# taz.de -- Kolumne Lügenleser: Ich folge dem Wahnsinn | |
> Gegen Google? Für Techno? Links? Antideutsch? Ich bin verwirrt. Aber | |
> dennoch für die Revolution. Wenn ich nur wüsste, wo die stattfindet. | |
Bild: Wofür oder wogegen auch immer: 1.-Mai-Demo in Tokyo | |
Vor meinem Balkon in Kreuzberg 36 ist einiges los. Die Polizei verhaftet | |
einen Hippie, der selbstgebastelte Mandalas verkauft. Keine Konzession. | |
Oho! Die englische Besitzerin der neu eröffneten Galerie im Erdgeschoss | |
erklärt ein paar Touristen aus Trinidad, dass sie aufpassen sollen, bei der | |
MyFest-Party anlässlich des 1.Mai gebe es auch immer einen militanten Block | |
voller vermummter Neonazis. Aha! Und was ist sonst so los? | |
In Neukölln will eine äußerst sportliche Gruppe namens „Jugendwiderstand“ | |
demonstrieren. Die sind eigentlich gegen alle anderen, egal ob gewöhnliche | |
Linke, Antideutsche oder Trotzkisten. Am Startpunkt der nicht angemeldeten | |
18-Uhr-Demo wiederum wird wie jedes Jahr die HipHop-Bühne aufgebaut. Oder | |
andersrum. Das Motto der Demo lautet: „Kreuzberg united – Gemeinsam gegen | |
Rassismus, Islamophobie und soziale Verdrängung!“ | |
Antisemitismus wurde kurz ausgeklinkt, ist ja auch gerade wirklich kein | |
Thema. Im Sinne des Burgfriedens hat man sich da auch ein paar Leute ins | |
Boot geholt, die offen die AKP unterstützen. Dafür möchte man dann auf der | |
Demo später aber massig PKK-Flaggen zeigen. Auf den Demo-Plakaten prangt | |
unter anderem das Logo der Schnaps-Firma „Kleiner Feigling“. | |
Die CDU in Person von Kurt Wansner hat eine Gegendemo angekündigt, dann | |
aber wieder zurückgezogen, man rechne mit Gewalt gegen die eigenen | |
Teilnehmer. Quelle surprise! Im Görlitzer Park findet ein [1][kommerzielles | |
Technofestival] statt, für all die Leute mit Glitzer im Gesicht, die Cuba | |
Libre trinken und sich fragen, warum weiter hinten rote Fahnen geschwenkt | |
werden. | |
Es klingelt bei mir. Jemand kommt vorbei und fragt ob ich ein „Fuck | |
Google“-Plakat aus meinem Fenster hängen möchte. Ich willige erst mal ein, | |
frage aber spaßeshalber ob das denn überhaupt erlaubt sei. „Ja ja, das ist | |
rechtlich abgesichert. Kannst du…“ Er stockt. „Kannst du im Internet | |
nachlesen.“ Grade noch die Kurve gekriegt. | |
## Es gibt kaum eine Alternative zur revolutionären Praxis | |
In dem wunderbaren Film „Das Leben des Brian“ wurde einst großartig | |
aufgezeigt, warum linke Politik von Autonomen Gruppen so oft zum Scheitern | |
verurteilt ist. Jeder ist sich selbst am liebsten und die anderen sind eh | |
alle doof. Wie sie unschwer erkennen können, geht es mir da ähnlich. | |
Die großartigste Szene des Films ist jene, in der die Kamera über den | |
vollgestopften Marktplatz schwenkt und verschiedene Propheten einfängt. | |
Einer von Ihnen ist der Prophet der Verwirrten. O-Ton: „Und die Verwirrung | |
wird all jene verwirren, die nicht wissen. Und niemand wird genau wissen, | |
wo diese kleinen Dinge zu finden sind, die verknüpft sind mit einer Art von | |
Handarbeitszeug, das durch die Verknüpfung verknüpft ist.“ | |
Es würde mich nicht wundern, wenn wir diesen Propheten am 1. Mai durch | |
Kreuzberg marschieren sehen. Und ich würde ihm wahrscheinlich folgen. Denn | |
selbst inmitten dieses ganzen Wahnsinns, bleibt die Erkenntnis, dass es | |
kaum eine Alternative zur revolutionären Praxis gibt. Wenn man nur wüsste, | |
[2][wo diese wirklich stattfindet]. | |
1 May 2018 | |
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## AUTOREN | |
Juri Sternburg | |
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