# taz.de -- Touristenkutschen fahren wieder: Kapitulation vor den Kutschen | |
> Für Berlins Pferdekutscher beginnt jetzt die Hauptsaison. Der Bezirk | |
> Mitte will die Durchsetzung eines Verbots der Fuhrwerke nicht | |
> weiterverfolgen. | |
Bild: Touristenattraktion: Pferdekutschen am Brandenburger Tor | |
Die Kutscherin Tony, die mit ihrem Gespann in der Mittagssonne vor dem | |
Brandenburger Tor auf Kundschaft wartet, seufzt schwer genervt: Schon | |
wieder eine Journalistin, die über Kutschen und Tierquälerei und den grünen | |
Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel reden will. | |
Letzterer hatte zu Jahresbeginn mit seinem Vorstoß für ein Kutschenverbot | |
auf dem Pariser Platz Tony und ihren KollegInnen beinahe das Sommergeschäft | |
kaputtgemacht. Das Verwaltungsgericht hob die bezirkliche Anordnung dann | |
aber rechtzeitig vor Saisonstart im April wieder auf: Ein Fuhrunternehmer | |
hatte erfolgreich geklagt, immerhin ist der Pariser Platz der | |
umsatzträchtigste Standplatz für die Kutscher in Mitte. Das Bezirksamt | |
musste die schon herangeschafften Befahren-verboten-Schilder wieder | |
abbauen. | |
Ihren Nachnamen will Tony, die für das Karlshorster Fuhrunternehmen | |
Winkelmann kutschiert, lieber nicht in der Zeitung lesen, aber Fragen | |
stellen dürfe man gerne – trotz des schönen Juniwetters ist gerade nicht | |
viel zu tun. Die Touristen machen nur bei den Pferden halt , um sich | |
gegenseitig vor der weißen Kutsche mit dem Brandenburger Tor im Hintergrund | |
zu fotografieren. Die Kutscherin verscheucht eine Touristin, die sich auf | |
das Trittbrett der Kutsche stellen will, und behält einen Mann im Auge, der | |
ziemlich kräftig den Hals des einen Pferdes tätschelt, das etwas unwillig | |
den Kopf schüttelt. | |
## „Nach Feierabend auf der Weide“ | |
„Profit auf Kosten des Tieres, wenn ich das schon höre!“, schnaubt Tony. | |
„Die Pferde sind quasi unsere Kollegen, wenn wir sie schlecht behandeln | |
würden, dann würden die ziemlich schnell nicht mehr mitmachen.“ Das | |
Argument, Pferde gehörten auf die Weide und nicht auf das harte | |
Großstadtpflaster, wischt sie mit einer Handbewegung weg, als verscheuche | |
sie eine Fliege. „Unsere Pferde stehen nach Feierabend auch auf der Weide, | |
und zwischendurch bekommen sie mehr Bewegung und Eindrücke als viele | |
gelangweilte Reitstallpferde.“ | |
Bezirksbürgermeister von Dassel hingegen hält das Fahrgeschäft in der | |
Innenstadt für mindestens fragwürdig: Auf dem Pariser Platz gebe es zum | |
Beispiel keine Schatten- und Ruheplätze für die Pferde. Inzwischen hat von | |
Dassel allerdings vor den Kutschen kapituliert. | |
Gegenüber der taz sagte er, man werde ein Verbot der Pferdefuhrwerke auf | |
dem Pariser Platz, die Touristen durchs Regierungsviertel oder auf der | |
Friedrichstraße kutschieren, nicht weiterverfolgen. Das Verwaltungsgericht | |
habe im Frühjahr klargemacht, dass für ein solches Verbot eine Gefährdung | |
von FußgängerInnen nachzuweisen sei. | |
„Das ist uns mit dem Verweis auf die Situation vor Ort und Ereignissen in | |
anderen Städten nicht ausreichend gelungen und wird uns nach bisheriger | |
‚Gefährdungslage‘ auch nicht gelingen“, ließ von Dassel mitteilen. Eine | |
Revision vor dem Oberverwaltungsgericht wäre zwar zulässig gewesen, doch | |
nach Auffassung des Bezirksamts offenbar auch aussichtslos. | |
## Keine Unfälle mit Kutschen | |
Tatsächlich gibt die polizeiliche Unfallstatistik ein Verbot kaum her: Laut | |
einer Antwort der Justizverwaltung auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten | |
Stefan Taschner gab es im vergangenen Jahr keinen Unfall, an dem eine | |
Kutsche beteiligt war. 2016 sah es genauso aus. | |
Das Tierschutzgesetz wiederum verbietet Fuhrbetriebe nicht – vielmehr gibt | |
es laut der Senatsverwaltung für Justiz eine Erlaubnispflicht mit Auflagen. | |
Letztere sind seit 2009 in den Berliner Leitlinien für | |
Pferdefuhrwerksbetriebe geregelt. Die legen zum Beispiel Pausenzeiten für | |
die Pferde fest, eine Tränkmöglichkeit am Standplatz, ein Mindestalter der | |
Pferde von fünf Jahren und bestimmte Ausbildungsstandards für die | |
FahrerInnen. Kutscherin Tony deutet auf das benachbarte Hotel Adlon und auf | |
einen Hydranten: „Da gibt’s Wasser. Und wenn es richtig heiß ist, fahren | |
wir ohnehin nicht in der Mittagshitze, dann fangen wir erst am frühen Abend | |
an.“ | |
An guten Tagen drehe sie bis zu sechs Runden mit dem Gespann, jede Fahrt | |
dauere zwischen einer halben und einer Stunde. Eine halbe Stunde | |
Kutschfahrt kostet 50 Euro, die volle Stunde 89 Euro pro Person. Zwei | |
Runden müssten es wenigstens sein, sagt sie: „Sonst habe ich nicht einmal | |
die Spritkosten für die Anfahrt raus.“ Nach sechs Stunden mache sie | |
Feierabend – die Leitlinien erlauben den Tieren einen Arbeitstag von | |
maximal neun Stunden. | |
Sechs „tierschutzrelevante Verstöße“ hat das Veterinäramt Mitte im | |
vergangenen Jahr registriert. Viermal seien die Pausenzeiten nicht | |
ausreichend dokumentiert worden, ein Fuhrunternehmen war ohne Erlaubnis | |
unterwegs, einmal wurden die Hufe eines Pferdes beanstandet. Eigentlich | |
sollen die KutscherInnen und ihre Pferde mindestens einmal im Monat | |
kontrolliert werden, in den Sommermonaten auch häufiger, sagt von Dassel. | |
So ganz scheint das allerdings nicht zu klappen: Zwischen Januar 2017 und | |
Mai 2018 fanden laut Statistik des Bezirksamts lediglich 13 Kontrollen | |
statt. In der Antwort auf die Grünen-Anfrage heißt es, eine Erhöhung der | |
Kontrollzahlen sei „abhängig von einem Stellenzuwachs im tierärztlichen | |
Bereich“. | |
Rot-Rot-Grün hatte 2016, vielleicht in einem Anflug von Nachwahleuphorie, | |
vielleicht auch in Unkenntnis der recht eindeutigen Rechtslage, ein | |
Kutschenverbot in der Innenstadt sogar als Ziel in den Koalitionsvertrag | |
geschrieben. 2018 wäre ein „Stellenzuwachs im tierärztlichen Bereich“ in | |
Mitte besser als nichts. | |
17 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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