# taz.de -- Ausstellung „Shame“ in Bremen: Mal nicht nur fat shaming | |
> Das Künstlerhaus Bremen beschäftigt sich mit dem Thema Scham. Es ist die | |
> erste Ausstellung der neuen Leiterin Nadja Quantes. | |
Bild: Die Sprache taucht doppelt auf – im Kopfhörer und auf Papier: The Red … | |
BREMEN taz | Schämen tut sich, wer etwas Falsches getan hat. Oder: Wer | |
glaubt, andere könnten es falsch finden. Wahrscheinlich ist es immer | |
beides, so ein Moment, wo das intimste Fühlen und das Urteil der | |
Öffentlichkeit sich plötzlich nicht mehr voneinander trennen lassen. Im | |
Privaten gibt es das wie in der Gesellschaft, der Politik, der Geschichte – | |
und in der Kunst. | |
Im Künstlerhaus Bremen widmet sich die Gruppenausstellung „Shame“ dem Thema | |
nun aus verschiedenen Perspektiven. Dass es dabei in den meisten Arbeiten | |
um Körper geht, ist keine Überraschung – wie sich die vier Künstler damit | |
befassen, hingegen schon. Es geht nämlich nicht um die zwar quälende, | |
letztlich aber doch banale Frage nach vermeintlichen Unzulänglichkeiten des | |
eigenen Körpers unter dem Druck der Gesellschaft: Über „fat shaming“ und … | |
weiter ist längst alles gesagt, auch wenn das Problem weiter ungelöst | |
bleibt. | |
„Shame“ geht tiefer. Gernot Wielands Videoarbeit „Ink in Milk“ behandelt | |
unter anderem etwa die Kindheit des 1968 in Österreich geborenen Künstlers: | |
Wer in der Schule auffällt, wird vom Lehrer auf eine Liste gesetzt und muss | |
warten. Ist diese Liste irgendwann voll, spielen die Notierten „Reise nach | |
Jerusalem“ – körperlich bestraft wird nur der Verlierer. | |
Wieland zeigt das System hinter dem mehrstufigen Schamkomplex: bis hin zur | |
Sitzordnung, die er grob auf einem Zettel skizziert, und Fotos der | |
Architektur, die einen klein hält. Das Video konfrontiert die verschiedenen | |
Formen miteinander, lässt auch Widersprüche zu, provoziert mit ironischen | |
Brechungen, wo man eigentlich den „Skandal“-Schrei erwartet. Beliebig ist | |
die Komposition aber nicht. | |
Die Positionierung von Körpern zueinander, sagt Wieland im Film, sei | |
politisch. Und das nicht irgendwie, sondern knallhart-konkret: Die Körper | |
erscheinen hier als Keimzelle des Politischen, nicht als Anhängsel. Für | |
Wieland ist der Schulalbtraum nur eine Episode des Films, nur ein Aspekt | |
des post-faschistischen Österreichs, neben Heilkristallen und anderen | |
Verschrobenheiten. | |
Fiktion und Autobiografie gehen hier ineinander über. Die Schrift im Film | |
und auf den Notizzetteln ist auf Englisch – der Sprache, die Wieland zwar | |
in Fleisch und Blut übergegangen ist und die trotzdem nicht die seiner | |
Kindheit ist. | |
Distanz in und durch Sprache bestimmt auch die Arbeit „The Red Button“ von | |
Aleksandra Bielas. Es ist ein Hörspiel, über Sexualität, den Penis des | |
Gegenübers, Gefühle, den Akt. Schamhaft ist das Reden darüber vermutlich | |
viel mehr als die Sache selbst. Im Hintergrund sind Geräusche einer | |
Bahnfahrt zu hören: eine Öffentlichkeit drumherum, die das Private noch | |
mehr unterstreicht und ihm gleichzeitig Grenzen setzt. | |
Diese Sprache taucht hier doppelt auf: in dem Hörspiel und auf einem | |
Poster, das den Text zeigt – auf der Seite liegend in flatternden Spalten. | |
Es ist anstrengend, ihm zu folgen. Immer wieder verrutscht man und landet | |
irgendwo anders im Text, schnappt einen anderen Gedanken auf, dem sich | |
wieder nicht zu Ende folgen lässt. | |
Und das zeigt wohl am deutlichsten den inneren Widerspruch, an dem sich | |
sämtliche Positionen der Ausstellung produktiv abarbeiten: Wie trägt man | |
die Schwierigkeit des Nach-außen-Tragens nach außen, ohne dass sie darüber | |
schon erledigt wäre? | |
„Shame“ ist Nadja Quantes erste Ausstellung, seit sie im Frühjahr die | |
künstlerische Leitung des Hauses von ihrer Vorgängerin Fanny Gonella | |
übernommen hat. Die Gruppenausstellung hat sie mitgebracht – „Shame“ war | |
zuvor in ähnlicher Form im KunstWerk Köln zu sehen – nur ist sie hier eben | |
mehr, nämlich der Start eines Programms, das politische Kunst verspricht, | |
die drängende Themen in den Mittelpunkt rückt. | |
Das allerdings, ohne die Plattitüden wiederzukäuen, die der Aktualität | |
sonst immer so gefährlich nahe stehen. Kunst also, die um die Komplexität | |
ihres Gegenstandes weiß. Und es ist doch höchst erfreulich, dass es gleich | |
zum Einstand sogar viermal gelungen ist. | |
16 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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