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# taz.de -- Die AKP und LGBTI: Trans Konservativ
> Eine Mehrheit der türkischen Transgender-Community neigt der
> Regierungspartei AKP zu. Unsere Autorin macht sich auf die Suche nach
> einer Erklärung
Bild: Die Unternehmerin Beray Avcı will am Sonntag für die AKP stimmen
Vor den Wahlen am Sonntag in der Türkei geht es in der türkischen
Transgender-Community viel ums Politische. Welche Kandidat*innen sind
überzeugend, wer wird die Präsidentschaftswahl gewinnen, wer vertritt am
besten Minderheiten? Ich lebe zwar seit fast einem Jahr in Deutschland,
aber ich habe meine Verbindungen in der türkischen Community nicht gekappt.
Mit meinen Freund*innen telefoniere ich mehrmals die Woche und tausche
mich mit ihnen über die politischen Entwicklungen in der Türkei aus.
Die Mehrheit der Transgender-Community unterstützt konservative Parteien.
Das ist eine persönliche Einschätzung nach jahrelangen aktivistischen
Erfahrungen. Eine offizielle statistische Erhebung zu dieser Beobachtung
gibt es nicht, aber das Phänomen ist in der Community bekannt. Als
„Verliebtsein in den eigenen Henker“ hat die erste trans Aktivistin der
Türkei, Demet Demir, die Neigung vor allem vieler trans Frauen für die AKP
einmal bezeichnet.
In der Nacht des Putschversuchs am 15. Juli 2016 eilte meine trans
Mitbewohnerin mit der türkischen Fahne in den Händen zur Autobahn und
mischte sich unter die Menschenmenge, die dort gegen die Putschisten auf
die Straße gegangen war. Auf Erdoğans Geheiß hin hat sie sich gegen die
„Vaterlandsverräter“ gestellt, während ich zu Hause die Lichter ausgemacht
und mich in meiner Wohnung versteckt habe. Die Frage, ob man die
Regierungspartei AKP unterstützt oder die Opposition ist für viele
Mitglieder der Transgender-Community auch eine Wahl zwischen Assimilation
und Außerseiterstatus.
Dazu kommt: Auch bei trans Frauen spielt die Religion eine große Rolle bei
der Wahlentscheidung. Die landesweit bekannte Sängerin und trans Diva
Bülent Ersoy, seit Jahrzehnten ein Vorbild für viele trans Frauen, pflegt
einen konservativen Lebensstil – und steht der Familie Erdoğans nahe.
## Pride im Ramadan spaltete die Community
Regelmäßig tauchen in meiner Timeline Bilder von Erdoğan auf. Wenn
AKP-Trolle in den sozialen Medien einen orchestrierten Shitstorm gegen
LGBTI starten, machen manche Transgender mit. Eine Bekannte von mir wollte
sich sogar für die AKP aufstellen lassen, ihre Kandidatur wurde aber von
der Parteizentrale in Istanbul abgelehnt. Über ihre Beweggründe will sie
sich nicht äußern. Eine weitere trans Frau, die AKP-Wählerin ist, lehnt ein
Interview mit der taz ab.
Ich spreche mit der konservativen trans Journalistin Deniz Deniz. Sie
findet die Vorstellung absurd, dass LGBTI-Menschen automatisch gegen die
AKP sein müssten. Deniz kritisiert LGBTI-Vereine, die von Mitgliedern der
Community erwarteten, dass sie sich gegen die Regierung und für die
Opposition aussprechen. „Wer nicht in diesen Rahmen passt, kommt nicht in
den Verein“, sagt Deniz. Die LGBTI der linken Szene in der Türkei würden
alles tun, um vor dem Westen gut auszusehen. „Das ist nicht aufrichtig“,
findet sie. Dass es in der Türkei ein Problem mit LGBTI-Rechten gibt,
dessen seien sich auch viele türkische Konservative bewusst, ist sie
überzeugt.
Die Beziehung zwischen den LGBTI-Vereinen und den konservativen LGBTI hat
in Deniz’ Augen mit Gezi-Protesten angefangen zu bröckeln. Zum Tiefpunkt
der Beziehung kam es, als eine LGBTI-Demo im Ramadan gehalten wurde. „Mit
der Unterstützung der Schwulenlobby sind sie während des Ramadans mit
religionsfeindlichen Parolen nackt auf den Straßen gelaufen“, sagt Deniz.
Wen sie wählen wird, will Deniz nicht sagen, nur dass es keiner der linken
Präsidentschaftskandidaten sein wird. Deniz ist sich sicher, dass am
Sonntag Recep Tayyip Erdoğan gewinnen wird.
## Eine Geschichte der Assimilation
Ich spreche mit Beray Avcı, 50 Jahre alt, aus Istanbul und trans Frau. Sie
hat Betriebswirtschaftslehre an der Istanbul Universität studiert und in
Italien eine Gastronomieausbildung gemacht. Heute arbeitet Avcı in einer
Firma als Beraterin für Projektinvestitionen und ist mit einem
konservativen kurdischen Unternehmer zusammen. Am Sonntag wird sie für die
AKP stimmen. In den vergangenen zwölf Jahren habe sie wegen ihrer
Geschlechtsidentität nie Probleme gehabt, sagt Avcı – weder mit der Polizei
noch in ihrem sozialen Umfeld. „Weil ich nichts mit Prostitution zu tun
hatte. Und weil ich nie etwas getan habe, was gegen die gesellschaftlichen
Regeln verstößt“, sagt sie. Ihre Geschichte ist die einer Assimilation.
