# taz.de -- Die Wahrheit: Wie bei Mutterkuchen | |
> Wenn das Muttertier wegen einer Frauensache im Krankenhaus liegt und dort | |
> auf eine Kräuterhexe trifft, hilft nur eine Lage Bier. | |
Als meine Mutter einst wegen so einer Frauensache für ein paar Tage im | |
Krankenhaus lag, litt sie unter ernsten Schlafstörungen. Ihr Mann fehlte, | |
vor allem aber ließ die Bettnachbarin ihr keine Ruhe. „Das ist so ’ne | |
gaaanz Grüne“, stöhnte sie. „Globuli, das dritte Auge und solcher | |
Hokuspokus, den ganzen Tag, aber schnarchen kann sie wie ein Waldschrat.“ | |
Sie bat mich mit gesenkter Stimme, ein Bier mitzubringen, auch der Arzt | |
habe ihr dazu geraten. Das glaubte ich zwar nicht, aber Sohnesliebe stellt | |
keine blöden Fragen. Also machte ich tags darauf einen kleinen Abstecher | |
zum Getränkedealer meines Vertrauens und schlenderte mit zwei Trägern Astra | |
unterm Arm an diversen Kittelträgern vorbei, die mir zwar bedeutungsvolle | |
Blicke zuwarfen, aber nichts einzuwenden hatten. | |
„Du bist unmöglich“, sagte sie kopfschüttelnd, als ich die Batterien in | |
ihrem Wandschrank verstaute. „Zwei hätten doch gereicht!“ Aber die | |
besondere, auch nach gekappter Nabelschnur intakte Verbindung zwischen | |
Mutter und Sohn ließ mich erahnen, dass sie sich über meine Fürsorglichkeit | |
freute. Der Schrankinhalt gab ihr eine gewisse Sicherheit. | |
„Die Kräuterhexe da“, sie zeigte auf das leere Bett gegenüber, „wird je… | |
langsam niedlich. Nächste Woche ist es wohl soweit, sie besteht darauf, den | |
Mutterkuchen mit nach Hause zu nehmen. Sie will ihn im Garten vergraben.“ | |
Ihr Zeigefinger drehte jetzt ein paar Schrauben an der Schläfe und dabei | |
flötete sie genau einmal. Das familieninterne Signal für Vollmalle. „Was | |
glaubt die wohl? Dass davon die Rabatten besser blühen?“ Dann lächelte sie | |
behaglich. „Mach ruhig schon mal eins auf!“ | |
An all das erinnerte ich mich wieder, als uns kürzlich eine schwangere | |
Freundin aus Berlin besuchte. „Gott bin ich froh, mal wieder ein paar tumbe | |
Provinzler zu sehen, die keine Ahnung haben, was in der Welt abgeht“, sagte | |
sie düster. Wir bedankten uns recht herzlich und wollten wissen, woran es | |
denn gebreche. | |
„Die Hauptstadt versinkt im anthroposophischen Urschlamm“, wetterte sie | |
los. „Mutterschaft schön und gut, aber muss ich dabei auch noch Schamanin | |
werden?“ Jüngst beim Hechelkurs habe die Hebamme gefragt, was sie denn mit | |
der Plazenta zu tun gedächte. „Ich so: ‚Niiiichts?!‘ Da hättet ihr die | |
anderen aber mal sehen sollen. Die wurden richtig sauer. Die Nachgeburt ist | |
doch der Zwilling, der Baum des Lebens und was nicht alles, den kann man | |
doch nicht einfach so umkommen lassen!“ Man schlug ihr also vor, das | |
Gekröse hinterm Ofen zu trocknen, fein zu häckseln, in den Joghurt zu | |
rühren – und dann bye-bye, Baby Blues! Fast schon pragmatisch sei dagegen | |
der Vorschlag der Hebamme gewesen. „Ich soll mir aus dem Dingens einen | |
Stempel schnitzen für die Babypost. Herrje, scheiß doch auf die Babypost.“ | |
Mitleidsvoll öffnete ich ihr ein Bier. Sie überlegte tatsächlich einen | |
Moment, bevor sie die Augen verdrehte und es mir zurückschob. Ich musste | |
also mal wieder für zwei trinken. | |
12 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
## TAGS | |
Schwangerschaft | |
Bier | |
Heavy Metal | |
Eintracht Braunschweig | |
Alkohol | |
Niedersachsen | |
Bordell | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Schnarchologe mit Traumtourette | |
Heißa! Ein Wochenende im „beige geklinkerten | |
Siebziger-Jahre-Touri-Pandämonium“ könnte so schön sein, wäre da nicht … | |
Die Wahrheit: Wiedersehen in Block 5 | |
Die Fans von Eintracht Braunschweig sind leidgeprüfte Wesen. Aber sie | |
kehren immer zurück an den Ort, wo die Bratwürste auf dem Platz unterwegs | |
sind. | |
Die Wahrheit: Zweibiertrinker und Sitzenbleiber | |
Konsumenten alkoholischer Getränke teilen sich im Wesentlichen in zwei | |
Gruppen auf, die allerdings wenig miteinander anfangen können. | |
Die Wahrheit: Integration im Stinkstiefelland | |
Ein Schwarzer auf einem Fahrrad fühlt sich von einem Auto verfolgt. | |
Schließlich kreuzen sich die Wege erneut, der Verfolger setzt ein irres | |
Grinsen auf … | |
Die Wahrheit: Drei Atü auf der Nille | |
Gunther ist der wahrscheinlich coolste Ticketverkäufer der Welt. Er hat | |
schon alles gesehen und gehört – bis dieser dringende Notruf kam … |