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# taz.de -- Die Wahrheit: Ab jetzt wird zurückbewertet!
> Wäre es nicht ein Service für Kolumnenschreiber, zu wissen, ob die Leser
> es überhaupt wert sind, ausgesuchte Spitzenpointen zu schreiben?
Bild: Behaupten sollte auch der Berufsprovokateur nur faktisch Richtiges
Inzwischen hat wirklich alles eine Bewertungsfunktion. Das
Drei-Sterne-Restaurant, die Pommesbude oder die Bushaltestelle um die Ecke:
Zu allem hinterlassen Profilneurotiker ihre Meinung, als einfache
Punktewertung oder in ellenlangen Suadas über die Beschaffenheit von
Duschgel.
Kaum ist der Handwerker aus dem Haus, ruft ein Callcenter-Callboy mich an,
um mich auszuhorchen, ob der Mann angemessen unterwürfig und wohlriechend
war. Die neue Sexpuppe ist nicht mal eingetroffen, da fordert eine Mail
auf, sie zu bewerten. Geht man in eine Veranstaltung, wo postpubertäre
Betroffenheitslyrik mit albern herumwedelnden Armbewegungen vorgetragen
wird, muss man sofort Zettel mit Schulnoten in die Luft halten. Selbst beim
Flughafenklo soll man hinterher auf einem Bildschirm seine Zufriedenheit
angeben. Echt jetzt? Ich habe in ein Pissbecken gepisst und soll dafür
Punkte vergeben? Ihr habt sie doch nicht mehr alle!
So gesehen war ich nicht überrascht, als ich vom Ferienwohnungsportal
aufgefordert wurde, die Ferienwohnung zu bewerten. Sehr wohl überrascht war
ich allerdings, als ich informiert wurde, dass meine Bewertung durch den
Vermieter nun vorliege. Wie bitte? Verblüfft klickte ich den Link an, und
siehe da – unser Vermieter hatte mich komplett durchbewertet, von
„Pünktlichkeit der Schlüsselabgabe“ bis zu „Sauberkeit des Gastes“.
Immerhin drei von fünf Sternchen habe ich bekommen. Kritisch angemerkt
wurde, dass wir Fettspritzer und eine angebrochene Packung Kaffee
hinterlassen hätten.
Erst war ich irritiert, dann freute ich mich. So, ihr Nörgler,
Besserwisser, ihr verkannten Gastro-Kritiker und Topchecker: Endlich können
nicht nur Restaurants, sondern auch Restaurantbesucher bewertet werden!
Muss sich der Koch wirklich Mühe geben, ein aufwendiges Drei-Gänge-Menü
zuzubereiten, wenn der User nach den Erfahrungen anderer Etablissements
eine Mousse au Chocolat nicht von einem Haufen Hundekot unterscheiden kann?
Muss man jemandem einen Tisch im Exotische-Spezialitäten-Restaurant
reservieren, wenn er bei Welt Online dauernd über diese verdammten
Ausländer schimpft? Sollte man dem Kunden Heiko Werning einen neuen
Telefonanschluss zur Selbstmontage verkaufen, weil er auf Nachfrage
behauptet, selbstverständlich könne er das installieren, nur um
anschließend stundenlang die Hotline mit langwierigen Problembeschreibungen
zu blockieren, die dann am Ende herausfindet, dass er vergessen hat, den
verdammten An-Schalter anzuschalten?
Und wäre es nicht ein wichtiger Service für die Schreiber von Kolumnen,
wenn sie wüssten, ob die Leser es überhaupt wert sind, filigran komponierte
Textminiaturen und ausgesuchte Spitzenpointen zu schreiben, wenn es am
Ende doch wieder nur Leute sind, die Harald-Martenstein-Glossen lustig
finden?
Mir scheint, da bieten sich noch ganz ungeahnte Möglichkeiten. Obacht – ab
jetzt wird zurückbewertet!
13 Jul 2018
## AUTOREN
Heiko Werning
## TAGS
Service
Noten
Kritik
Schwerpunkt Abtreibung
Bayernwahl
Lifestyle
Internet
Unterkunft
Schwerpunkt Angela Merkel
Ausländer
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