# taz.de -- Überwachung von Amri und Rigaer 94: Polizei im Visier | |
> Eine Ermittlungsakte belegt, dass für die Observation von Anis Amri und | |
> der Rigaer Straße die gleichen Spezialkräfte zuständig waren. | |
Bild: Polizeibeamte schauen Richtung Rigaer Straße | |
BERLIN taz | Ein gutes Dutzend junger Menschen, dem äußeren | |
Erscheinungsbild nach aus der linken Szene, sitzt auf einer Wiese unter | |
einem Baum, ringsherum stehen und liegen Fahrräder. Die Szene ist auf einer | |
ganzen Reihe von Bildern festgehalten. Weitere Fotos zeigen einzelne | |
Personen auch in Großaufnahme, etwa einen jungen Mann mit Dreitagebart. Er | |
guckt nicht direkt in die Kamera, die in einiger Entfernung positioniert | |
sein muss. | |
Später macht sich die Personengruppe auf den Weg. Vom Volkspark Hasenheide | |
radelt sie in einer unangemeldeten Spontandemonstration durch Neukölln und | |
Kreuzberg. Zwei Wochen zuvor, am 22. Juni 2016, haben PolizistInnen die | |
Autonomenkneipe Kadterschmiede in der Rigaer Straße 94 unrechtmäßig geräumt | |
und sind zu diesem Zeitpunkt immer noch im Haus, um Umbaumaßnahmen der von | |
der Hausverwaltung beauftragten Bauarbeiter abzusichern. Die Linken auf | |
ihren Fahrrädern wollen dagegen ihr Zeichen setzen. Während der Tour wird | |
aus der Gruppe heraus etwa das Büro der damaligen Hausverwaltung der Rigaer | |
94 Belima in der Nähe des Marheinekeplatzes mit Farbbeuteln beworfen. Die | |
Polizei beziffert den Sachschaden auf 10.000 Euro. | |
Die Ermittlungen gegen zunächst 14 Personen, zu denen später noch drei | |
weitere hinzukamen, wegen Landfriedensbruch in einem besonders schweren | |
Fall sind in einer sechsbändigen, mehr als 1.000-seitigen Akte | |
festgehalten, die die taz einsehen konnte. Geführt werden die Ermittlungen | |
von der „EG Linx“, einer 14-köpfigen Sonderkommission des | |
Landeskriminalamts (LKA). Sie war Ende Juni 2016 vom damaligen Innensenator | |
Frank Henkel (CDU) eingesetzt worden, eine Woche nach der Räumung, als es | |
bereits mehrere Anschläge mit Bezug zur Rigaer 94 gegeben hatte. | |
Wie aus den Akten hervorgeht, fordert die EG Linx in einem Schreiben vom | |
12. Oktober eine „zeugenschaftliche Äußerung der Kollegen LKA 62“ zu | |
Beobachtungen der „konspirativen Gruppe“, die sich im Park versammelt hatte | |
und später zur „Fahrraddemo“ aufbrach. Als Abteilung 62 des LKA firmiert | |
das Mobile Einsatzkommando (MEK), eine Polizeieinheit für „operative | |
Dienste“, vorwiegend Observationsaufgaben. Es sind dieselben Einsatzkräfte, | |
die auch für die Beobachtung islamistischer Gefährder eingesetzt werden. | |
Die späte Anfrage an das MEK, über drei Monate nach der Tat, deutet darauf | |
hin, dass die Observation des MEK nicht auf direkte Weisung der EG Linx | |
stattfand. | |
## Verdacht der politischen Weisung | |
Auf die Zeugenanfrage findet sich in den Akten auch die Antwort eines | |
MEK-Beamten, der am fraglichen Tag „in bürgerlicher Kleidung“ im Einsatz | |
war und die Gruppe bis zu ihrem Aufbruch in Kleingruppen beobachtete und | |
fotografierte. Als Grund seines Einsatzes nennt er „eine gefahrenabwehrende | |
Observation“. Es ist davon auszugehen, dass der Beamte nicht zufällig in | |
der Hasenheide war. Das Deckblatt der nach dem Einsatz angelegten Fotomappe | |
zeigt: Das Feld „Zielperson“ ist ausgefüllt – aber geschwärzt. Demnach | |
handelte es sich um eine laufende Observation einer oder mehrerer | |