Dennoch seien ihr im Berufsleben als trans Frau Steine in den Weg gelegt
worden, räumt Avcı ein. Im Privatsektor werden Transgender nach wie vor
diskriminiert und können ihre Rechte nicht einfordern.
Ein Kernproblem ist, dass die Ausgrenzung von Transgender in der Türkei in
linken und säkularen Kreisen nach wie vor stark verankert ist. Gerade die
Milieus, von denen sich Transgender Unterstützung erwarten, weisen sie
zurück.
Das macht sich im Wahlkampf bemerkbar. Der Frauenanteil auf den Wahllisten
liegt gerade mal bei 21,5 Prozent, von LGBTI-Kandidat*innen fehlt jede
Spur. Nur die HDP stellt in Edirne einen homosexuellen Kandidaten zur Wahl
auf. Eine Reihe trans Frauen hingegen, die seit Jahren für die
prokurdischen Parteien Hadep, BDP und HDP antreten, tauchen in diesem Jahr
nicht auf den Wahllisten auf. Auch nach dieser Wahl werden sich
LGBTI-Menschen nicht im Parlament vertreten fühlen. Die linke und liberale
Opposition in der Türkei ignoriert auch dieses Mal ihre Rechte.
Ich spreche mit der 53-jährigen trans Politikerin Niler Albayrak. Lange
Zeit arbeitete sie als Prostituierte, seit den 1990ern tritt sie für
LGBTI-Rechte ein und hat politisch Karriere gemacht: Sie ist
Bezirksleiterin der sozialdemokratischen CHP in Avcılar, einem Bezirk in
der Provinz Istanbul. Bei den Wahlen im Juni 2015 kandidierte sie für ihren
Wahlkreis und bekam einen hohen Stimmanteil. Aber die CHP-Parteizentrale
unterstützte ihre Kandidatur nicht.
## Transgender fühlen sich von Linken nicht vertreten
Viele haben erwartet, dass sie auch am kommenden Sonntag zur Wahl antritt.
Albayrak aber verzichtete. Sie habe nicht genug Unterstützung von ihrer
Partei bekommen. „Die Türkei wird immer konservativer. Frauen und
Transgender werden nur als potenzielle Wählerstimmen gesehen“, sagt sie. Da
sich Transgender in linken und liberalen Parteien nicht vertreten fühlen
und das linke politische Spektrum das Thema LGBTI unbesetzt lässt, kommt es
für viele auch nicht infrage, diese Parteien zu wählen.
Ist das Erklärung genug, warum ein Großteil der trans Frauen rechten
Parteien zuneigt? Schließlich haben sich in 16 Jahren AKP-Regierung die
Rechte von Frauen und LGBTI nicht gerade verbessert. Im Gegenteil: Unter
ihrer reaktionären Politik ist die Gesellschaft konservativer und sind
LGBTI-Rechte eingeschränkt worden. Warum also unterstützen trans Frauen
eine Partei, die sich gegen sie stellt?
Kıvılcım Arat, Gründungs- und Vorstandsmitglied des Istanbuler
LGBTI-Vereins, die sich auf die Rechte von Transgender spezialisiert hat,
erklärt die Regierungsnähe von Transgender mit einer Überlebensstrategie:
„In den Ländern des Nahen Ostens ist die Norm alles. In der Türkei ist es
zum Beispiel die Norm, muslimisch, sunnitisch und männlich zu sein. Der
einzige Weg, um Teil des politischen Überbaus sein zu können, ist,
innerhalb der Norm zu bleiben“, sagt sie. Diejenigen, die außerhalb dieser
Norm blieben, passten sich so gut es geht an und würden dafür akzeptiert.
Es sei eine Strategie des Selbstschutzes. „Je mehr du dem Dominanten
gleichst, je mehr du zeigst, dass du zu ihnen gehörst, je mehr du davon
überzeugen kannst, dass du eigentlich nicht anders bist, sondern ‚genau wie
sie‘, desto besser kannst du dich schützen“, erklärt Arat.
Seit dem Militärputsch von 1980 sind wir mit den Worten „Wartet, gerade ist
die Lage chaotisch, die Transgender-Angelegenheit besprechen wir später“
vertröstet worden. Mittlerweile sind wir im Jahr 2018 angekommen, und die
politische Lage ist immer noch chaotisch und das Transgender-Thema hängt
wie gehabt in der Luft.
Aus dem Türkischen von Cem Bozdoğan
Die Autorin ist aus Istanbul und taz gazete-Autorin. Im September startet
ihre Kolumne „Lost in Trans*lation“ bei tazzwei.
21 Jun 2018
## AUTOREN
Michelle Demishevich
## TAGS
taz.gazete
Politik
Trans-Community
Lost in Trans*lation
Recep Tayyip Erdoğan
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Türkei
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