# taz.de -- Dekolonialisierung der Museen: Das Wissen der anderen | |
> Die westlichen Kulturinstitutionen stehen vor einem doppelten | |
> Rechtfertigungsproblem. Das zeigte das „Martin Roth Symposium“ in Berlin. | |
Bild: US-Staatsbürger beim Treueschwur im New York Historical Society Museum | |
Einer der wesentlichen Antriebe der populistischen Bewegungen ist der Hass | |
auf „die Eliten“. Der im vergangenen Jahr verstorbene Museumsdirektor und | |
Kulturmanager Martin Roth nahm das persönlich. Am Morgen nach dem Brexit | |
sagte er: „Bildung zählt nicht mehr. Was soll das? Ich komme aus ganz | |
einfachen Verhältnissen. Warum hat man Menschen wie mich ausgebildet, wenn | |
man jetzt gegen Experten und Eliten vorgeht?“ | |
Drei Monate nach dem Brexit verließ Roth das Victoria and Albert Museum, | |
das er fünf Jahre lang geleitet und mit Ausstellungen etwa über das Werk | |
David Bowies für ein Publikum attraktiv gemacht hatte, dem Museen sonst | |
eher fremd sind. Er suchte sich keinen neuen Job als Museumsdirektor, | |
sondern wurde Präsident des deutschen Instituts für Auslandbeziehungen | |
(ifa). | |
Das ifa lud am vergangenen Wochenende zu einem „Martin Roth Symposium“ mit | |
vielen internationalen Gästen nach Berlin. „Was kann Kultur tun?“, lautete | |
die zentrale Fragestellung, die eine naheliegende Antwort provoziert: | |
nichts. Es ist die Kunst, nicht die Kultur, die uns gerade dadurch etwas zu | |
sagen hat, dass sie uns von der Unmöglichkeit von Erfahrung erzählt. | |
Ulrich Raulff, der designierte Nachfolger Martin Roths als Präsident des | |
ifa, ließ in seiner Begrüßungsrede anklingen, dass es eben das zu bedenken | |
gilt. Kultur bestehe nicht bloß aus kanonischen Wahrheiten: „Sie entsteht | |
und erneuert sich in der Kunst. Die Kunst folgt ihren eigenen Gesetzen. Im | |
Herzen der Kunst wohnt eine Kraft der Subversion.“ | |
Die Vorträge der Panels auf der großen Bühne und der kleinen „Break Out | |
Sessions“ am Rande fanden im Kraftwerk im Zentrum Berlins statt. Sie wurden | |
aber nicht von Künstlern, Dichtern oder Philosophen, sondern vor allem von | |
internationalen Kulturfunktionären bestritten. | |
Die ließen sich im schlechtesten Fall ihre üblichen Powerpoint-Slides fürs | |
Kulturmarketing auf die Leinwand beamen. Im besseren Fall berichteten sie | |
davon, wie Museen auf die allumfassende Krise der Repräsentation reagieren, | |
von der, wie Raulff eingangs sagte, keine der traditionellen Institutionen | |
unberührt bleibt. | |
## Was heißt das, Dekolonialisierung? | |
Die Vorträge und Debatten zeugten aber immerhin vom Bewusstsein, dass die | |
westlichen Kulturinstitutionen vor einem doppelten Rechtfertigungsproblem | |
stehen – zum einen gegenüber den weniger Privilegierten in den eigenen | |
Gesellschaften, zum anderen gegenüber ihren ehemaligen kolonialen | |
Subjekten. Also war viel von der Dekolonisierung der Museen, des | |
Bewusstseins, der Gesellschaften die Rede, allerdings meist ohne konkret zu | |
sagen, was das denn bedeutet. | |
In einer der parallel stattfindenden „Break Out Sessions“ machte Mareile | |
Flitsch, die Direktorin des Völkerkundemuseums der Universität Zürich, | |
klar, dass damit keine noble Geste gemeint sein kann. Sondern dass es | |
vielmehr darum geht, große Teile des Wissens der Menschheit vor dem | |
Vergessen zu bewahren. | |
Laut Flitsch leben wir in einer Sattelzeit, in einem von der | |
Digitalisierung hervorgerufenen epochalen Umbruch, in dessen Verlauf jeden | |
Tag uralte Fertigkeiten des Menschen aussterben. „Jedes Werkzeug ist Zeuge | |
menschlicher Intelligenz“, sagt Flitsch. Die Ethnologen hätten in den | |
meisten Fällen aber keinen Schimmer davon, welches Wissen in das Design von | |
Werkzeugen geflossen ist. „Wenn die letzten Flechter ausgestorben sind, | |
werden wir uns fragen, was wir hätten sehen können.“ | |
Dass wir nichts sehen, habe mit der Unterschätzung der praktischen | |
Intelligenz der sogenannten Primitiven durch die europäische Wissenschaft | |
zu tun. Diese zu dekolonisieren heißt demnach, das Wissen der anderen erst | |
einmal zu erkennen, um es zu bewahren. Allein, weil wir von diesen | |
vielfältigen Fertigkeiten Wichtiges für die Zukunft lernen können. | |
Doch da ist das Museum, wie wir es kennen, vor: Es zeichne sich gerade | |
durch seine Komplizenschaft mit dem Status quo aus, analysierte Suay Aksoy. | |