Zielpersonen. Zielpersonen aus dem Umfeld der Rigaer Straße 94. | |
Wie die taz [1][vergangene Woche berichtete], gibt es Hinweise darauf, dass | |
MEK-Beamte auf Weisung aus der Innenbehörde von der Observation des | |
späteren Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri abgezogen wurden, um | |
stattdessen die Szene um die Rigaer Straße in den Blick zu nehmen. Der | |
ehemalige Vizechef des MEK hatte im Amri-Untersuchungsausschuss gesagt, | |
dass die Rigaer zu der Zeit ein großes Thema war. Polizeikreise hatten | |
danach der taz geschildert, dass es eine direkte politische Weisung gegeben | |
habe. Demnach hatte die Rigaer Straße in Wahlkampfzeiten Priorität für den | |
CDU-Innensenator. | |
Am Dienstag hatte Henkels damaliger Staatssekretär Bernd Krömer (CDU) im | |
Tagesspiegel etwaige Zusammenhänge zurückgewiesen. Die Zeitung schrieb: | |
„Während für Amri Observationskräfte eingesetzt wurden, seien in der Rigaer | |
Straße Einsatzkräfte verantwortlich gewesen“ – und zitiert Krömer wörtl… | |
„Das sind ganz unterschiedliche Aufgabenstellungen.“ | |
Die Ermittlungsakte hingegen zeichnet ein anderes Bild: Das MEK war im | |
Umfeld der Rigaer und mit konkreten Personen beschäftigt. Ob das MEK direkt | |
nach dem Ende der Observation Amris am 15. Juni oder erst nach der | |
Rigaer-Räumung im Einsatz war, geht aus dieser Akte nicht hervor. | |
Polizei-Insider hatten aber darauf verwiesen, dass ein Einsatz gegen das | |
linke Szeneobjekt nicht ohne vorherige Observation möglich sei. Benedikt | |
Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus sagt dazu: | |
„Natürlich waren Observationskräfte bei Amri und in der Rigaer tätig.“ | |
## Unbestimmte Aussagen | |
Krömer wurde im vergangenen November im Amri-Untersuchungsausschuss | |
befragt: Zur EG Linx sagte er da laut Wortprotokoll: „Sicherlich sind da | |
auch Observationskräfte eingebunden gewesen. Ich weiß nicht, in welcher | |
Größenordnung. Aber dass deswegen nun sozusagen die Ermittlung im Fall Amri | |
eingestellt worden ist, den Zusammenhang sehe ich nicht.“ Die „Einstellung | |
der Observation von Herrn Amri“ hätte „andere Ursachen“. | |
Mehrfach fragten die Abgeordneten Lux, Canan Bayram (Grüne) und Hakan Taş | |
(Linke) nach einer möglichen politischen Einflussnahme auf die Ermittlungen | |
zu jener Zeit. Krömer stritt ab, selbst Einfluss genommen zu haben. Weiter | |
sagte er: „Nun ist ja die Frage der islamistischen Gefährder sicherlich zu | |
jener Zeit nicht so im Fokus der öffentlichen Diskussion gewesen wie die | |
kriminellen Ereignisse in der Rigaer Straße.“ Dies sei auch Thema bei ihm | |
und Henkel gewesen: Diese Thematik konnte „schwer an der Hausspitze der | |
Innenverwaltung vorbeigehen“. Auf Nachfrage ergänzte Krömer, dies bedeutete | |
nicht, „dass ansonsten Dinge nicht zur Kenntnis genommen wurden“. Der Name | |
Anis Amri war ihm zu jener Zeit nicht bekannt. | |
Lux sagt dazu heute: „Krömer hat dem Untersuchungsausschuss selbst gesagt, | |
dass der Fokus auf dem Bereich Links lag und nicht auf dem Islam. Es wäre | |
schön, wenn man zu seinen Fehlern auch stehen könnte.“ | |
Gegen die verdächtigen Personen der Fahrraddemonstration richteten sich im | |
Oktober 2016 insgesamt 14 Hausdurchsuchungen. Inzwischen sind die | |
Ermittlungen gegen sieben Verdächtige eingestellt. | |
21 Jun 2018 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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