# taz.de -- Streit um Museums-Sammlung in Berlin: Das Hakenkreuz bleibt | |
> Ein Künstler will Nazi-Devotionalien aus einem Bezirksmuseum entfernen, | |
> die Zusammenarbeit platzt. Bleibt die Frage: Wie umgehen mit alten | |
> Sammlungen? | |
Bild: Über seine Sammlung lässt sich diskutieren: das Bezirksmuseum Reinicken… | |
Joshua Schwebel sagt, das sei Zensur, was er in der Zusammenarbeit mit dem | |
Museum Reinickendorf erlebt hat. Er ist immer noch verletzt und | |
fassungslos. | |
Schwebel, ein jüdisch-kanadischer Künstler aus Berlin, war Teil einer | |
Gruppe von Künstler*innen, die das Museum für ein Ausstellungsprojekt | |
eingeladen hatte. Sie sollten die dortige Dauerausstellung zur Geschichte | |
Reinickendorfs mit künstlerischen Kommentaren versehen. | |
Joshua Schwebels Idee war, eins der Nazi-Objekte aus dem Museumsarchiv zu | |
entfernen. Diese Intervention wollte er mit einem Brief und einem Video | |
einbetten. Doch Schwebels Beitrag ist in der seit Mai gezeigten Ausstellung | |
mit dem Titel „Interventionen. Kunst und Geschichte im Dialog“ nicht zu | |
sehen. Sein Name taucht auch nicht mehr in der Liste der beteiligten | |
Künstler*innen auf. | |
„Mich hat das Konzept ‚Heimat‘ interessiert. Wen es repräsentiert und wen | |
nicht“, sagt Schwebel über sein Interesse an dem Ausstellungsprojekt. | |
„Außerdem wollte ich wissen, wo die Objekte herkommen, die das Museum im | |
Archiv und in der Dauerausstellung hat, und wie sie festlegen, was sie | |
zeigen.“ | |
Er sei generell interessiert an den – oft nicht auf den ersten Blick | |
sichtbaren – Entscheidungen, die Ausstellungen beeinflussen oder festlegen, | |
was archiviert wird. Dies sei der Hintergrund für seine Arbeit. Schwebel | |
fragte im Museum also nach Nazi-Objekten im Archiv. | |
Diese Anfrage habe sie etwas ratlos gemacht, erklärt Cornelia Gerner, | |
Leiterin des Museums Reinickendorf. Sie hätten dann aber eine Auswahl | |
getroffen und ihm ein paar Objekte präsentiert, unter anderem ein | |
Mutterschaftskreuz, ein Gesangbuch und eine Urkunde mit Hakenkreuz, alle | |
aus der Nazizeit aus Reinickendorf. | |
„Die Objekte sind in den fünfziger oder sechziger Jahren in unsere Sammlung | |
gekommen, viele durch Schenkungen von Menschen aus Reinickendorf“, erklärt | |
Gerner. Damals hätte das Museum noch keine Informationen zu den Objekten | |
aufgenommen; sie seien gesammelt worden, ohne die Geschichte hinter den | |
Objekten zu kennen. Erst seit etwa zwanzig Jahren würde das Museum die | |
Geschichte der Objekte erfassen. | |
„Herr Schwebel war sehr erstaunt, dass wir den Hintergrund der Objekte | |
nicht vermerkt haben“, sagt Gerner. „Er wollte dann die Archivarin dabei | |
filmen, wie sie die Objekte hochhält und sagt, dass sie nichts über diese | |
Objekte wisse.“ Da dies vorher nicht abgesprochen war, habe die Archivarin | |
sich geweigert. | |
„Es war stressig für unsere Mitarbeiterin, er hat brüsk und verärgert | |
darauf reagiert, die Archivarin hat sich bedrängt gefühlt und war nach dem | |
Treffen sehr bedrückt“, sagt Gerner, die selbst allerdings bei diesem | |
Termin nicht anwesend war. Daher habe sie sich bereit erklärt, das | |
Interview mit Schwebel zu führen. | |
In dem so entstandenen Video sind Gerners Hände zu sehen, die eine Urkunde | |
oder ein Mutterkreuz halten, dazu erklärt sie, welche Objekte es sind und | |
warum das Museum diese Objekte aufhebt. | |
Natürlich sei es unbefriedigend für das Museum, dass die Dinge ohne | |
