# taz.de -- Siedlungsbau in Palästinensergebieten: Israel plant, Beduinendorf … | |
> Im Westjordanland sollen Palästinenser umgesiedelt werden, um Platz für | |
> Israelis zu schaffen. Internationaler Protest verhinderte dies bislang. | |
Bild: Israelische Polizisten und Palästinenser bei einem Protest gegen die Zer… | |
KHAN AL-AHMAR UND ABU DIS taz | Israels Armee hat mit der Zerstörung des | |
Beduinendorfes Khan al-Ahmar im besetzten Westjordanland begonnen. | |
Bulldozer rissen zunächst provisorisch errichtete Straßenblockaden ab. Bei | |
Protesten gegen die Räumung kam es bereits am Mittwoch zu vier Verletzten. | |
Die deutsche Bundesregierung kritisierte die geplante Zwangsumsiedlung von | |
zunächst rund 180 Menschen, die Raum schaffen sollen für die Erweiterung | |
jüdischer Siedlungen. Mit der Zerstörung von Khan al-Ahmar und neuen | |
israelischen Bauten würden „die Aussichten auf ein zusammenhängendes | |
palästinensisches Staatsgebiet und damit die Umsetzbarkeit einer | |
Zwei-Staaten-Lösung deutlich verringert“, hieß es. | |
Die Armee sperrte das Dorf weiträumig ab. Besuche sind vorläufig nicht | |
erlaubt. Ende Mai hatte der Oberste Gerichtshof in Jerusalem entschieden, | |
dass die Zerstörung von Khan al-Ahmar rechtens sei. Die Beduinen hatten das | |
Dorf ohne die nötigen Baugenehmigungen errichtet, darunter eine Schule, die | |
mit Hilfe europäischer Gelder gebaut wurde. | |
Der Ort, den Israels Behörden für die Beduinen des Dschahalin-Clans | |
vorgesehen haben, heißt Al Dschabel, auf deutsch „der Berg“. Es liegt | |
unmittelbar an einer Müllhalde in der Ostjerusalemer Kleinstadt Abu Dis. | |
Jede der gut 30 Familien soll mit 250 Quadratmetern Land kompensiert | |
werden, wenn Khan al-Ahmar zerstört wird. Auf dem Dschabel in Abu Dis | |
bereiten Planierraupen bereits den Boden für die Neubauten vor. | |
„Wo soll ich da meine Tiere unterbringen?“, fragt Eid Dschahalin. Rund | |
1.600 Schafe und Ziegen sowie 28 Kamele gehören zur Herde der | |
Dschahalin-Gemeinde. Sie sind die Haupteinnahmequelle der Beduinen, die die | |
Milch zu Käse verarbeiten und auf dem Markt in der Jerusalemer Altstadt | |
verkaufen. Khan al-Ahmar liegt unmittelbar an der Hauptstraße zwischen | |
Jerusalem und Jericho. Der Markt in der kaum zehn Kilometer entfernt | |
liegenden Stadt ist von hieraus gut zu erreichen. | |
## Grünes Licht für weitere Vertreibungen? | |
Eid Dschahalin, der sich lieber als Abu Khamis anreden lässt, ist | |
siebenfacher Familienvater. Durch sein dunkles Gesicht ziehen sich tiefe | |
Falten, und der Schnauzbart des erst 51 Jahre alten Mannes ist schon ganz | |
grau. Die Verstädterung der Beduinen „wäre unser Ende“. | |
Federführend im Kampf gegen die Hirten ist eine Gruppe von Israelis aus den | |
benachbarten Siedlungen Kfar Adumim, Alon und Nofei Prat. Mit wiederholten | |
Petitionen forderten sie vor Gericht die sofortige Umsetzung [1][bereits | |
bestehender Abrissbefehle]. „Es kann nicht sein, dass sich jeder, wie er | |
will, wild in der Gegend ansiedelt“, begründet Naomi Kahn, Sprecherin der | |
Siedlerbewegung Regavim, die mit Geldern der israelischen Ortsverwaltungen | |
im besetzten Westjordanland die Gerichtsverfahren finanziert. „Es gibt | |
Bestimmungen, und die müssen für alle gelten“, sagt Kahn und räumt ein, | |
dass „wir auch das Land Israels schützen wollen, damit sich dort legale | |
