| # taz.de -- Bedrohung durch Rechtsextreme: Als ich auf einer Liste stand | |
| > Die Behörden haben bei Ermittlungen Listen mit rund 35.000 Namen | |
| > gefunden. Eine Nachricht, die unsere Autorin an eigene Erfahrungen | |
| > erinnert. | |
| Bild: Die Flurwände des Hauses, aus dem die Autorin kurz zuvor ausgezogen war,… | |
| Der Anruf kam mitten in der Nacht. „Wir kommen dich jetzt holen“, sagte ein | |
| Unbekannter. Aggressive Stimme, knappe, klare Worte. Ich zitterte vor Angst | |
| und dachte: Jetzt machen sie Ernst. Bereits am Morgen hatte ein Anrufer | |
| gedroht, „wir wissen, wo du wohnst. Wir kriegen dich, du linke Ratte.“ | |
| Das ist Jahre her, damals stand ich auf einer Liste von Neonazis, die | |
| Namen, Adressen und Telefonnummern von Linken sammelten und diese | |
| bedrohten. Eine davon war ich. | |
| Jetzt gibt es wieder solche Listen. 35.000 Namen sollen auf Listen rechter | |
| und gewaltbereiter Gruppen verzeichnet worden sein, die von den Behörden | |
| beschlagnahmt wurden. [1][Die aktuellen Daten stammen aus Ermittlungen | |
| gegen die rechte Terrorzelle NSU], einen terrorverdächtigen Soldaten und | |
| [2][rechte Prepper], die sich auf vermeintliche Katastrophen und einen | |
| neuen Weltkrieg mit dem Horten von Lebensmitteln, Schutzkleidung und | |
| Funkgeräten vorbereiten. | |
| 35.000 Personen auf Nazi-Listen. Ich erschrak, als ich die Nachricht hörte, | |
| hatte ein Déjà-vu und viele Fragen: Feindeslisten, schon wieder. Wer wohl | |
| jetzt da darauf steht? Wissen die Betroffenen davon? Kümmert sich die | |
| Polizei? Vor allem: Müssen jetzt andere das durchmachen, was ich vor | |
| einigen Jahren erlebt habe? In Sekundenschnelle spulten sich in meinem Kopf | |
| die Ereignisse von damals ab. | |
| ## „Terroristisches Potenzial“ | |
| 1999 stand ich das erste Mal auf einer steckbriefartigen Liste von | |
| Neonazis, danach immer wieder. Als der erste Drohbrief der | |
| „Anti-Antifa-Kurpfalz“ und eine Warnung der „Antifa Treptow“ kamen, warf | |
| ich beides achtlos in den Papierkorb. Auf einer Feindesliste der Rechten? | |
| Ich? Blödsinn. Als damals freie Journalistin waren Nazis und | |
| Rechtsterrorismus nie mein Berichtsgebiet, ich schrieb über unverdächtige | |
| Themen: Familie, Frauen, Gesundheit, Soziales. | |
| [3][Wenige Tage später berichtete die taz über die Nazi-Liste], darauf 40 | |
| Namen, unter ihnen Berliner PDS-Bezirksbürgermeister*innen, | |
| Leserbriefschreiber*innen, ein taz-Autor. Und ich, die ich seinerzeit | |
| noch nicht für die taz schrieb. Mit wurde mulmig. „Wir nehmen das sehr | |
| ernst“, sagte Marion Seelig, damals innenpolitische Sprecherin der | |
| PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, im taz-Text. Die Politikerin | |
| sprach von „terroristischem Potenzial in der rechtsextremen Szene“. | |
| Später las ich, dass die Anti-Antifa-Kurpfalz für ein Rohrbombenattentat | |
| auf einen Berliner PDS-Politiker verantwortlich gemacht wurde. Der Mann | |
| entging dem Angriff nur knapp. | |
| Das sollte ich ernst nehmen, sagte ich mir und erstattete bei der Berliner | |
| Polizei Anzeige gegen unbekannt. Vom Staat erhoffte ich Schutz und Hilfe. | |
| Doch der Polizist in der Wache fragte: „Wurden Sie tätlich angegriffen?“ | |
| „Nein.“ „Dann können wir nichts machen. Da müssen Sie schon mit dem Kopf | |
| unterm Arm wiederkommen.“ | |
| ## Nächtliche Klingelattacken | |
| Bis heute habe ich keine Ahnung, wie und warum ich ins Visier der Rechten | |
| und auf verschiedene Neonazi-Listen geraten bin. Aber den Terror dieser | |
| Gruppen habe ich immer wieder deutlich zu spüren bekommen. Drohanrufe, mich | |
