# taz.de -- Widerstand gegen Räumungsklage: Einfach wohnen | |
> Familie Hacikerimoglu ist die letzte Bewohnerin einer Bremer | |
> Schlichtbau-Siedlung. Sie kämpft vor Gericht, um zu bleiben, während | |
> drumrum alles schon abgerissen ist. | |
Bild: Adem Hacikerimoglu mit einem seiner sieben Kinder | |
BREMEN taz | Im Garten von Familie Hacikerimoglu haben sie schon mal | |
Pflöcke eingeschlagen, die Bauarbeiter der Vonovia. In grellem Pink staksen | |
sie aus der Erde, gleich neben der Schaukel. Es ist ein Statement, das | |
Druck erzeugen soll: Hier soll schon bald ein Neubau stehen, hier ist kein | |
Platz mehr für Adem Hacikerimoglu und seine sieben Kinder. Dass eines von | |
ihnen über die ungesicherten Pfähle stolpern, sich schwer verletzten könnte | |
– der Wohnungsbaukonzern hat das offensichtlich in Kauf genommen. „Da“, | |
sagt Adem Hacikerimoglu, „hört jede Menschlichkeit auf.“ | |
Auf die Hauswand hat jemand „Wohnen ist ein Menschenrecht“ gesprüht, in | |
schwarzen Lettern, mit Verweis auf Artikel 14 des Grundgesetzes. Die | |
Wohnung dahinter steht schon leer, doch das rote Sofa ist noch da, ein | |
Backgammon-Spiel liegt darauf, als seien Adem Hacikerimoglus Eltern, die | |
hier vor Kurzem noch wohnten, nur eben mal weg gegangen. Als kämen sie bald | |
wieder. | |
Inzwischen ist die Familie über Bremen verstreut. Die Vonovia hat sie | |
„umgesiedelt“, wie der Wohnungs-Konzern das nennt. | |
124 Wohnungen gab es hier einmal, in der Holsteiner Straße in Bremen-Walle, | |
alles sogenannte Schlichtbauten. Sie haben nur eine Ofenheizung und kein | |
warmes Wasser, und die Dusche haben Hacikerimoglus selbst eingebaut. Für | |
knapp 100 Quadratmeter zahlen sie heute 420 Euro. | |
Die älteste Tochter ist mittlerweile 16, das jüngst Kind gerade ein paar | |
Monate alt. Zusammen sind sie die letzten Mieter des letzten Schlichtbaus, | |
der hier noch steht. 2017 gab es hier noch acht bewohnte Wohnungen. Doch | |
bis auf diese eine sind alle Häuser schon abgerissen. | |
Schaut man aus der Küche, schweift der Blick über ein großes Baufeld. Vorn, | |
an der „Dithmarscher Freiheit“ stehen die Bagger, die Fundamente sind schon | |
gegossen, und hinten, vor dem Haus der Hacikerimoglus, haben sie meterhoch | |
den Schutt aufgetürmt. | |
Fünf Wohnblöcke sollen hier entstehen, handelsübliche Klötze mit Flachdach, | |
angeklebten Balkonen und Aufzug innen drin. Insgesamt 60 Wohnungen, maximal | |
vier Zimmer groß, für rund acht Euro pro Quadratmeter. Voraussichtlicher | |
Mietbeginn: 1. Dezember 2018. So steht es auf der Bautafel, die für den | |
„Waller Heimathafen“ wirbt. „Hier finden Sie Ihr neues Zuhause“, schrei… | |
die Vonovia da. Eine Wohnung, wie sie die Hacikerimoglus bewohnen, wäre | |
dann doppelt so teuer wie jetzt. | |
Im Februar hat der Konzern ihnen schließlich eine Räumungsklage geschickt. | |
„Wir haben uns mehrere Monate bemüht, eine Einigung mit dem Mieter zu | |
erzielen“, schreibt Max Niklas Gille, der Sprecher der Vonovia. Weil es | |
dazu aber nicht kam, macht der Konzern jetzt Druck. Die Familie hält | |
dagegen. Sie hat Widerspruch eingelegt. Sie will als Härtefall anerkannt | |
werden. Sie will bleiben. Sie will kämpfen. | |
