# taz.de -- Anhörung zu Paragraf 219a im Bundestag: Meinungen gehen weit ausei… | |
> Der Rechtsausschuss im Bundestag diskutiert über verbotene „Werbung“ für | |
> Abtreibungen. Ein Gesetzentwurf der Regierung steht noch aus. | |
Bild: Seit 2017 wird die Kritik an den Paragrafen 218 und 219 wieder auf die St… | |
BERLIN taz | Mitten in der Anhörung des Rechtsausschusses im Deutschen | |
Bundestag wird es plötzlich unruhig auf der Zuschauertribüne. Zehn Personen | |
stehen schweigend auf. Sie tragen weiße T-Shirts, auf denen steht: | |
„Abortion ist not a crime“, oder: „Weg mit 219a“. | |
Es geht um die verbotene „Werbung“ für Schwangerschafts-abbrüche – zu d… | |
auch gehört, wenn Ärzt*innen auf ihren Webseiten sachlich darüber | |
informieren, dass sie diese durchführen. Grüne und Linke wollen Paragraf | |
219a abschaffen, die FDP will eine Reform. Auch die SPD will den Paragrafen | |
streichen, verfolgt ihren Gesetzentwurf aber aus Rücksicht auf die Union | |
derzeit nicht weiter. | |
Die Aktivist*innen werden unter Applaus hinausgeführt. Er verstehe nicht, | |
sagt Stephan Brandner, AfD-Politiker und seit Ende Januar Vorsitzender des | |
Rechtsausschusses, warum „bei einem so ernsten Thema so ein Affenzirkus“ | |
veranstaltet werde – und will am liebsten die ganze Tribüne räumen lassen, | |
auf der auch die Presse sitzt. Als dort später erneut applaudiert wird, | |
erklärt Brandner, dort säßen wohl „nur sehr beschränkt denkende Menschen�… | |
Sachliche Äußerungen zum Thema gibt es an diesem Abend allerdings auch. | |
Alle Fraktionen haben Sachverständige eingeladen; die [1][Auswahl der | |
Expert*innen zeigt]: Es geht um mehr als nur rechtliche Fragen. Anwesen | |
sind neben Jurist*innen auch Ärzt*innen, Vertreterinnen von | |
Beratungsstellen sowie des Kommissariats der deutschen Bischöfe. | |
## Meinungen liegen weit auseinander | |
Die Meinungen gehen weit auseinander: Von „Den Paragrafen zu streichen wäre | |
nicht vereinbar mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ zu | |
„Der Paragraf ist zumindest in Teilen verfassungswidrig“ ist alles dabei. | |
Paragraf 219a sei Teil des Gesamtkonzepts der Rechtslage zu | |
Schwangerschaftsabbrüchen, sagt etwa der Augsburger Strafrechtler Michael | |
Kubiciel. Abtreibungen sind in Deutschland grundsätzlich verboten, aber | |
unter bestimmten Bedingungen straffrei. Ulrike Lembke vom Juristinnenbund, | |
Reinhard Merkel von der Universität Hamburg und Thomas Weigend von der | |
Universität Köln hingegen empfehlen, den Paragrafen zu streichen oder zu | |
ändern. „Der Staat ist verpflichtet, ein ausreichendes und flächendeckendes | |
Angebots sowohl ambulanter als auch stationärer Einrichtungen zur Vornahme | |
von Schwangerschaftsabbrüchen sicherzustellen“, erklärt Merkel. „Ärzte | |
erfüllen somit einen Staatsauftrag.“ Ihnen dafür, dass sie das öffentlich | |
sagen, Strafe anzudrohen, sei „schlicht verfassungswidrig.“ | |
Die Vertreter*innen der katholischen Kirche sowie des katholischen | |
Beratungsträgers Donum Vitae und des Lobby-Vereins „Ärzte für das Leben“ | |
betonen, ohne 219a sei das Lebensrecht des Ungeborenen gefährdet. Wenn es | |
Werbung brauche, sagt der Arzt Michael Kiworr, dann doch für den | |
Lebensschutz und nicht zur „Beendigung des Lebens des noch nicht geborenen | |
Kindes“. | |
„Frauen treffen verantwortungsvolle Entscheidungen“, widerspricht die | |
Berliner Gynäkologin Christiane Tennhardt. Es verhöhne die Frauen, zu | |
unterstellen, sie würden sich aufgrund einer Webseite für oder gegen einen | |
Abbruch entscheiden. Sie und Daphne Hahn von Pro Familia berichten, wie die | |
verstärkten Anzeigen von Abtreibungsgegner*innen Ärzt*innen unter Druck | |
setzen. | |
„Der Handlungsdruck, endlich Rechtssicherheit zu schaffen, ist mehr als | |
deutlich geworden“, sagt Johannes Fechner von der SPD der taz. Eine große | |
Mehrheit der Sachverständigen habe keine verfassungsrechtlichen Bedenken | |
dabei, den Paragrafen zu streichen oder zu reduzieren. „Das ist klarer | |
Rückenwind für die Positionen von SPD, Grünen, Linken und FDP“, sagt | |
Fechner. Er erwarte nun von der Kanzlerin, dass der zugesagte Vorschlag der | |
Regierung bald vorgelegt werde. Die SPD hatte im April einen gemeinsamen | |
[2][Vorschlag der Regierungsfraktionen bis zum Herbst gefordert] – | |
andernfalls solle die Abstimmung im Bundestag freigegeben werden. | |
Die CDU-Politikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker hingegen sieht | |
Handlungsbedarf bei den Beratungsstellen. Diese seien „der ideale Ort“, um | |
sämtliche Informationen zu vermitteln. Ihrer Meinung nach habe das | |
„Lebensrecht des Kindes“ bei den Sachverständigen, die die Abschaffung des | |
Werbeverbots befürworten, „kaum eine Rolle“ gespielt. | |
„Ich hoffe, dass die SPD nach diesem Abend sieht, dass lediglich ein | |
Kompromiss keine Lösung sein kann“, sagt Cornelia Möhring von der | |
Linksfraktion. Sie dringt auf eine baldige Entscheidung. Zusammen mit der | |
SPD hätten Linke, Grüne und FDP eine parlamentarische Mehrheit, um den | |
Paragrafen abzuschaffen oder zu ändern. Auch Ulle Schauws von den Grünen | |
fühlt sich in ihrer Forderung, den Paragrafen zu streichen, bestärkt: „Ich | |
hoffe auf eine zügige Lösung im Sinne der Selbstbestimmung von Frauen“, | |
sagt sie. | |
Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version dieses Textes zitierten | |
wir den Strafrechtler Reinhard Merkel mit den Worten, der Staat sei | |
verpflichtet, ein ausreichendes Angebot an Schwangerschaftsabbrüchen | |
vorzuhalten. Natürlich fordert Herr Merkel keine Mindestzahl an Eingriffen, | |
sondern wurde nicht korrekt zitiert. Wir entschuldigen uns für den Fehler | |
und haben diesen korrigiert. | |
28 Jun 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundestag.de/blob/556142/d5d00000071eea8724612c2919c36107/sv_li… | |
[2] /Abtreibungsstreit-um-Paragraf-219a/!5500896 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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