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# taz.de -- Die Wahrheit: Das schwimmende Brechzimmer
> Die unwirtlichsten Unterkünfte der Welt (1). Die neue Sommerserie. Heute:
> Auf einem übel schaukelnden Kutter unterwegs zu den Galapagosinseln.
Bild: Vor den Galapagosinseln ist schon so mancher Kahn mit seinen Passagieren …
Das Völkchen der Journalisten und Schriftsteller gilt als Weltmeister im
Reisen. Dauernd sind Autoren zu Lesungen und Buchmessen unterwegs oder
müssen sich auf ihren Expeditionen durch aller Damen und Herren Länder eine
Unterkunft suchen. Dabei haben sie einige der abseitigsten Absteigen der
Welt gesehen und sind dort untergekommen, wo andere keinen Fuß hineinsetzen
würden. In unserer neuen Wahrheit-Sommerserie dokumentieren wir das ganze
Ausmaß des unbehausten Schreckens.
Immerhin gab es ein eigenes Bad, wie ich bei der Besichtigung feststellte.
Während eines Studienaufenthaltes in Ecuador hatte sich spontan die
Möglichkeit ergeben, auf den Galapagosinseln an einer Tour teilzunehmen,
weil die englische Birdwatcher-Gruppe, die auf dem Schiff eigentlich
reisen wollte, kurzfristig abgesagt hatte. Eigentlich waren diese Trips
finanziell für uns völlig außer Reichweite, aber dieser hier war
erstaunlich günstig.
Als wir in den Hafen kamen, ahnten wir, warum. Die „Desire“ schwamm da,
umgeben von strahlend weißen Jachten und schicken Motor-Katamaranen, wie
das hässliche junge Entlein zwischen seinen hübschen Geschwistern: ein
deutlich in die Jahre gekommener Kutter mit abblätternder Farbe,
gesprungenen Bullaugen und rostigen Ketten. Davor saß auf einem wackligen
Klappstuhl eine heruntergekommene Gestalt mit Kopftuch und selbst gedrehter
Fluppe im Maul, die so aussah, als sei sie gerade einem Piraten-Comic
entsprungen – Käpt’n Francis hieß uns per lässigem Handzeichen auf unser…
schwimmenden Unterkunft willkommen. Mir kam ein Verdacht, warum die
Birdwatcher-Gruppe abgesagt hatte – womöglich hatten sie Schiff und Kapitän
gesehen.
## Seltsame Damenstoffsommerhüte
Mit an Bord gingen eine neuseeländische Rucksacktouristin, ein Schweizer
Ehepaar in kakifarbenem, mückensicherem Tropen-Outfit und mit Gepäckbergen,
als würden sie zu einer mehrwöchigen Dschungeltour aufbrechen, ein
holländisches Pärchen und zwei vornehme, etwas deplatziert wirkende
amerikanische Rentnerinnen mit seltsamen Damenstoffsommerhüten, die
aussahen wie zwei vornehme, etwas deplatziert wirkende amerikanische
Rentnerinnen mit seltsamen Damenstoffsommerhüten. Was wollten die denn
hier?
Zur Begrüßung gab es Rum, vom Schiffskoch persönlich ausgeschenkt. Es war,
wie sich später herausstellen sollte, das Gericht, das er mit Abstand am
besten beherrschte. Das Schweizer Paar lehnte ab; es hatte Bedenken, dass
das Zeug sie blind machen könnte.
In unserer Kajüte roch es zwar etwas streng, und die Bettdecken wirkten
eher modrig, aber solange wir draußen an Deck sitzen konnten, war alles
gut. Wir freundeten uns mit den Holländern an und hörten den Schweizern zu,
die uns erklärten, dass man für das Trinkwasser an Bord immer
Desinfektionstabletten dabei haben musste. Dann gab es Abendessen. Die
Schweizer wollten nicht, weil man Hühnchen nicht mit Desinfektionstabletten
behandeln könne. Nach dem Essen verschwand die neuseeländische
Rucksacktouristin mit Käpt’n Francis.
Offenbar hatten wir die windgeschützte Seite der Insel verlassen, es
schaukelte zunehmend. Der Schweizer wurde grün im Gesicht und hechtete los
in seine Kajüte. Immerhin war sein kakifarbenes, moskitodichtes und voll
atmungsaktives Tropenhemd auch erbrochenesabweisend, wie wir uns überzeugen
konnten, als er später leichenblass zurückkam.
## Schweizer in der Nachbarkajüte
Allerdings wurde auch uns allmählich flau, sodass wir uns in die Kajüte
zurückzogen. Der Eindruck der modrigen Decken bestätigte sich, nachdem wir
sie ausgebreitet hatten und dabei seltsame kleine Tierchen empört
davonstoben, die wir zu ihrem Missfallen plötzlich dem Lampenlicht
preisgegeben hatten. Egal, uns quälten andere Sorgen. Nämlich uns mit aller
Kraft darauf zu konzentrieren, uns nicht zu übergeben. Wie die Schweizer in
der Nachbarkajüte, deren Ächz- und Stöhngeräusche uns zur Linken in die
Ohren drangen. Während zur Rechten irritierend ähnliche, aber anders
motivierte Ächz- und Stöhngeräusche aus der Kapitänskajüte kamen – die
Neuseeländerin und der Käpt’n verstanden sich offenbar bestens.
Ich lag in meinem unteren Doppelstockbett, starrte stier an die Decke und
dachte immer wieder: „Nicht kotzen, bloß nicht kotzen.“ Von oben hörte ich
meinen Mitreisenden murmeln: „Ich glaub, ich muss kotzen. Aber ich habe
Angst, dass diese Tierchen zurückkommen, wenn ich das Bett verlasse.“ Dann
kroch etwas Langes mit vielen Beinen von oben unter seiner Matratze hervor
und ließ sich langsam an etwas Schleimigem, Zähflüssigem zu mir herab. Da
reichte es mir.
## Neue Flasche Rum
Mühsam schleppte ich mich zurück an Deck. Dort saßen die amerikanischen
Rentnerinnen, gut gelaunt mit einer neuen Flasche Rum vor sich. Ob ich
nicht auch einen wolle, fragten sie, vielleicht helfe es mir ja, nicht
kotzen zu müssen. Und wenn ich es doch täte, würde ich wenigstens keinen
Kater bekommen, es sei sozusagen eine Win-win-Situation. Sie prosteten mir
kichernd zu. Man darf sie einfach nicht unterschätzen, diese alten Damen,
dachte ich, als ich mir ein Glas einschenkte, sie haben einfach schon zu
viel erlebt.
Am nächsten Morgen verließen die Schweizer mit allen Koffern, Tropenhemden,
Wasserfiltern und Desinfektionsmitteln das Boot, um sich in einer der
großen Jachten einzumieten. Die Holländer erstanden eine Familienpackung
Seekrankheitstabletten, die sich in der folgenden Woche als ausgesprochen
wirkungsvoll herausstellen sollten, wir eine Dose mit einem etwas
beunruhigend riechenden, auf die wirbellosen Mitbewohner unserer Kajüte
jedoch bleibenden Eindruck hinterlassenden Sprays, während die
amerikanischen Rentnerinnen noch ein paar Flaschen Rum für alle kauften.
Es wurde dann doch noch ganz schön. Käpt’n Francis und die Neuseeländerin
allerdings sahen wir erst am Ende der Woche wieder.
6 Jul 2018
## AUTOREN
Heiko Werning
## TAGS
Unterkunft
Internet
Service
Schwerpunkt Angela Merkel
Alexander Gauland
Ausländer
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