Ortschaften ausbreiten können“. | |
Kaum 500 Meter von Khan al-Ahmar entfernt sind bereits 92 neue | |
Wohneinheiten für israelische Familien geplant. Die Region östlich von | |
Jerusalem, die bis heute den Namen E1 (East one) aus der britischen | |
Mandatszeit trägt, gilt als strategisch wichtig. Israel plant seit Langem | |
die Gründung einer Siedlung mit 3.000 Wohneinheiten, die mit der bereits | |
knapp 40.000 Einwohner zählenden Siedlerstadt Maale Adumim auf der anderen | |
Seite der Hauptstraße verbunden werden soll. Damit würde das südliche | |
Westjordanland praktisch von Jerusalem abgeschnitten. | |
Bislang verhinderte internationaler Protest den Baubeginn der neuen | |
Siedlung. Sarit Michaeli von der Menschenrechtsorganisation B’tselem | |
befürchtet nun, dass die Zerstörung Khan al-Ahmars, „sollte sie ohne | |
Widerspruch über die Bühne gehen, Israel grünes Licht für weitere | |
Vertreibungen geben könnte“. B’tselem hält auch die Richter für | |
verantwortlich, wenn es zur Zerstörung des Dorfes kommt. Die | |
Zwangsumsiedlung der Dschahalin käme einem „Kriegsverbrechen“ gleich. | |
## Eine Schule, errichtet aus Autoreifen und Schlamm | |
Ginge es nach Abu Khamis, würde er mit seiner Familie am liebsten wieder in | |
die Wüste bei Arad ziehen, aus der seine Familie in den frühen 50er Jahren | |
geflohen ist. Damals wollte die israelische Armee die Beduinen zum Dienst | |
an der Waffe rekrutieren. Seine Eltern zogen ins Westjordanland, das damals | |
jordanisch war. „Die Jordanier ließen uns ins Ruhe“, sagt Abu Khamis, | |
„geholfen haben sie uns allerdings auch nicht viel.“ Der Clan ließ sich | |
östlich von Jerusalem in der Nähe des Wadi Kelt nieder, in dem das ganze | |
Jahr über Wasser fließt. | |
Bis zum Sechstagekrieg war die Hauptstraße bei Khan al-Ahmar zentrale | |
Verbindung zwischen Jerusalem und Amman. „Unsere Probleme fingen mit der | |
Besatzung an“, sagt Abu Khamis. Nach dem Sechstagekrieg 1967 erklärte die | |
Militärverwaltung große Gebiete zur Sperrzone, die Beduinen mussten immer | |
wieder umziehen und enger zusammenrücken. Ab 1979 begann der Siedlungsbau | |
zunächst von Maale Adumim und vier Jahre später von Kfar Adumim. Heute | |
liegt das Beduinendorf in der sogenannten C-Zone, auf palästinensischem | |
Land zwar, aber unter israelischer Kontrolle. | |
Abu Khamis gelang es, internationale Hilfe für den Bau einer Schule zu | |
mobilisieren. Aus alten Autoreifen und Schlamm errichteten die Hirten ein | |
Schulgebäude, in dem heute 170 Kinder und Jugendliche aus der Region bis | |
zur neunten Klasse zur Schule gehen. Die Schule ist Grund dafür, dass sich | |
jüngst auch die Palästinensische Autonomiebehörde, die erst „nach langem | |
Kampf 15 Lehrerinnen zur Verfügung stellte“, wie Abu Khamis berichtet, dem | |
Protest gegen den Abriss von Khan al-Ahmar anschloss. | |
„Wir appellieren an unsere Freunde in der internationalen Gemeinschaft, das | |
universale Recht der Kinder auf Bildung zu schützen“, heißt es in einer | |
Mitteilung des palästinensischen Bildungsministers Sabri Saidam. Die Schule | |
in Khan al-Ahmar sei mit europäischen Geldern errichtet worden. Jetzt sei | |
es an den Politikern, „den Kindern bei der Rettung ihrer Schule zu helfen“. | |
6 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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