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# taz.de -- Streit um Bremer Bamf-Außenstelle: Ulrike B. verdient Auszeichnung…
> Die deutsche Asylpolitik ist für Tausende von ertrunkenen Flüchtlingen
> mitverantwortlich. Was ist falsch daran, sich dieser Politik nicht zu
> unterwerfen?
Bild: Allein im Jahr 2017 sind mindestens 3.000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertr…
Regierungsrätin Josefa Schmid ist sehr unglücklich mit der aktuellen
Situation. Sie war doch gekommen, um aufzuräumen. Und dann, als sie drei
Monate nach ihrer Berufung zur neuen Leiterin der Bamf-Außenstelle Bremen
einen 99-seitigen Bericht über die dortigen „Unregelmäßigkeiten im
Asylverfahren“ vorlegte, wurde sie plötzlich mundtot gemacht. Versetzt, in
ein bayerisches Städtchen namens Deggendorf – der angebliche Skandal wurde
den Verantwortlichen offenbar zu heikel. Deggendorf ist auch bekannt als
„Das Tor zum Bayerischen Wald“. Nun ja.
Der Hauptvorwurf an die Bamf-Außenstelle Bremen lautet folgendermaßen:
Zwischen 2013 und 2016 sollen Mitarbeiter dort mindestens 1.200 Menschen
ohne ausreichende rechtliche Grundlage Asyl gewährt haben. Potzblitz! Gegen
die ehemalige Chefin Ulrike B. wird inzwischen wegen des Verdachts
bandenmäßiger Verleitung zu missbräuchlicher Asylantragstellung ermittelt.
Sounds german. Angeblich sei auch Geld geflossen. Josefa Schmid verdächtigt
sogar gleich das ganze Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Es bestehe
„der Verdacht, dass auch die Zentrale selbst in die Angelegenheit
verstrickt sein könnte“. Ein deutsches Ministerium als heimlicher
Fluchthelfer? Eine Ungeheuerlichkeit in den Augen vieler.
So weit, so rechtsstaatlich. Bleibt die Frage: Warum ist Ulrike B. nicht
längst für diverse Menschrechtspreise nominiert? Oder wenigstens für das
Bundesverdienstkreuz? Es gibt doch auch bestimmt noch jede Menge
zweifelhafte Straßennamen, die man nach ihr umbenennen könnte.
Denn was ist falsch daran, in einem System, welches ganz aktiv
mitverantwortlich für mindestens 3.000 ertrunkene Flüchtlinge allein im
Jahr 2017 ist, etwas an den Rädchen zu drehen?
Ist es nicht sogar die Pflicht eines jeden Humanisten, Menschen zur
Freiheit zu verhelfen? Oder wie es John Milton, englischer Dichter und
Staatsbediensteter, ausdrückte: „Nur gute Menschen können die Freiheit
wahrhaft lieben; die anderen lieben nicht die Freiheit, sondern die
amtliche Genehmigung.“
Noch die Generation meines Vaters hat in der Schule gelernt, dass der
Nationalsozialismus und seine Verbrechen vor allem auch durch die deutsche
Bürokratie und seine Schreibtischtäter möglich waren. „Wenn Unrecht zu
Recht wird, wird Widerstand zu Pflicht“, sagte wohl einst Bertolt Brecht,
ohne zu ahnen, dass sein Satz absurderweise zum Leitspruch der
Pegida-Lemminge werden würde. Hatten wir das nicht schon mal?
Die Singularität des Holocaust ist selbstverständlich nicht in Frage zu
stellen. Aber waren es nicht Bürokratie und Gehorsam, die mit dafür
sorgten, dass die Züge pünktlich abfuhren und die Verbrechen an der
Menschheit so reibungslos abliefen?
Der Philosoph Henry David Thoreau schrieb einst „Über die Pflicht zum
Ungehorsam gegen den Staat“. Gandhi verteilte das Werk wie ein Lehrbuch
unter seinen Anhängern. Und der Schriftsteller Walter E. Richartz
konstatierte „Thoreau macht deutlich: Gewaltloser Widerstand, das heißt
nicht einfach Protest gegen staatliche Willkür. Es heißt: Umlenkung der
Staatsgewalt gegen den Staat selbst; es heißt: Anwendung des Judo-Prinzips
in der Politik.“
Josefa Schmidt sieht das natürlich ganz anders. Noch am 30. März schickte
sie laut eigener Aussage eine SMS an Horst Seehofer, ihren obersten
Dienstherrn. Kolportierter Inhalt: Sie müsse sofort mit Seehofer reden „um
gewaltigen Schaden für das ganze Land abzuwenden“.
Doch der Schaden für dieses Land entsteht sicher nicht durch knapp über
Tausend gerettete Leben. Der Schaden für uns und die nachfolgenden
Generationen entsteht durch die Weigerung, das Leid anderer zu sehen und
etwas dagegen zu tun.
24 May 2018
## AUTOREN
Juri Sternburg
## TAGS
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Horst Seehofer
Humanismus
Bremen
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
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