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# taz.de -- Gedenkveranstaltung für Liu Xiaobo: Liu Xia „in Freiheit, aber n…
> 350 Menschen gedenken dem 2017 gestorbenen Friedensnobelpreisträger Liu
> Xiaobo. Seine Witwe kommt nicht, aus Sorge um ihren Bruder.
Bild: Auch Wolf Biermann hatte sich für die Ausreise von Liu Xia eingesetzt
Berlin taz | Erst am Dienstag ist die chinesische Künstlerin [1][Liu Xia
nach acht Jahren Hausarrest in Peking freigekommen und sofort nach Berlin
ausgeflogen] worden. Am Freitagabend findet dort in der Gethsemanekirche
ein schon lange geplanter Gedenkgottesdienst für ihren [2][vor genau einem
Jahr in chinesischer Haft gestorbenen Mann] statt, dem
Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo. „Liu Xia möchte so gern unter uns
sein, aber sie darf nicht,“ sagt Tienchi Martin-Liao gleich. Die in Köln
lebende Präsidentin des unabhängigen chinesischen PEN-Zentrums ist eine der
Organisatorinnen der Gedenktveranstaltung und hat Liu Xia am Vortag
getroffen.
Die Abwesende, die allein für ihre Ehe mit Chinas prominentem Dissidenten
ohne jede Anklage bestraft worden war, prägt an diesem Abend in der Kirche
im Bezirk Prenzlauer Berg trotzdem das Gedenken an Liu Xiaobo.
„Sie kann ihre Freiheit noch nicht genießen, da ihr Bruder noch in Peking
ist,“ sagt Martin-Liao. Die Witwe des Friedensnobelpreisträgers sorge sich
um ihren jüngeren Bruder. Der ist in einem mutmaßlich fingierten Verfahren
wegen angeblicher Steuerhinterziehung zu einer Haftstrafe verurteilt worden
und nur auf Bewährung frei.
Das dient als Druckmittel, um Liu Xia von öffentlichen Auftritten in ihrem
neuen Berliner Exil abzuhalten. Doch sollen auch Ärzte der 57-Jährigen, die
im Hausarrest unter Depressionen litt, von der Teilnahme abgeraten haben.
Laut Martin-Liao sei Liu Xia auch noch sehr geschwächt.
## Auch Joachim Gauck ist da
350 Menschen sind am Freitagabend zum Gedenken an Liu Xiaobo in die
evangelische Gethsemanekirche gekommen, darunter der frühere
Bundespräsident Joachim Gauck samt Lebensgefährtin. Die Kirchengemeinde
hatte schon zu DDR-Zeiten die Bürgerrechtsbewegung unterstützt. Jetzt sind
Sympathisanten der chinesischen Demokratiebewgung da, Taiwaner und
Aktivisten von Tibet-Gruppen. Mehr als 30 Kamerateams, darunter viele aus
Asien, sorgen dafür, dass Liu Xiaobo nicht wie von Peking gewünscht in
Vergessenheit gerät.
Der am 13. Juli 2017 an Leberkrebs verstorbene war insgesamt viermal
inhaftiert, erinnert Martin-Liao. Zuletzt bekam er wegen seiner
Mitautorenschaft an der „Charta 08“ eine elfjährige Freiheitsstrafe. Dabei
sei dieser Aufruf von Intellektuellen zur Demokratisierung Chinas ein
„mildes Dokument“ gewesen, sagt Martin-Liao: „Doch selbst der
Friedensnobelpreis hat Liu nicht retten können.“ Die Auszeichnung [3][bekam
er 2010 als erster Chinese überhaupt].
Liu Xiaobo war einst selbst Präsident des unabhängigen chinesischen
PEN-Zentrums gewesen, das Martin-Liao jetzt leitet. Sie nennt ihn, der sich
als Philosophiedozent 1989 den demonstrierenden Studenten auf dem Tiananmen
angeschlossen hatte, „einen geistigen Führer seiner Generation“. „Die An…
und Grausamkeit des diktatorischen Regimes“ in China sei für seinen Tod
verantwortlich. Das hatte seine Ausreise zur medizinischen Behandlung im
Ausland bis zuletzt abgelehnt so wie es nach seinem Tod auch Liu Xias
Ausreise blockierte.
## Wolf Biermann singt, Herta Müller liest
Der Liedermacher Wolf Biermann, der sich mit anderen für Liu Xias Ausreise
eingesetzt hatte, beschreibt deren Lage jetzt so: „Die Frau ist jetzt in
Freiheit, aber noch nicht frei“. Sie sei eine Geisel und jetzt nur
freigelassen worden, weil China Geschäfte in Europa machen wolle.