## Der Kampf begann vor zwei Jahren | |
Zwei Jahre ist es her, da hat dieser Kampf begonnen. Damals, sagt Adem | |
Hacikerimoglu, haben sie sich „ein Versprechen“ gegeben, die BewohnerInnen | |
der Holsteiner Straße. Sie wollten bleiben, alle zusammen, bis zum Schluss. | |
Inzwischen sind alle anderen weg. Zum Beispiel, weil die Vonovia ihnen | |
Angebote gemacht hat, denen sie nicht widerstehen konnten. Wie die genau | |
aussahen, darüber wird nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen. | |
Manche der BewohnerInnen sind aber auch einfach irgendwann gestorben, so | |
wie Frau Osterloh, vor deren letzter Wohnung nun der Wein rankt. Sie war | |
die Nachbarin der Hacikerimoglus. In der Küche kleben noch die Sonnenblumen | |
auf den gelben Fliesen, doch es riecht muffig hier, und feucht, weil keiner | |
mehr einziehen durfte, seit Jahren schon. Eine Modernisierung – auch | |
einzelner Wohnungen – ist „wirtschaftlich nicht darstellbar“, sagt die | |
Vonovia, eine Sicht, die die rot-grüne Bremer Landesregierung übernommen | |
hat. | |
Adem Hacikerimoglu ist in dieser Siedlung geboren, vor 38 Jahren, sein | |
Vater war ein typischer Gastarbeiter und 45 Jahre bei der Deutschen Bahn. | |
Der Sohn musste erst mal „was Richtiges“ lernen, also wurde er Schlosser | |
bei den Stahlwerken. Nebenher rappte er, und stand 2006 „kurz vor einem | |
Plattenvertrag“, wie er sagt. Doch dann bekam er Krebs, krempelte sein | |
Leben um. Heute ist er Sozialarbeiter bei der Diakonie – „Ich hab ein | |
Helfersyndrom“ – und arbeitet nur noch 20 Stunden in der Woche, „ganz | |
bewusst“, wie er sagt: „Ich will nicht viel verdienen.“ | |
## Ein Leben für die Kinder | |
Luxus bedeutet ihm nicht viel. Jedenfalls macht er ihn nicht glücklich. Ein | |
Leben mit Warmwasser und Zentralheizung hat er – anders als seine Frau – | |
nie geführt, und als der Fernseher kaputt ging, hat er auch keinen neuen | |
mehr angeschafft. | |
Fragt man ihn nach dem Sinn des Lebens, sagt er: „Wir leben für die | |
Kinder.“ Mehr als sieben sollen es jetzt aber nicht mehr werden. Auch ihm | |
hat die Vonovia Angebote gemacht, eine Vier-Zimmer-Wohnung in Walle etwa, | |
114 Quadratmeter, mit kleinem Garten, für 1.100 Euro, alles in allem. Auch | |
bei der halbstaatlichen Gewoba hätte er unterkommen können, für 1.400 Euro | |
Miete im Monat. Zu teuer. Und auch mit der Vonovia wurde er sich nie einig. | |
Am Ende zwingt ihn jede dieser Wohnungen, sich beim Amt anzustellen, und | |
Transferleistungen zu beziehen. „Ich möchte das nicht“, sagt Adem | |
Hacikerimoglu bestimmt: „Ich möchte aus eigener Kraft meine Miete | |
bezahlen.“ Er ist einer, der auf jeden Fall für sein Geld arbeiten will. | |
„Das ist meine eigene Ethik“, sagt er. Die Vonovia wiederum kalkuliert mit | |
der Unterstützung vom Staat: „Wenn es aber diese Möglichkeit gibt – warum | |
sollte man sie dann nicht ausschöpfen? Das ist ja nichts Illegales“, sagte | |
Gille dem Weser-Kurier. | |
## Die Stadt hält sich raus | |
Am Ende saniert sich der Wohnungsbaukonzern hier also ein Stück weit auf | |
Kosten der Staatskasse, sonnt sich aber in dem Ruhm, ja doch die | |
allenthalben geforderten Wohnungen zu bauen: „Wir sehen die Schaffung neuen | |
