# taz.de -- Kolumne „Lügenleser“: Den Schiri braucht's. Seehofer nicht | |
> Warum sollte Merkel daran interessiert sein, einen kindisch-beleidigten | |
> Nervbolzen mit rechten Tendenzen in der Regierung zu halten? Eben. | |
Bild: Der einzige der sich für unersetzlich hält, ist Seehofer selber | |
Das dramatische Elfmeterschießen zwischen Kroatien und Dänemark war soeben | |
beendet, als eine Nachricht von offenbar äußerster Wichtigkeit in das | |
ZDF-Studio platzte. So wichtig, dass man den WM-Experten Oliver Kahn in | |
seinen Ausführungen unterbrach. | |
„Horst Seehofer tritt anscheinend von allem Ämtern zurück“ verkündete | |
Moderator Oli Welke. Jetzt hat Deutschland doch noch seinen WM-Moment, | |
dachte ich, kollektiver Jubel bricht aus. Kahn hingegen schaut in etwa so | |
interessiert und überrascht, als hätte man ihm mitgeteilt, dass er der | |
beste Torhüter aller Zeiten mit der schönsten Frisur auf diesem Planten | |
sei. Ja und? | |
Ein süffisantes Lächeln huscht über sein Gesicht, gefolgt von einem | |
schmallippigen „Ich weiß gar nicht wie ich meine Emotionen zwischen all | |
diesen ganzen Sendeblöcken unterdrücken soll“. Das mag erstens damit | |
zusammenhängen, das Oliver Kahn genau weiß, dass er sich morgen zum | |
Spitzenkandidaten der CSU aufstellen lassen könnte und locker 60 Prozent in | |
Bayern holen würde. | |
Vielleicht aber auch damit, dass ein Rücktritt Seehofers für die Welt in | |
etwa so wichtig ist, wie die Information, dass die Katholische Kirche einst | |
Wasserschweine als Fische einstufte, damit man sie während der Fastenzeit | |
verspeisen konnte. Aha, Danke für die Info, das freut mich, weiter geht’s. | |
## Kein Mangel an Möchtegern-Innenministern | |
Der einzige der sich schließlich für unersetzlich hält, ist Seehofer | |
selber. Dabei hatte die Union noch nie einen Mangel an | |
Möchtegern-Innenministern. Ersatz stünde sicher parat. Der WM-Abend wird | |
also unterbrochen und das ZDF schaltet Live zu irgendwelchen Reportern, die | |
überhaupt nichts wissen. Außer: Seehofer tritt wohl zurück. Vielleicht. | |
Also hört man. Wenn die Merkel nicht macht was er will. Mimimi. | |
Während auf der Straße vor meinem Fenster bereits der Autokorso rollt und | |
ich nicht sicher sagen kann ob die Schachbrettmuster auf den Fahnen von der | |
kroatischen oder der bayerischen Flagge stammen, greift der | |
Videoschiedsrichter in Gestalt von Alexander Dobrindt ein und nimmt den | |
Rücktritt nicht an. Sapperlot! Sollte der Seehofer etwa nur geblöfft haben, | |
um die Merkel doch noch rum zu kriegen und nicht zum „Drehhofer“ (Danke | |
dafür, BILD!) zu mutieren? | |
## Ab in die Unterwelt | |
Es geht also in die Verlängerung. „Eine Chance noch!“ scheint die CSU sagen | |
zu wollen, wie ein strenger Schiri, der die Rote Karte vorläufig noch | |
stecken lässt. Das Problem dabei: Den Schiri braucht man. Seehofer nicht. | |
Sein (zeitlich begrenzter) Rücktritt vom Rücktritt sei ein Angebot an | |
Angela Merkel, verkündet der Mann mit der Modelleisenbahn im Keller nun. | |
Doch dabei übersieht er etwas ganz Entscheidendes: Warum sollte | |
irgendjemand, inklusive Merkel, daran interessiert sein, einen | |
kindisch-beleidigten Nervbolzen mit rechten Tendenzen in der Regierung zu | |
halten? | |
Es bleibt zu hoffen, dass sich der FPÖ-Fan und Orban-Verehrer endlich in | |
seinen unterirdisches Reich zurückzieht und in Zukunft nur noch bei seinem | |
Spielzeug die Weichen stellt. Und wenn alle Stricke reißen, haben wir ja | |
immer noch Oliver Kahn. | |
2 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Juri Sternburg | |
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