| # taz.de -- Die Wahrheit: Schwarzfahrer unter sich | |
| > True story: Wenn Männer zwischen allen Abteilen stehen, kann es schnell | |
| > um politisch inkorrekte Dinge gehen. Oder um Fahrkarten. | |
| Bild: Ohne wird teuer! | |
| Ein hartnäckiger Pickel am haarigen Arsch der sozialen Medien ist das | |
| virtue signalling. Mit einem Kommentar wie „Martenstein? Voll der alte | |
| weiße Mann!“ ist es schon vollbracht, ich habe aufwandslos meine | |
| Tugendhaftigkeit ausgestellt und darf mich prächtig oder mindestens einer | |
| diffus jungbunten Gruppe zugehörig fühlen, die bestimmt Prächtiges zuwege | |
| brächte, wenn sie denn etwas täte, statt das immer nur zu behaupten. Ich | |
| hingegen behaupte nie etwas und lasse mich lieber von meinen Taten | |
| überraschen. | |
| So fahre ich also mit dem Intercity vom Mannheim nach Mainz, im Raum | |
| zwischen den Abteilen stehend. Neben mir hält sich dort nur ein junger Mann | |
| mit, wenn diese übergriffige Zuschreibung erlaubt ist, nordafrikanischer | |
| Anmutung auf. In seinen billigen Sportklamotten und mit der verkehrt herum | |
| aufgesetzten Schlagballmütze macht er auf mich, wenn diese noch | |
| übergriffigere Zuschreibung erlaubt ist, einen ebenso windigen wie | |
| verschwitzten Eindruck. | |
| Wir nicken uns kurz zu. Ich kann nicht behaupten, dass ich mir „gar nichts | |
| dabei denke“. Ich denke mir etwas, das sich vielleicht mit „Puh, na ja, | |
| tja“ übersetzen lässt, und zurre meine Umhängetasche mit Laptop und | |
| Geldbeutel enger. Vor allem, weil der junge Mann mich mit öligem Blick | |
| immer wieder beäugt. Dann fasst er sich ein Herz und spricht mich an: | |
| „Duticke?“ | |
| ## Ich ticke, Du Ticke | |
| Ich ticke? Er nickt eifrig und präzisiert: „Du auch kein Ticke?“ Ach so, | |
| weil ich auch hier stehe wie er, hält er es für möglich, dass auch ich kein | |
| Ticket habe wie er. Im Abteil vorne kontrolliert schon die Schaffnerin. Ich | |
| deute halbherzig auf die Toilettentür, da könne er sich doch verstecken. Er | |
| schüttelt den Kopf und schwitzt weiter, vermutlich Blut und Wasser. Als die | |
| blonde Schaffnerin ihn nach seinem Fahrschein fragt, beäugt er sie ölig und | |
| schüttelt bedauernd den Kopf. | |
| „Oh“, sagt die Schaffnerin, ebenfalls bedauernd, und tastet nach ihrem | |
| Handy. Da komme ich auf die Idee, ihm die Fahrt zu bezahlen. Neunzehn Euro. | |
| Das ist nur recht und billig, denke ich, und überdies günstig. Die | |
| Schaffnerin schenkt mir einen überraschend warmen Blick, als wären wir | |
| beide von der „Ambulanten Schwarzfahrer-Hilfe e. V.“, stellt lächelnd das | |
| Ticket aus und zieht weiter. | |
| Mein neuer Freund kann sein Glück kaum fassen, einen Dummen gefunden zu | |
| haben, der ihm seine Ordnungswidrigkeit finanziert und dabei hilft, dieses | |
| Land zugrunde zu richten. Wir unterhalten uns über sein Schicksal als | |
| Flüchtling ohne Geld, aber mit Freundin in Mannheim, über Deutschland | |
| („Voll Dreckloch!“) und Marokko („Voll Paradies!“). Wenn das so ist, sa… | |
| ich mit wutbürgerlichem Nachdruck, soll er sich doch wieder in sein | |
| Paradies verpissen. In Mainz scheiden wir unter Gelächter und gegenseitigem | |
| Schulterklopfen. | |
| Wahrscheinlich bin ich, wenn diese übergriffige Zuschreibung erlaubt ist, | |
| ein schlechter Gutmensch. | |
| 29 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Arno Frank | |
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