# taz.de -- Kolumne „Jung und dumm“: Fußball ohne Ende | |
> Stellen Sie sich vor, es wäre WM in Russland und keiner guckt zu. Das | |
> wäre konsequent. Das Problem ist nur: Niemand ist konsequent. | |
Bild: Ihr schafft es ja nicht mal, den Fernseher abzuschalten | |
Zeitschleifen, Murmeltiertag: Nichts ändert sich. Oliver Welke stinkt | |
weiter nach gekochtem Ei, die Fahnenshops feiern Hochkonjunktur und 80 | |
Millionen Fernsehapparate grölen oder murren an den Empfangsgeräten. Es ist | |
alles genauso wie immer. | |
Das Ende der Welt ist, einer oft zitierten Bemerkung Slavoj Žižeks zufolge, | |
für uns eher vorstellbar als das Ende das Kapitalismus. Aber warum nach den | |
Sternen greifen? Nicht mal für eine poplige Fußball-WM sind Journalisten, | |
Politiker oder gar Sie da draußen bereit, die Geilheit nach Ereignisrausch, | |
nach Kollektiv, nach ewig-gleich-ödem Grillen und Kicken mal beiseite | |
zulegen – und die Glotze abzudrehen. | |
Stattdessen wird kritisiert, kritisiert, oh ja, wie wieder kritisiert wird. | |
Aus allen Rohren schallt es je nach Bildungsherkunft: Schlimm! Skandalös! | |
Umstritten! | |
Und mein Lieblingswort: kritikwürdig! Wie kritikwürdig das alles wieder | |
ist: die Fifa, der Putin, die Taktik, der Kommerz, die Russen, der | |
Rückpass, der Jogi, der Özil, die Abwehr, die Armut, der Terror, der Sturm, | |
die Gewalt, die Ausschreitungen, der fehlende Nationalstolz, der | |
Nationalstolz (aber Island gegen Paraguay war schon super gewesen, so), die | |
Debatte um Nationalstolz, die Stadien, die Schiris, der Ballbesitz, die | |
fettigen Grillwürstchen – kritikwürdig, alle miteinander! Würdig, von uns | |
kritisiert zu werden. Wir sind die Kritiker. Lasst uns kritisieren! Kritik! | |
Kritik! Kritik! | |
## Vorgegebene Realität | |
Ihr seid zum Kotzen. Mit unfehlbarer Schärfe durchschaut Ihr die Welt und | |
blast Push-Mitteilungen in sie hinein, bis sie platzt. Und seid doch nicht | |
imstande, noch auf das klitzekleinste Stückchen der vorgegebenen Realität | |
zu verzichten. | |
Ihr wisst halt, was abgeht. Ihr seid unbequem. Ihr seid der Stachel im | |
Fleisch der Mächtigen. | |
Ihr wisst einfach alles. Ihr wisst so gut: Da läuft eine Fußball-WM, damit | |
ein Diktator vor der Welt und seinen Bürgern einen Triumph feiern kann; da | |
läuft eine Fußball-WM in einem Land, das einen undeklarierten Krieg in der | |
Ukraine geführt hat und den Völkermörder Assad mit Waffen beliefert; da | |
läuft eine Fußball-WM in einem Land, in dem Homosexuelle und Angehörige der | |
Opposition verprügelt, gefoltert und umgebracht werden. Kurz gesagt: in dem | |
Ihr Euren kritischen Geist schneller das Klo runterspülen würdet, als Ihr | |
„Sibirien“ sagen könnt. | |
Aber Ihr schafft es ja nicht mal, den Fernseher abzuschalten. | |
Aber Ihr schafft es ja nicht mal, diesen ganzen Scheiß zu ignorieren, | |
zumindest dieses eine Mal. | |
Aber Ihr kriegt ja, Männer, nicht mal Euren Schwanz in den Griff. | |
## Gegebenes nicht hinterfragen | |
Denn darum geht es doch in Wahrheit. Dieser ganze brabblige Popanz dient | |
nur dazu, [1][schreibt Paula Irmschler im Neuen Deutschland], „nicht zu | |
sagen, dass man Gegebenes einfach nicht hinterfragen will. Es stimmt ja: | |
Fußball ist ein schöner Sport. Solange Männer sich jedoch nicht besoffen in | |
den Armen liegen, wenn Frauen Sport machen, nehme ich ihnen einfach nicht | |
ab, dass es ihnen um diesen ginge.“ | |
Und solange Ihr weiterjubelt, weiterwitzelt, weiterraunt und -glotzt und | |
-quakt, solange Ihr Euch dieser Maschine hingebt mit all Euren Sinnen, ist | |
Eure Kritik so wenig wert wie Eure Würde. | |
Damit dieser Artikel nicht bloß ein dekoratives Feigenblatt bleibt, folgt | |
an dieser Stelle noch eine Morddrohung. Wenn ich nach der WM irgendwen von | |
Euch hirnlosen Fußballnazis (am schlimmsten: „Fußballphilosophen“, die | |
selbst in ach so aufgeklärten Blasen ihr mit intellektueller Rührmasse | |
angedicktes Wichtigtuer-Lackaffentum ihren Mitmenschen aufnötigen); wenn | |
ich nach diesem ganzen großen Horror noch einmal einen von Euch über Putins | |
Inszierungsstrategien, über die Einschüchterung der Opposition und die Lage | |
der Menschenrechte faseln höre, werde ich bei demjenigen klingeln und ihm | |
eigenhändig eine Heißklebepistole über dem brunzdummen Mund ausdrücken. | |
Alternativ werde ich eine Anleitung ins Netz stellen, wie man sich selbst | |
mit einer Bohrmaschine ein Loch in den Kopf bohren kann. | |
Ich meine das so. | |
22 Jun 2018 | |
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## AUTOREN | |
Adrian Schulz | |
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