Wohnraums als wichtigen Schritt für die Entwicklung des Viertels“, sagt | |
Gille. | |
Sozialwohnungen werden hier aber keine entstehen. Die Vonovia ist dazu | |
nicht verpflichtet, also macht sie es auch nicht: aus rechtlichen Gründen | |
greift die rot-grüne Sozialwohnungsquote nicht. Der Stadt fehlt also die | |
Handhabe. Und aus dem Streit hält sie sich eh heraus: „Es ist Aufgabe der | |
Eigentümerin, für ihre Mieterinnen und Mieter alternativen Wohnraum | |
anzubieten“, sagte der grüne Bausenator Joachim Lohse im Parlament. | |
„Wir haben viele Angebote gemacht und waren sehr lange im Austausch“, sagt | |
Gille. „Jetzt sprechen nur noch Anwälte“, sagt Hacikerimoglu. Sollte er vor | |
Gericht unterliegen, könnte seine Familie noch Räumungsschutz beantragen, | |
erklärt Anwältin Bianca Rönn, für maximal zwölf Monate. | |
## Deutschland-Fahnen über dem Zaun | |
Andererseits könne das Gericht theoretisch auch entscheiden, dass das | |
Mietverhältnis auf unbefristete Zeit fortbesteht, so Rönn – „theoretisch | |
zumindest“. Und zwar dann, wenn die Hacikerimoglus vor Gericht zwar | |
unterliegen, die Richter aber den Widerspruch gegen die Räumungsklage für | |
begründet halten, aus Härtefallgründen. | |
Zugleich betont die Anwältin, betont Adem Hacikerimoglu immer wieder, dass | |
man an einer „gütlichen Einigung“ interessiert sei und „immer bereit, | |
Gespräche zu führen“. Die Vonovia erklärt: „Es ist uns wichtig, möglich… | |
zeitnah eine Lösung für die Situation zu finden“. Geht der Rechtsstreit | |
durch mehrere Instanzen, wird daraus nichts. | |
Derweil hat Adem Hacikerimoglu den Weg hinter seinem Haus erst mal | |
verbarrikadiert, über dem Zaun hängen ein paar Deutschland-Fahnen. Nur, | |
damit nicht wieder Leute vor dem Tür stehen, und nach Altmetall suchen, | |
oder etwas anderem, was sich zu Geld machen lässt. | |
## Bobbycars in Reih und Glied | |
700 Quadratmeter hat der Garten der Hacikerimoglus, in der Mitte steht ein | |
großer Tisch, unter einem Pavillon, dahinter ein altes Sofa, neben der | |
Rutsche und der Hütte, die seine Frau mal gebaut hat, und vor dem Zaun | |
parken Bobbycars und Roller in Reih und Glied. In der Haustür der Familie | |
ist das Glas gesprungen, repariert wird das nicht mehr. | |
Nach Einschätzung der Vonovia, und das sagt auch der Senat, „ist ein | |
gesundes Wohnen in dieser Wohnanlage nicht mehr möglich“, nach Einschätzung | |
der CDU ist es „menschenunwürdig“, hier zu wohnen. Ein Erhalt der drei | |
Schlichtbau-Siedlungen war politisch ohnehin nie gewollt, mittlerweile gibt | |
es nur eh noch eine, im Stadtteil Sebaldsbrück; auch sie gehört der Vonovia | |
und soll verkauft werden, irgendwann. | |
Ob er enttäuscht sei, dass der Kampf der BewohnerInnen gegen die Vonovia | |
auseinanderfiel? Adem Hacikerimoglu nimmt einen Schluck Tee, überlegt | |
lange. Nein, sagt er dann, aber „traurig“. Weil sie ihr Versprechen nicht | |
gehalten haben. „Die Menschen lassen sich vom Geld leiten, nicht von | |
Menschen.“Er will im Sommer erst einmal seine Wohnung renovieren. | |
3 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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