Blick schwenkt die Kamera über Interieurs und | |
| Gesichter, während das Sounddesign die Welt der Gewolltschönen und Reichen | |
| gleichsam wie in Watte packt: Alle Geräusche sind gedämpft, als säße man in | |
| einem Wageninnern. Was zugleich eine perfekte Metapher ist für den | |
| Lebenszustand der Mädchen: einerseits luxuriöse Freiheit, andererseits | |
| Eingesperrtsein. | |
| 9 Aug 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
| ## TAGS | |
| Thriller | |
| Mord | |
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| Horrorfilm | |
| Joaquin Phoenix | |
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