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# taz.de -- Personal-Offensive in Sachsen: Lehrermangel macht erfinderisch
> Sachsens Regierung geht neue Wege, um an Personal zu kommen. Ein
> Bürgermeister aus der Oberlausitz wirbt in Stuttgart um
> Grundschullehrer*innen.
Bild: Gefragt auf dem Arbeitsmarkt: Lehrerin
Für Bürgermeister Markus Weise war die PR-Reise in den Südwesten der
Republik ein voller Erfolg: „Selbst wenn sich niemand dafür entscheidet,
nach Bernstadt auf dem Eigen zu ziehen, konnte ich immerhin zeigen, wie
hoch die Lebensqualität hier in der Oberlausitz ist“, sagt Weise,
Bürgermeister des 3.400-Einwohner-Städtchens in Ostsachsen. Um
baden-württembergische Lehrer*innen für den Freistaat abzuwerben, war er
Anfang Juni gemeinsam mit Mitarbeiter*innen der Agentur für Arbeit nach
Stuttgart gefahren.
Die Aktion hatte das sächsische Kultusministerium in die Wege geleitet, um
dem eklatanten Lehrer*innenmangel in Sachsen entgegenzuwirken. Die
Jobcenter sollten in Stuttgart, Freiburg und Karlsruhe arbeitslose
Lehrer*innen über die offenen Stellen und die Arbeitsbedingungen im
Freistaat informieren, die kommunalen Vertreter*innen wie Markus Weise
hatten die Aufgabe, die „Lebenssituation in der Oberlausitz vorzustellen“.
Weise zögerte nicht lange. Bernstadt auf dem Eigen habe nämlich einiges zu
bieten, so der Bürgermeister: „Tolle Betreuungsmöglichkeiten für Kinder,
kulturelle Angebote, gute Radwege und vor allem viel günstiger Wohnraum.“
Und natürlich hat Weise auch ein Eigeninteresse bei der Aktion: In seiner
Stadt fehlen Grundschullehrer*innen.
Der Lehrer*innenmangel ist in Sachsen – wie in ganz Deutschland – seit
Jahren ein großes Problem. Um Lehrer*innen in den ländlichen Raum zu
locken, will die schwarz-rote Landesregierung Referendar*innen, die
freiwillig auf dem Land unterrichten wollen, ab Januar 2019 einen
monatlichen Zuschlag von 1.000 Euro zahlen. Mit 2.500 Euro brutto würden
sie somit zu den bestbezahlten Referendar*innen in der Bundesrepublik
zählen.
Vor Kurzem hat der Freistaat sogar bei der Verbeamtung mit anderen
Bundesländern gleichgezogen. Wer jünger als 42 Jahre ist, kann künftig als
Lehrer sofort verbeamtetet werden. Eine Maßnahme, um fertige
Lehramtsstudierende auch in Sachsen zu halten. Außerdem bezahlt Sachsen die
Lehrkräfte auch in den Sommerferien. Und das ist keinesfalls
selbstverständlich: In Baden-Württemberg sind es nach Angaben eines
Sprechers des Kultusministeriums 3.300 Lehrer*innen, deren Arbeitsvertrag
mit Beginn der baden-württembergischen Sommerferien endet. Das Land spart
sich so über 12,5 Millionen Euro – die Lehrer*innen müssen sich
vorübergehend arbeitslos melden. Eine Tatsache, die Jahr um Jahr für
Missmut sorgt.
Vergangenes Jahr in den Sommerferien betraf das bundesweit knapp 5.000
Lehrkräfte, wie die Bundesagentur für Arbeit meldete. Neben befristet
Angestellten wie etwa Elternzeitvertretungen wird in manchen Bundesländern
sogar Referendar*innen vor den Sommerferien gekündigt – zum Beispiel in
Baden-Württemberg.
