| # taz.de -- Voßkuhle-Äußerung zu CSU und Asyl: Die völlig korrekte Ausdruck… | |
| > Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts als Sprachpolizist – ist das | |
| > angemessen? Unbedingt. Aber das ist gar nicht die entscheidende Frage. | |
| Bild: Hält nichts von Asyl-Polemik á la CSU: Andreas Voßkuhle | |
| Deutschland hat einen neuen Sprachpolizisten: Andreas Voßkuhle. Eigentlich | |
| achtet der Präsident des Bundesverfassungsgerichts darauf, dass das | |
| Grundgesetz korrekt angewendet wird. Jetzt achtet er auch auf korrekte | |
| Ausdrucksweise. Verbalauswüchse wie „Herrschaft des Unrechts“ und | |
| „Anti-Abschiebe-Industrie“, findet Voßkuhle „inakzeptabel“ und | |
| „kontraproduktiv“. Eine solche Rhetorik, sagte er in einem Interview zu | |
| Populismus, politischer Korrektheit und Flüchtlingspolitik [1][in der | |
| Süddeutschen Zeitung], „möchte Assoziationen zum NS-Unrechtsstaat wecken, | |
| die völlig abwegig sind“. | |
| Damit begibt sich Voßkuhle auf ein fremdes Terrain: | |
| Kommunikationswissenschaft. Das ist nicht üblich für einen Mann in diesem | |
| Amt. Aber egal, es ist richtig. Denn Voßkuhle weist die rechten Außenseiter | |
| von AfD, CSU und andere populistische Hetzer in ihre Schranken und spricht | |
| aus, was viele Demokrat*innen denken: Kann das endlich mal aufhören mit | |
| all den rhetorischen Entgleisungen, unreflektierten Verbalkeulen und | |
| Beleidigungen? Er versucht, diese überhitzte und zu weiten Teilen inhumane | |
| Kommunikationskultur zurückführen in eine angemessene, ernsthafte | |
| Auseinandersetzung um ein globales Problem. | |
| Die radikalpopulistischen Angriffe haben ein konkretes Ziel: die | |
| Verschiebung des Diskurses zu Migration, Asyl und Einwanderung nach rechts. | |
| Das, was noch vor wenigen Jahren unsagbar war, ist mittlerweile tief in so | |
| manche Sprachregelung der Mitte vorgedrungen. Während bis vor Kurzem | |
| niemand gewagt hätte, Formulierungen wie „Asyltourismus“ für Migration und | |
| Integration zu verwenden, schon gar nicht als mit öffentlichen Ämtern | |
| betrauter Politiker, scheute Bayerns Ministerpräsident Markus Söder davor | |
| nicht zurück. Der Shitstorm ließ zwar nicht lange auf sich warten. Doch | |
| gesagt ist gesagt. Und das Wort bleibt in den Köpfen der Menschen hängen | |
| und suggeriert: Wenn das ein Mann wie Söder sagt, kann es so falsch nicht | |
| sein. Und hey: Reisen wir nicht alle gern? | |
| Die verbale Kombination von Flucht und Vertreibung mit positiv konnotierten | |
| Alltagsvokabeln verändert nicht nur die kognitive Wahrnehmung, sondern auch | |
| den politischen Diskurs. Man muss nur scharf genug formulieren, dann regen | |
| sich zwar zunächst alle auf, aber das Gesagte nistet sich im alltäglichen | |
| Sprachgebrauch ein, wird rasch als normal empfunden und verliert dadurch | |
| seinen Schrecken. | |
| Für die Geflüchteten und Menschen mit Migrationshintergrund ist das eine | |
| Katastrophe. Die verhärteten Debatten sorgen dafür, dass sich der Blick | |
| der Mehrheitsgesellschaft auf Menschen in Not verändert und sich Vorurteile | |
| verschärfen. Da glauben plötzlich nicht wenige „Biodeutsche“, Frauen aus | |
| Eritrea, Irak, Syrien bekämen in Deutschland „ein Kind nach dem anderen“, | |
| weil sie damit ihre Chancen auf ein Bleiberecht erhöhten. | |
| Argumente, Kinder seien mitnichten ein Garant für Asyl in Deutschland und | |
| Frauen aus muslimischen Ländern bekämen ohnehin mehr Kinder als europäische | |
| Frauen, verhallen häufig ungehört. Stattdessen schraubt sich die verbale | |
| Rechtsaußenspirale hoch und höher und mündet in Äußerungen wie der von | |
| AfD-Chefin Alice Weidel „Kopftuchmädchen, Messermännern und anderen | |
| Taugenichtsen“. | |
| Das muss nicht so bleiben. Sprache ist ein offenes System, das sich | |
| jederzeit verändern lässt. Rechtspopulistische Sprachfetzen können auch | |
| wieder eliminiert werden. Genau das hat Voßkuhle indirekt angeregt. Aber | |
| Sprache bleibt Sprache, und Andreas Voßkuhle dann doch „nur“ einer der | |
| obersten Richter dieses Landes. Die politische Verantwortung für eine | |
| menschliche Gesellschaft tragen insbesondere die politischen | |
| Entscheider*innen dieses Landes. Darunter allerdings auch jene | |
| Politiker*innen, die die rechtspopulistische Propagandamaschine für ihre | |
| Ziele hervorragend zu bedienen wissen – darin liegt ein absurder wie | |
| tragischer Widerspruch. | |
| Manchmal aber kommt es anders als man denkt. Mit seinem Angriff auf die | |
| 68er als „links-rot-grün-verseucht“ wollte AfD-Mann Jörg Meuthen jene Lin… | |
| verunglimpfen, die der AfD-Mann verachtet. Herausgekommen indes ist ein | |
| Kultbegriff. „linksgrünversifft“ ist mittlerweile so etwas wie ein | |
| Adelstitel für Menschen mit Gewissen. | |
| 26 Jul 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Simone Schmollack | |
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