Dieses Problem erscheint umso eklatanter, als uns das Problem der Migration | |
und die Krise der weltweiten Flüchtlingsbewegungen bleiben werden, glaubt | |
die Präsidentin des International Council of Museums. | |
## Leise Form der Selbstkritik | |
Komplizenschaft mit dem Status quo ist ein schönes Stichwort für den | |
Auftritt von Sheikha Al-Mayassa bint Hamad bin Khalifa Al-Thani, der | |
Schwester des Emirs von Katar und Vorsitzenden der katarischen Museen. Sie | |
gilt als mächtigste Person der Kunstwelt, weil sie über ein geschätztes | |
Akquisebudget von einer Milliarde Dollar per annum verfügt. Al-Mayassa | |
pries Martin Roth, der sich beim Boykott der Golfstaaten gegen das Emirat | |
loyal auf die Seite Katars gestellt habe. | |
Kultur sei zum Wohl der Öffentlichkeit da, aber Entwicklung und Veränderung | |
bräuchten Zeit, sagte Sheikha Al-Mayassa. Das kann man wohl als leise Form | |
der Selbstkritik werten. Ist es Zynismus, wenn sie weiter davon erzählt, | |
dass ausländische Arbeiter das Museum für Islamische Kunst in Doha besuchen | |
können, oder ein Hinweis darauf, dass den Herrschenden die Arbeiter, die | |
unter üblen Bedingungen an den Stadien bauen, nicht ganz egal sind? | |
Das heikle Thema, wie demokratische Gesellschaften mittels kulturellen | |
Austauschs den Dialog mit Gesellschaften führen können, die sich im | |
eisernen Griff von Autokraten und Diktatoren befinden, wurde von der | |
Konferenz ausgeblendet. Dabei hätte gerade hier die Frage „What Can Culture | |
Do?“ ihr eigenes Provokationspotenzial entwickeln können, zumal Martin | |
Roths Zusammenarbeit mit den Eliten nicht demokratisch verfasster Staaten | |
immer wieder kritisiert worden ist. | |
Dass Museen ihren Beitrag zur Inklusion sonst kaum angesprochener | |
Besuchergruppen und zur Integration von Migranten beitragen können, zeigte | |
Mariët Westermann von der Andrew W. Mellon Foundation. Sie erzählte vom | |
„Citizenship Project“ der New-York Historical Society, das sich an legale | |
Einwanderer richtet, die US-Bürger werden wollen. Und das sind im Großraum | |
New York derzeit ungefähr eine Million Menschen. | |
Viele Einwanderer scheitern am Staatsbürgerkundetest, den auch viele in den | |
USA Geborene ohne Vorbereitung nur mit Mühe bestehen würden. Die New-York | |
Historical Society bietet seit einem Jahr Kurse an, an denen bis jetzt | |
1.000 Studierende teilnahmen, von denen viele den Test erfolgreich | |
absolvierten. | |
## Die Krise des Westens | |
Die Andrew W. Mellon Foundation selbst unterstützt das „Multaka“-Projekt | |
Berliner Museen, das syrische und irakische Geflüchtete zu Museums-Guides | |
fortbildet. Den eklatanten Widerspruch, dass Programme wie „Multaka“ | |
gepriesen werden, aber die Leute, die an ihnen teilnehmen, von der | |
Gesellschaft feindselig behandelt werden, skandalisierte Sonja Zekri. Die | |
Leiterin des Feuilletons der Süddeutschen Zeitung bestritt die | |
Abschlussrunde mit Andreas Görgen, dem Strategen der Auswärtigen | |
Kulturpolitik im Auswärtigen Amt. | |
Zekri identifizierte den „Elefanten im Raum“ als Krise des Westens. Dessen | |
Kulturinstitutionen seien zwar hungrig nach außerwestlichen Ideen und | |
Objekten, aber mit den Menschen, die diese Ideen formulieren, habe man | |
Probleme. Das zeige sich daran, wie schwer es sei, Visa für | |
außereuropäische Künstler zu bekommen. | |
Erst in der vergangenen Woche gab es wieder einen Fall in Berlin, wo | |
afrikanische Künstler für ein Projekt eingeladen wurden, aber vom | |
Auswärtigen Amt keine Visa bekamen, weil die ivorischen Tänzer arm, jung, | |
nicht verheiratet und kinderlos seien, also „Zweifel an der | |
Rückkehrbereitschaft“ bestünden. Immerhin wird derzeit innerhalb des | |
EU-Parlaments darüber beraten, ob die Union nicht Kulturvisa ausstellen | |
sollte, wie Nico Daswani vom Weltwirtschaftsforum am Nachmittag berichtet | |
hatte. | |
Sonja Zekri ließ nicht locker und wies darauf hin, dass es heute auch im | |
Kulturbetrieb Leute gibt, die infrage stellen, ob Demokratie wohl die beste | |
Regierungsform sei. Kultur könne den Faschismus nicht verhindern, meint | |
dazu Andreas Görgen. Ein praktisches politisches Ziel formulierte er am | |
Ende: Nicht nur Deutsche hätten die richtige Geisteshaltung, um beim | |
Goethe-Institut oder im ifa arbeiten zu können. | |
27 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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