genauere Angaben und damit ohne historischen Kontext in der Sammlung seien, | |
meint Gerner. „Aber meine Haltung ist: Sie sind Teil unserer Geschichte, | |
auch ohne Informationen zu ihrer Herkunft oder Kontext. Wir können sie | |
nicht entsorgen. Damit würden wir die Geschichte wegwischen.“ | |
Joshua Schwebel sagt, dass ihn das Interview im Nachhinein sehr | |
nachdenklich gestimmt habe. Zeugnisse der Nazizeit überlebten geschützt im | |
Archiv des Museums, gerechtfertigt durch einen ihnen zugeschriebenen | |
historischen Wert. Jüdisches Leben in Reinickendorf werde dagegen – wenn | |
überhaupt – in der Dauerausstellung nur über tote Menschen vermittelt. | |
Er schreibt dem Museum einen Brief, in dem er eine „Geste des Umdenkens“ | |
vorschlägt, eine „Entwendung als Reparationszahlung“: In Zusammenarbeit mit | |
dem Museum möchte er ein Objekt aus der Nazizeit dauerhaft aus dem | |
Museumsarchiv entfernen, um so eine Leerstelle zu schaffen, die auf die in | |
seinen Augen problematischen Sammlungsaktivitäten von Museen hinweisen | |
soll. | |
## Keine Antwort erhalten | |
Der Brief solle zusammen mit dem Video und gegebenenfalls den Spuren des | |
von ihm entfernten Objekts – ein Pergamentumschlag, ein leerer Platz, eine | |
Beschreibung – seine Intervention, sein Beitrag zur Ausstellung sein. Auf | |
diesen Brief habe er allerdings bis heute keine Antwort bekommen, sagt | |
Schwebel. | |
Museumsleiterin Cornelia Gerner wehrt sich gegen Schwebels Vorwurf, dass | |
jüdisches Leben in der Ausstellung und von dem Museum nicht repräsentiert | |
werde. „Wir haben einen Bereich in der ständigen Ausstellung, und wir | |
erzählen ausführlich die Geschichte von Annemarie Wolff, einer jüdischen | |
Heilerzieherin, die bis 1933 im Bezirk ein Kinderheim geleitet hat“, sagt | |
sie. Außerdem hätten sie ausführliche Biografien zu den Stolpersteinen im | |
Bezirk erarbeitet, sich mit Zwangsarbeit und Euthanasie beschäftigt. | |
„Es gibt nicht viele Objekte, das ist richtig. Aber wir haben viele Aspekte | |
jüdischen Lebens in Reinickendorf erforscht und dazu auch publiziert.“ Sie | |
habe Schwebel gebeten, den Anfang und das Ende des Videos, und damit die | |
Teile, die nicht zum eigentlichen Interview gehörten, herauszuschneiden; | |
zwei kurze Passagen, in denen sie „nur Wischiwaschi“ geredet habe. | |
Da das Museum nicht auf seinen Brief geantwortet habe und gefordert habe, | |
dass Schwebel das Interview bearbeite, sei es nicht mehr die Arbeit | |
gewesen, die er geplant habe, und er habe sich aus dem Projekt | |
zurückgezogen. „Sie haben nicht das Recht, mir vorzuschreiben, was ich | |
ausstelle“, sagt er. „Ich verstehe vor allem nicht, warum sie komplett | |
aufgehört haben, mit mir zu kommunizieren.“ | |
Das Verhalten des Museums sei unakzeptabel, und es habe ihn verletzt. Seine | |
Arbeit hätte ein Gedankenanstoß sein können, findet er. „In der ganzen | |
Stadt wird über die Herkunft von Objekten in den Museen diskutiert. Ich | |
finde es wichtig, auch über die Herkunft von Nazi-Objekten nachzudenken und | |
über die Frage, ob und wie wir sie aufbewahren müssen.“ | |
Diese Diskussion hätte er gern geführt – oder würde es tun, wenn er die | |
Gelegenheit hätte. „Ich bin nach wie vor bereit, das zum Beispiel bei einer | |
Podiumsdiskussion mit der Museumsleitung zu tun“, sagt Joshua Schwebel. | |
3 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Holocaust | |
Muslime in Deutschland | |
Antisemitismus | |
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