## Berlin hat nicht viel mehr Erfolg als Sachsen
Trotz dieser Defizite scheint sich das Interesse, nach Sachsen zu wechseln,
in Grenzen zu halten. Bei der Veranstaltung Anfang Juni in Stuttgart hätten
im Vorfeld zwar zwanzig Leute ihr Interesse bekundet, vor Ort waren dann
aber nur sechs, erzählt Bürgermeister Weise. „Ob sich jemand für einen
Wechsel nach Sachsen entscheidet, hängt natürlich auch stark von der
persönlichen Lebenssituation ab.“
Und auch die aktuellen Bewerber*innenzahlen zeigen: Die Lage in Sachsen
bleibt angespannt: 1.100 Stellen sollen bis zum 1. August im Freistaat
besetzt werden. Beworben haben sich zwar 1.899 Personen – dennoch wird es
dem Land nicht gelingen, alle offenen Stellen zu besetzen. Die Hälfte aller
Lehramtsabsolvent*innen möchte nämlich an einem Gymnasium arbeiten –
dagegen haben sich nur 71 Menschen für die 269 offenen Stellen an
Oberschulen beworben. Noch prekärer ist die Situation an den Förderschulen:
Hier treffen 25 Bewerbungen auf 117 Stellen.
Aus anderen Bundesländern gingen ebenfalls Bewerbungen ein: „Die
Verbeamtung lockt mehr Lehrer über das Lehrertauschverfahren nach Sachsen
als bisher“, heißt es aus dem sächsischen Kultusministerium. Tatsächlich
sind es dieses Jahr immerhin 32 Lehrer*innen, die nach Sachsen wechseln
wollen und nur 17, die den Freistaat verlassen möchten. Zudem würden 24
verbeamtete Lehrer*innen aus anderen Bundesländern nach Sachsen wechseln –
gesetzt den Fall ihr bisheriger Dienstherr gibt sie frei.
Eine genaue Aufschlüsselung, aus welchem Bundesland die Bewerber*innen in
Sachsen kommen, liegt noch nicht vor. Der Effekt der Infoveranstaltungen in
Baden-Württemberg sei aber in jedem Fall vernachlässigbar, so Dirk Reelfs,
Pressesprecher im Kultusministerium.
Auch in Baden-Württemberg läuft das Lehrereinstellungsverfahren noch. Aus
diesem Grund kann das Kultusministerium noch keine Auskunft darüber geben,
wie viele Lehrer*innen das Bundesland verlassen werden. „In der Regel gehen
die Lehrerinnen und Lehrer dann aber in die Schweiz oder in angrenzende
Länder wie Rheinland-Pfalz“, erklärt der Pressesprecher des
baden-württembergischen Kultusministeriums, Florian Gleibs. „Wir glauben
kaum, dass viele nach Sachsen wechseln.“
Dennoch stößt die sächsische PR-Aktion in Stuttgart auf Unmut. Schließlich
gebe es eine Abmachung zwischen den Ländern, sich gegenseitig keine
Lehrkräfte abzuwerben. Daran scheint sich aber in Zeiten des akuten
Lehrer*innenmangels niemand mehr halten zu wollen. Und die Werbeaktionen
beschränken sich längst nicht mehr auf deutschen Boden.
Vor zwei Jahren hatte zum Beispiel Berlin für Schlagzeilen gesorgt, als sie
mit Slogans wie „Trend statt Tracht“, „Kiez statt Kaff“ oder „Berliner
Schnauze statt Wiener Schmäh“ versucht haben, österreichische Lehrkräfte
anzuwerben – mit rund doppelt so hohem Einstiegsgehalt wie in ihrer Heimat.
Doch letztlich hatte Berlin nicht viel mehr Erfolg als Sachsen: Von den
damals 1.800 Bewerber*innen kamen nur 50 aus Österreich.
12 Jul 2018
## AUTOREN
Miriam Schröder
## TAGS
Lehrer
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Hessen
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Sandra Scheeres
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