| zu holen und dann „so einiges“ mit mir zu machen, obszöne Beschimpfungen, | |
| nächtliche Klingelattacken an meiner Wohnungstür, meist mitten in der | |
| Nacht und häufig als Sturmklingeln. | |
| Die Flurwände des Hauses, aus dem ich kurz zuvor ausgezogen war, | |
| beschmierten im November 2001 Unbekannte mit „SA voran“, Hakenkreuzen und | |
| SS-Runen. Die Hausverwaltung ließ die Schmierereien übermalen, zwei Wochen | |
| später waren sie wieder da: neues Hakenkreuz und – meterhoch – „Simone, | |
| pass auf“. Das Doppel-s in Nazi-Runen. Dazu der Satz: „Wir kriegen dich“. | |
| Jetzt schaltete sich das Landeskriminalamt ein und lud mich zur | |
| „polizeilichen Vernehmung“ vor. Darüber war ich froh, das LKA wird helfen, | |
| glaubte ich: Angriffe von rechts werden nicht geduldet, Betroffene | |
| geschützt. Kleiner Raum, geschlossenes Fenster, vier Beamte mir gegenüber. | |
| Sie rauchten wie ein Zellulosewerk und stellten mir unzählige Fragen, so | |
| was wie: „Haben Sie einen Verdacht, wer das gewesen sein könnte?“ „Könn… | |
| das jemand aus Ihrem Umfeld gewesen sein?“ „Haben Sie mal einen Liebhaber | |
| abgewiesen?“ | |
| Ich antworte brav, wunderte mich aber heftig über die Art zu fragen. „Ich | |
| bin das Opfer, nicht die Täterin“, sagte ich. Und fragte, was mein | |
| Liebesleben mit den Nazi-Schmierereien zu tun habe. „Wir müssen allem | |
| nachgehen“, sagte einer der Beamten: „Es könnte ein Trittbrettfahrer sein.… | |
| ## „Öffentlichkeit ist der beste Schutz“ | |
| „Wie helfen Sie mir?“, fragte ich. Ich hatte ein kleines Kind, ich hatte | |
| Mühe, meine Angst vor meiner Tochter zu verbergen. Wenn es nachts | |
| klingelte, beruhigte ich sie, dass sie das nur geträumt habe. Und diesmal, | |
| dachte ich, muss die Polizei etwas tun, diesmal sind die Angriffe so | |
| bedrohlich, dass sich selbst das LKA damit befasst. | |
| Doch die Beamten gaben mir Tipps wie: Benutzen Sie täglich wechselnde Wege. | |
| Gehen Sie zu unterschiedlichen Zeiten aus dem Haus. Ändern Sie Ihre | |
| Telefonnummern. Verwirren Sie die Angreifer. Hatte ich richtig gehört? Ich | |
| sollte mein Leben ändern, weil mich Rechte bedrohen? Wozu gibt es die | |
| Polizei? Den Staatsschutz? Kriminalämter? | |
| Irritiert verließ ich das Präsidium und bat einen Kollegen einer Berliner | |
| Tageszeitung um Rat. Der Journalist schrieb seit Jahren über die rechte | |
| Szene, er kannte Namen und Abläufe, schon lange hatte er Polizeischutz. Er | |
| wusste sicher, was ich tun könnte. Er sagte: „Öffentlichkeit ist der beste | |
| Schutz.“ Und schrieb einen kleinen Text mit großer Wirkung: Fortan hatte | |
| ich Polizeischutz. Worin der genau bestand, weiß ich allerdings bis heute | |
| nicht. | |
| Der Kollege sagte: „Wenn es in der Zeitung steht, muss die Polizei | |
| reagieren.“ [4][In seinem Text stand dann, „der Fall Simone S.“] sei nach | |
| Einschätzung der Behörden „möglicherweise der erste, in dem sich ein | |
| Zusammenhang zwischen Anti-Antifa-Listen und handfester Bedrohung | |
| herstellen lasse“. | |
| Soweit jetzt bekannt ist, hat die Polizei nur wenige der 35.000 Personen | |
| auf Nazi-Listen darüber informiert, dass ihr Name dort genannt ist. | |
| 1 Aug 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Bedrohung-durch-Rechtsextremismus/!5525051 | |
| [2] /Terror-Ermittlungen-in-Norddeutschland/!5468003 | |
| [3] /Archiv-Suche/!1274192&s/ | |
| [4] https://www.tagesspiegel.de/berlin/eine-frau-im-visier-der-feierabend-gesta… | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schmollack | |
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