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# taz.de -- Finanzpolitik der Türkei: Erdoğan vereinnahmt die Zentralbank
> Das Gremium tut, was der Präsident will: Die Leitzinsen bleiben
> unverändert. Die Märkte hatten dringend auf Inflationsbekämpfung gehofft.
Bild: Erdoğan will die Arbeit der Zentralbank selbst mehr in die Hand zu nehme…
Istanbul taz | Es war eine besondere, mit Spannung erwartete Sitzung der
türkischen Zentralbank, die am Dienstagnachmittag ihr erstes Treffen nach
der Präsidentschaftswahl einen Monat zuvor hatte. Seit Präsident Recep
Tayyip Erdoğan während einer Rede vor Investoren in London im Mai
angekündigt hatte, nach seiner Wiederwahl die Arbeit der Zentralbank selbst
mehr in die Hand zu nehmen, sind internationale Anleger alarmiert. Seitdem
steht die türkische Finanzpolitik auf dem Prüfstand, insbesondere [1][die
Unabhängigkeit der Zentralbank ist zweifelhaft]. Jetzt entschied sich die
Zentralbank, wie von Erdoğan gewünscht, die Leitzinsen nicht zu erhöhen –
und beschädigte damit weiter ihren Ruf.
Angesichts einer Inflationsrate von zuletzt 15,39 Prozent hatten die
Finanzmärkte erwartet, dass die Zentralbank die Leitzinsen von derzeit
17,75 Prozent um mindestens einen Prozentpunkt anheben würde. In einer
Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters äußerten 15 von 16 befragten
Experten, dass eine Zinserhöhung unumgänglich sei, soll die türkische
Währung nicht noch weiter an Wert verlieren und internationale Anleger
wieder in die Türkei zurückkehren. Allerdings ist Präsident Erdoğan
erklärtermaßen ein Feind von hohen Zinsen: einmal aus
ideologisch-religiösen Gründen, zum anderen aber auch aus Angst, das
Wachstum zu bremsen, weil Kredite teurer werden.
Aus Sicht der Märkte, also von Großinvestoren, Finanzanalysten und
Ratingagenturen, hat die Zentralbank damit ihren Unabhängigkeitstest nicht
bestanden. Nach der Sitzung verkündete Zentralbankchef Murat Çetinkaya, man
werde den Leitzins nicht erhöhen, aber die Situation weiterhin genau
beobachten.
Die Quittung kam umgehend. Die zuletzt mühsam stabilisierte Lira verlor
wieder etliche Punkte gegen Euro und Dollar. Statt 5,5 Lira sind jetzt 5,7
Lira für den Euro fällig, der Dollar kletterte auf fast 5 Lira. Auch der
Börsenkurs stürzte um knapp vier Prozent ab. „Das war eine enttäuschende
Entscheidung“, sagte Piotr Matys, ein Finanzanalyst für Schwellenländer an
der Rabobank, gegenüber der Zeitung Hürriyet. „Die Inflation wird wohl
steigen, weil die Lira weiterhin an Wert verliert.“ Angesichts der
politisch dominierten Entscheidung der Zentralbank sehen Matys und andere
die Türkei auch langfristig in Schwierigkeiten. Alle Ratingagenturen haben
türkische Staatsanleihen bereits auf „Ramsch“ heruntergestuft.
## Angriffe auf die Zentralbank
Die Vereinnahmung der Zentralbank durch die Politik ist geradezu ein
Markenzeichen autoritärer Staaten. Umso alarmierter sind Ökonomen weltweit,
weil sich in jüngster Zeit auch in den USA Angriffe auf die Zentralbank
Federal Reserve durch den Präsidenten häufen. Da Donald Trump die
Leitzinserhöhungen der Fed nicht passen, bricht er die eherne Regel der
amerikanischen Politik, dass Präsidenten die Entscheidungen der Zentralbank
nicht kommentieren, und kritisiert seit Wochen die Zinserhöhungen. Trump
ist der Meinung, dass die damit einhergehende Aufwertung des Dollar die
Exportchancen der amerikanischen Wirtschaft beeinträchtigt und ihn in
seiner Auseinandersetzung mit China schwächt.
Die Folgen der politischen Vereinnahmung der Zentralbank in der Türkei sind
steigende Preise für Lebensmittel und Energie. Türkische Firmen, die oft in
Dollar verschuldet sind und deren Kreditkosten damit täglich steigen,
befürchten deshalb ebenfalls Schwierigkeiten.
Richten soll das jetzt der neue Finanzminister Berat Albayrak,
Schwiegersohn des Präsidenten und im letzten Kabinett bereits
Energieminister. Albayrak war jüngst beim Treffen der G20-Finanzminister in
Buenos Aires angegangen worden – offenbar wegen des hohen türkischen
Schuldenstands und der drohenden Überhitzung der Wirtschaft durch zu viele
öffentliche Investitionen, die auf Pump finanziert werden. Albayrak
veranstaltete deshalb parallel zur Sitzung der Zentralbank am Dienstag ein
Treffen mit den wichtigsten türkischen Wirtschaftsbossen. Er verkündete,
noch im laufenden Haushalt öffentliche Ausgaben zu reduzieren, um den
Schuldenberg nicht weiter zu erhöhen.
25 Jul 2018
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[1] /Ausnahmezustand-in-der-Tuerkei-endet/!5522708
## AUTOREN
Wolf Wittenfeld
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