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# taz.de -- „Candelaria – Ein kubanischer Sommer“: Küssen wie schüchter…
> „Candelaria“ ist der neue Spielfilm von Jhonny Hendrix Hinestrozas. In
> bittersüßer Melancholie erzählt er die Geschichte eines alten Ehepaars.
Bild: Wie frisch verliebt: Candelaria (Verónica Lynn) und ihr Ehemann Victor H…
Berlin taz | Kuba als Filmkulisse ist fast schon zum eigenen Genre
geworden. Genauer gesagt zu einem Topos, der dem des Schädels neben der
bunten Obstschale auf den Stillleben der Maler früherer Jahrhunderte
ähnelt: ein Memento mori, übertragen auf den Spätkapitalismus. Nirgendwo
anders ist der Verfall von Häusern malerischer, ist die Armut der Menschen
pittoresker, die Vorstellung einer besseren Zukunft illusorischer.
Weshalb der Kuba-im-Film-Erfahrene unter den Kinozuschauern auch zu wissen
glaubt, worauf es in Jhonny Hendrix Hinestrozas auf Kuba spielendem Film
„Candelaria“ hinauslaufen wird: bittersüße Melancholie bei karibischen
Temperaturen, mit der das Leben trotz Scheitern und Tod gefeiert wird. Aber
das hieße, diesen Film deutlich zu unterschätzen.
Der Produzent Hendrix Hinestroza stammt aus Kolumbien, „Candelaria“ ist
erst seine dritte Regiearbeit. Gedreht hat er auf Kuba mit einem in der
Hauptsache aus vier Menschen bestehenden Ensemble. Im Mittelpunkt stehen
zwei alte kubanische Schauspielveteranen: die 87-jährige Verónica Lynn und
der 81-jährige Alden Knight. Sie spielen das Ehepaar Candelaria und Victor
Hugo, das kinderlos gealtert in der Versorgungskrise der „Sonderperiode“ in
den 90er Jahren überleben muss. Außer den beiden Alten treten in weiteren
nennenswerten Sprechrollen nur noch der Österreicher Philipp Hochmair auf,
der einen Schwarzmarkthändler verkörpert, und der Kolumbianer Manuel
Viveros, der den im Kuba-Film obligatorischen Ausreisewilligen gibt.
Anfang der 90er Jahre sah sich Kuba quasi in die Zange genommen: Einerseits
stellte die Sowjetunion mit ihrem eigenen Zusammenbruch die Unterstützung
für das sozialistische Experiment in der Karibik ein, andererseits sah die
USA die Stunde für den Regimewechsel gekommen und verschärfte unter dem
Deckmantel der Demokratieförderung noch einmal die Handelsblockaden.
## Sie verlieben sich neu – durch eine Videokamera
Diese finstere Zeit nimmt Hendrix Hinestroza als konkreten Hintergrund
seiner Geschichte. So sitzen Candelaria und Victor Hugo am gedeckten Tisch
ihrer kahlen Wohnung vor kargen Mahlzeiten und warten stumm auf den Moment,
an dem der Strom abgestellt wird. Eben noch tönt Fidel Castro himself aus
dem Radio und lobt, dass es auf Kuba zwar Armut, aber keine Obdachlosen
gebe, dass noch kein Kind ohne Schuhe dastehe und dass es nirgendwo auf der
Welt so viele Ärzte pro Bewohner gebe. Dann kommt die abendliche
Stromsperre, und Candelaria und Victor gehen bei Kerzenlicht zu Bett.
Mit beiläufigen, zusammenhanglosen Szenen stellt Hendrix Hinestroza seine
Helden vor: Candelaria sieht man in ihrem öden Job in der
Wäschereiabteilung eines Großhotels, eine alte Frau in Arbeitsuniform fast
am Ende ihrer Kräfte. Aber dann wieder tritt sie fein geschminkt und in
eleganter Garderobe als Sängerin in einer nächtlichen Bar auf. Victor Hugo
liest in einer Zigarrenfabrik den „Rollern“ aus der Zeitung vor (ein
Kuba-Klischee aus besseren Zeiten der Fidel-Begeisterung) – und schmuggelt
ab und an ein paar Exemplare durch die strengen Taschenuntersuchungen am
Ausgang der Fabrik: Ohne das Geld aus dem Schwarzverkauf der Zigarren kämen
sie nicht über die Runden.
Candelaria zieht fünf Küken auf, auch das am Rande der Legalität. Dann
fällt ihr die Videokamera eines Hotelgasts in die Hände, sie nimmt sie mit
nach Hause, wo Victor Hugo mit ihr herumzuspielen beginnt. Er betrachtet
seine Frau beim Zubettgehen durch die Linse der Kamera, zoomt nah heran an
ihre brüchig-weiße Haut und hat daran eine ihn selbst überraschende Freude.
## Hauptfiguren wie die Insel selbst
Die Szenen dieses erotischen Neuaufbruchs, den die beiden Alten durch das
Medium der Videokamera erleben, sind wunderbar dezent. Der Plot, der sich
aus diesem „Alten-Porno“ entspinnt, aber ist völlig nebensächlich.
Stattdessen bekräftigt der Film mit anderen Sequenzen das wiedererwachende
Sinnesleben von Candelaria und Victor: Da sitzen sie scheinbar in aller
Gemütlichkeit auf einer Bank und beobachten das wenig hektische Stadtleben
um sie herum. Irgendwann küssen sie sich wie schüchterne Teenager. Erst als
sie schweren Herzens aufstehen, versteht der Zuschauer, dass sie darauf
gewartet haben, sich in einer Schlange gegenüber für irgendeine Mangelware
einzureihen.
„Candelaria“ ist reich an solchen Szenen, die in realistischer und
poetischer Verdichtung das Leben in der Krise auf den Punkt bringen.
Einerseits schwelgt Hendrix Hinestroza in den vertrauten Bildern
morbid-schöner Verfallenheit, in denen Kuba als vom Kapitalismus unberührte
Unschuld erscheint. Aber zugleich setzt er sie wunderbar bewusst ein, um
vom tatsächlichen Alter und dem Verlust der Illusionen zu erzählen.
Seine 80-jährigen Protagonisten sind selbst ein wenig wie die „Insel“, auf
die sie gelegentlich schimpfen. Mit ihren morschen Knochen, ihrer reichen
Lebenserfahrung, ihrer Fröhlichkeit und ihrem Zynismus sind sie, wie jemand
über Victor nach einem Fahrradunfall sagt: „komplett im Eimer, aber nicht
unterzukriegen“.
5 Jul 2018
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
## TAGS
Kuba
Spielfilm
Liebe
Spielfilm
Kuba
Schwerpunkt Fidel Castro
Kinostart
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