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# taz.de -- Absturz der türkischen Wirtschaft: Schulden, Inflation, schwache L…
> Die wirtschaftliche Bilanz der türkischen Regierung ist verheerend. Der
> Präsident antwortet mit Geldgeschenken und billigem Benzin.
Bild: Wahlkampfveranstaltung in Istanbul: AKP-Anhänger machen Selfies vor eine…
Istanbul taz | Anfang des Monats klingelte bei den türkischen Rentnern
zumeist mitten in der Nacht das Handy und zeigte eine Meldung ihrer Bank:
Es wurden 1.000 Lira (rund 190 Euro) einmalige Zahlung auf ihr Konto
überwiesen. Diese Sonderzahlung an alle Rentner ist eine der Maßnahmen der
Regierung, um sich jetzt, kurz vor den Wahlen am Sonntag, noch einmal
positiv in Erinnerung zu bringen.
Denn was das Geld und die Kaufkraft der türkischen Bürger angeht, hagelte
es in den letzten Wochen nur Negativmeldungen. Da ist vor allem der rasante
Wertverlust der eigenen Währung. Rund 20 Prozent hat die Lira in diesem
Jahr gegenüber dem Euro und dem Dollar verloren. Ende Mai, nachdem
Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei einer Investorenkonferenz in London
angekündigt hatte, nach den Wahlen die Politik der formal unabhängigen
Zentralbank noch stärker selbst in die Hand nehmen zu wollen, drohte die
Lira ins Bodenlose zu stürzen.
Gegen den Willen des Präsidenten erhöhte die Zentralbank den Leitzins um
3,5 Prozent auf insgesamt 16,5 Prozent. Kurz darauf legte sie nach und
erhöhte den Leitzins erneut um 1,25 Prozent auf dann 17,5 Prozent. Seitdem
hat die Lira sich gegenüber dem Euro und dem Dollar wieder etwas
stabilisiert. Musste man Ende Mai bereits 5,7 Lira für einen Euro zahlen,
sind es jetzt wieder 5,5 Lira; den Dollar, der schon fast 5 Lira kostete,
gibt es nun wieder für 4,7 Lira.
Trotzdem steigt die Inflation auf jetzt knapp 13 Prozent weiter an und
verteuert so alle Güter des täglichen Bedarfs. Die Lebensmittelpreise
steigen ständig, weil Importe immer teurer werden. Dazu hat die Regierung
das Pech, dass gerade jetzt die Rohölpreise weltweit wieder anziehen und
die Import-Export-Bilanz weiter verschlechtern.
Damit die Leute beim Tanken nicht allzu schlechte Laune bekommen, hat die
Regierung vor den Wahlen die Benzinsteuern gesenkt und so den Preis beim
Tanken stabil gehalten. Das alles führt dazu, dass der Schuldenberg immer
höher wird.
## Kreditwürdigkeit herabgesetzt
Sahen die großen Ratingagenturen wie Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch
Erdoğan noch vor ein paar Jahren als Garanten für Wachstum und Stabilität,
ist es heute genau umgekehrt. Die Schuldenpolitik hat dazu geführt, dass
alle Agenturen türkische Staatsanleihen auf Ramsch gesetzt haben. Schlimmer
noch als der allgemeine Ausblick für die Türkei ist die Herabstufung der
Kreditwürdigkeit der großen türkischen Industrieunternehmen.
Moody’s hat die elf größten Konzerne des Landes abgewertet, darunter
Vorzeigeunternehmen wie Turkish Airlines, die Koç-Holding, den
Mobiltelefonriesen Turkcell, den Raffineriekonzern Tüpraş und die Holding
des Militärs, Oyak. Viele der Industrieholdings sind hoch in Dollar
verschuldet. Ülker, der größte Lebensmittelkonzern, musste erst kürzlich
mithilfe staatlicher Banken seine Schulden umstrukturieren und galt nach
Expertenmeinung eigentlich schon als insolvent.
Erdoğan und die regierende AKP begegnen dem Abschwung mit neuen kleinen
Wohltaten vor den Wahlen wie den zusätzlichen Einmalzahlungen bei den
Renten oder einer Erhöhung des Mindestlohns und behaupten gleichzeitig, die
wirtschaftlichen Probleme seien die Folge einer Verschwörung des Auslands
gegen die Türkei. Gleichzeitig versucht er bei seinen Wählern noch einmal
damit zu punkten, dass er immer wieder die Großprojekte wie den neuen
Istanbuler Flughafen aufzählt, die unter seiner Regierung gebaut wurden.
Doch der Glanz dieser Großprojekte ist verblasst, nachdem viele Türken
feststellen mussten, wie teuer sie dafür bezahlen müssen. Alle diese
Projekte sind privat finanziert und die Gebühren für die Nutzung der neuen
Brücken und Tunnel deshalb erheblich. Immer wieder weist der wichtigste
Konkurrent für die Präsidentschaftswahl, Muharrem İnce, darauf hin, dass
die Überquerung der neuen, dritten Bosporusbrücke jetzt zehnmal so teuer
ist, wie die Mautgebühr bei der ersten Brücke in den 70er Jahren war.
In seiner Not hat Erdoğan nun versprochen, öffentliche Kaffeehäuser zu
eröffnen, in denen die Türken umsonst Kaffee trinken und Kuchen essen
können. İnce hat dafür nur Spott übrig. „Wir reden von der Eröffnung neu…
Fabriken, Erdoğan von Kaffeehäusern.“
Der wichtigste Bonus von Erdoğan bei allen Wahlen in den letzten 16 Jahren
– seine wirtschaftlichen Erfolge – drohen jetzt zu seinem größten Malus zu
werden. Erstmals seit 2002, wo die AKP mit Erdoğan ihre ersten Wahlen
gewann, hat die Opposition jetzt ein Thema, mit dem sie ihn vor sich
hertreiben kann.
Noch führt er deutlich die Liste der Präsidentschaftskandidaten an, doch
die Stimmung dreht sich. Während der Präsident vor halbleeren Stadien
spricht, strömen die Leute zu Auftritten des Mitte-links-Kandidaten
Muharrem İnce und auch zu Veranstaltungen der neuen Nationalistenführerin
Meral Akşener. Der Präsident ist müde, sagte sie vor einigen Tagen – und
meinte damit, Erdoğans Zeit sei vorbei.
20 Jun 2018
## AUTOREN
Wolf Wittenfeld
## TAGS
Türkei
Recep Tayyip Erdoğan
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Wirtschaft
Inflation
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Präsidentschaftswahl in der Türkei
Schwerpunkt Türkei
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