„In ironischen Sinne verdankt sie ihre Freiheit sogar dem verrückten Trump
in den USA,“ erklärte der 81-Jährige zwischen zwei Liedern und spielt damit
auf den eskalierenden Handelskonflikt zwischen den USA und China an.
Seitdem hat Peking wieder stärkeres Interesse an einem guten Verhältnis zu
Deutschland. Die Bundesregierung einschließlich der Kanzlerin hatten sich
stark für Liu Xia engagiert, was mehrere Prominente an diesem Abend
ausdrücklich loben.
Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller liest zwei Gedichte der
abwesenden Witwe vor, darunter eines mit der Zeile „Es muss schwer sein,
mein Bruder zu sein“. Das hatte Liu Xia für dessen 44. Geburtstag
geschrieben und spielt auf die aktuelle Sippenhaft an. Das andere Gedicht
hatte Liu Xia für ihren Mann geschrieben „Du sagst und sagst und sagst die
Wahrheit, sagst sie am Tag und in der Nacht, solange Du wach bist,“ heißt
es dort. Anders als ihr Mann, mit dem sie vor allem ihre Liebe zur
Literatur teilte, wollte die eher vorsichtige Liu Xia nie zur Dissidentin
werden. Die ruige und nüchterne Art, wie Müller die Gedichte vorträgt und
einordnet, geht unter die Haut.
## Ian Johnson: „Ein Mann, der blieb“
Der in Berlin lebende US-Journalist, Pulitzer-Preisträger und Sinologe Ian
Johnson ordnet Liu Xiaobo historisch ein ([4][siehe die Dokumentation
seiner Rede]). Er vergleicht ihn mit Tan Sitong, einen jungen Reformer der
Qing-Dynastie vor 120 Jahren und nennt ihn „Der Mann, der blieb“. Tan
Sitong floh beim Sturz seiner Reformfraktion nicht wie seine
Gleichgesinnten, sondern stellte sich, wohl wissend, dass dies seinen Tod
bedeuten würde. Laut Johnson hätte sich auch Liu immer wieder dem Gefängnis
durch Exil entziehen können, doch sei er stets geblieben. Damit habe er
sein Anliegen noch glaubwürdiger unterstrichen.
Während Tan Sitong heute den Segen von Chinas Kommunistischer Paertei habe,
dürfte auch Liu Xiaobos Einsatz für Demokratie in China eines Tages
anerkannt werden, so Johnson. Chinas Staatsmedien hatten einst „den Westen“
dafür verantwortlich gemacht, Liu verwirrt zu haben. Am Freitag kommt es
allerdings an Liu Xiaobos erstem Todestag auch in Taiwan und im autonomen
Hongkong zu Gedenkveranstaltungen.
Angenehm an der Berliner Veranstaltung ist, dass auf Pathos verzichteet
wurde. Das ohnehin nüchtern ausgestattete Kirchenschiff ziert nur ein Foto
des lächelnden Paares und ein Gemälde, das beide Arm in Arm zeigt. Ihre
Gesichter sind darin weiß und nur durch ihre Brillen zu erahnen.
## Ein würdiges Gedenken
Der sonst für drastische Worte bekannte und im Berliner Exil lebende
Schrifsteller Liao Yiwu, ein Freund des Paares und treibende Kraft hinter
vielen Solidaritätsaktionen,verzichtet jetzt auf und hinter der Bühne auf
jegliches Wort. Er spielt, begleitet von einer Violine, ein melancholisches
Flötenstück, zu dem ihn Liu Xia inspiriert hatte.
Allenfalls Wolf Biermann wirkt peinlich ignorant, als er Liu Xiaobo mit
Liao Yiwu verwechselt und auf seine schnodderige Art fragt: „Oder wie heißt
dieser Friedensnobelpreisträger?“. Etwas provinziell ist zudem, dass es
angesichts der vielen Teilnehmer aus der chinesischsprachigen Welt keine
Übersetzung der Reden gibt. Eine Kirchengemeinde, die sich erfreulich
internationaler Probleme annimmt, sollte versuchen, besser gehört zu
werden. Trotzdem ist es eine sehr gelungene, dem Anlass wie dem kirchlichen
Rahmen würdige Gedenkveranstaltung.
14 Jul 2018
## LINKS
[1] /Witwe-von-Friedensnobelpreistraeger/!5521541
[2] /Nobelpreistraeger-Liu-Xiaobo-ist-gestorben/!5430833
[3] /Reaktionen-auf-Friedensnobelpreis-in-China/!5134291
[4] /Ian-Johnson-ueber-Liu-Xiaobo/!5522182
## AUTOREN
Sven Hansen
## TAGS
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