# taz.de -- Gedenken in Moabit: Eine Hecke gegen das Vergessen | |
> Das Deportationsmahnmal an der Levetzowstraße soll nach unglücklichen | |
> Umgestaltungen seine Würde und Erinnerungsfunktion zurückerhalten. | |
Bild: Eine Liste des Schreckens – Teil der Gedenkstätte in der Levetzowstra�… | |
Moabit, Levetzowstraße: Noch brennt die Sonne auf die Gedenkstätte, die an | |
die Deportation tausender Berliner Jüdinnen und Juden erinnert, aber ein | |
Gewitter bahnt sich an. Besucher sind keine da, nur in Mann mit Gipsbein | |
döst auf der Rampe, die in die gusseiserne Nachbildung eines Güterwaggons | |
führt. Das Monstrum, in dem sich menschenähnliche Marmorfiguren drängen, | |
steht genau vor dem ehemaligen Eingang einer der größten Synagogen der | |
Stadt. Wo sich einst ein von vier Säulen getragener Portikus erhob, steht | |
eine hohe, leicht geneigte Tafel aus rostigem Stahl, in die eine Liste der | |
Menschentransporte gefräst ist. Das Licht fällt durch lapidare Zeilen wie | |
„4. März 1943, 1143 Juden nach Auschwitz“. | |
Die Synagoge mit mehr als 2.000 Sitzplätzen und angeschlossener | |
Religionsschule wurde in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 | |
nur leicht beschädigt und konnte bis 1941 weiter religiös genutzt werden. | |
Dann zwang die Gestapo die Jüdische Gemeinde, hier ein Sammellager für die | |
bevorstehenden Deportationen einzurichten. Von hier aus wurden die Menschen | |
erst über den Güterbahnhof Grunewald, dann über den Moabiter Güterbahnhof | |
nach Osten verschleppt. Nach Bombentreffern im Krieg wurde das Gebäude 1955 | |
abgerissen, das Grundstück blieb unbebaut und beherbergt seit langem | |
Sportflächen und einen Kinderspielplatz. | |
Theseus Bappert, einer der Landschaftsarchitekten, die das am 50. Jahrestag | |
der Pogroms 1988 eingeweihte Denkmal entwarfen, sagt, diese Nachnutzung | |
habe ihn und seine Kollegen nie gestört. Im Gegenteil: „Wir fanden es | |
richtig, dass hier Raum für die neue Generation war, die von den Verbrechen | |
der Vergangenheit weniger belastet ist. Aber es gehörte zum Konzept, dass | |
man das Gelände über das Mahnmal betreten muss.“ Die einstige Fassade der | |
Synagoge wurde durch die Anlage einer Baumhecke aus Hainbuchen | |
nachempfunden, die bis zur historischen Gebäudehöhe von 11 Metern | |
emporwachsen sollte. | |
Sollte – denn im Rahmen mehrerer Umgestaltungen des Spielplatzes in den | |
vergangenen Jahren wurden die 40 Bäume irgendwann einfach gefällt. Wann und | |
wie genau, das kann auch die heute zuständige grüne Bezirksstadträtin | |
Sabine Weißler nicht mehr genau rekonstruieren. Die Veränderungen, die auch | |
bedeuteten, dass der Zugang nicht mehr über das Mahnmal erfolgt (weil | |
direkt dahinter eine Boulder-Wand errichtet wurde), wurden aber „sicherlich | |
nicht vorgenommen, um die Gedenkstätte zu konterkarieren. Das war eher | |
Schusseligkeit.“ | |
Trotzdem: Im kommenden Jahr soll die Anlage für geplant 250.000 Euro im | |
ursprünglichen Sinne wiederhergestellt werden. Landschaftsarchitekt Bappert | |
wird drei Jahrzehnte später wieder dafür verantwortlich zeichnen. Sein | |
Plan: Die Kletterwand muss anderswo aufgestellt werden, an ihrer Stelle | |
entstünde ein „stiller Raum“, den man durchqueren muss. Die Hecke wird | |
wieder neu gepflanzt und muss eben 25 verlorene Jahre Wachstum nachholen. | |
Diese Maßnahmen sollen dem Ort seine volle Würde wiedergeben. „Man sieht ja | |
heute, dass lange Zeit Undenkbares wieder politisch möglich ist“, so | |
Bappert, „und wir wollen alles uns Mögliche dafür tun, dass die | |
industrielle Vernichtung von Menschen nicht in Vergessenheit gerät.“ | |
## Eine Hecke auf Stämmen | |
Weil das Ordnungsamt, aber auch Eltern spielender Kinder ein Interesse | |
daran haben, dass das Gelände von außen einsehbar ist, soll das dichte Laub | |
der Hainbuchen künftig erst ein bis zwei Meter über dem Boden wachsen | |
dürfen. Solche Hecken, die quasi auf Stämmen stehen, waren Bappert in | |
Versailles aufgefallen, er hält sie für einen vertretbaren Kompromiss | |
zwischen der Aussagekraft des Kunstwerks und dem gewachsenen Bedürfnis nach | |
Sicherheit. | |
Billig wird die Pflege einer solchen Monumentalhecke nicht, aber Sabine | |
Weißler will sowieso „in den Verhandlungen um den nächsten Doppelhaushalt | |
noch ein bisschen überzeugender werden“, damit der Bezirk Mitte mehr Geld | |
für seine Grünflächenpflege bekommt. Die von Moabiter Bürgerinitiativen | |
geforderte Markierung des „Deportations-Netzwerks“, also der Wege, die vom | |
Sammellager in der Levetzowstraße mitten durch die Stadt auf die Rampen der | |
Güterbahnhöfe führten, sei ebenfalls wünschenswert, müsse aber vom Land | |
finanziert und umgesetzt werden. | |
Kurios und wohl das Ergebnis mangelnder Kommunikation ist es, dass sowohl | |
Bürgerinitiativen als auch die Stadträtin zu Informationsveranstaltungen | |
mit den Landschaftsarchitekten einladen, beide ins Rathaus Tiergarten: | |
[1][Die der BIs findet morgen (1.6.) um 17 Uhr], die des Bezirksamt am 7.6. | |
um 17.30 Uhr statt. | |
30 May 2018 | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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