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# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Aus der Wohnung vertrieben
> Die Flugzeuge des Hamburger Flughafens fliegen im Zwei- bis
> Dreiminutentakt tief über meinem Haus. Man wird wirklich verrückt. Ich
> hätte gerne einen Schuldigen.
Bild: Landeanflug auf den Hamburger Flughafen: Die Anwohner*innen sind unmittel…
Ich weiß nicht, wie ich irgendjemandem, der nicht da wohnt, wo ich wohne,
erklären soll, wie es ist. Ich sitze gerade in der Nähe des Hamburger
Hauptbahnhofes, und hier kann ich nichts davon merken. Letztens war jemand
bei mir zu Besuch, der sagte: Wie hältst du das eigentlich aus? Meine
Freundin, die nicht weit von mir wohnt, die sagt, sie hält es nicht mehr
aus. Meine Nachbarn, die halten es nicht mehr aus.
Flugzeuge fliegen tief über meinem Haus, im Zwei- bis Dreiminutentakt. Sie
fliegen von sehr früh bis sehr spät nachts. Sie fliegen nach 23 Uhr,
natürlich. Ich wohne nicht am Flughafen, ich wohne in Hamburg Eilbek. Ich
verlasse jetzt täglich meine Wohnung zum Arbeiten. Ich kann zu Hause nicht
mehr sein, in diesem ohrenbetäubenden Lärm, ich kann nicht arbeiten und
nicht schlafen, solange sie fliegen, solange diese riesigen Dinger tief
über meinem Haus fliegen.
Ich kann das Fenster schließen, aber ich wohne in einer Dachgeschosswohnung
und es ist sehr heiß. Wenn ich trotzdem die Fenster schließe, dann ist es
nur wenig leiser. Denn die Flugzeuge sind so laut, dass man sich keinen
Film ansehen kann, man muss ein Gespräch unterbrechen, man versteht sein
eigenes Wort nicht mehr. Man wird wirklich verrückt.
Wie können die uns das antun?, denke ich. Ich fliege nicht, aus
ökologischen Gründen, ich habe mir kein günstiges Grundstück am Flughafen
gekauft, wie es in vielen hämischen Kommentaren heißt. Ihr habt euch doch
diese günstigen Grundstücke gekauft, heißt es dann, ihr habt euch das doch
so ausgesucht.
Selber schuld, das ist sowieso der Tenor der meisten Kommentare zu den
meisten Themen. Ich bin vielleicht auch selber schuld, irgendwie. Ich weiß
es nur nicht. Ich hätte aber gerne einen Schuldigen. Einen, den ich
verantwortlich machen könnte. Einen, den ich beschimpfen könnte.
Seid ihr es, die in diese Flieger steigt, die schuld sind? Seid ihr es, die
für fünfzig Euro in den Urlaub fliegt? Seid ihr schuld? Oder sind die
Flughafenbetreiber schuld? Die Fluglinienbetreiber? Seid ihr stolz, auf
diesen innerstädtischen Flughafen? Wollt ihr mal eine Woche in meiner
Wohnung wohnen? Wollt ihr mal sehen, wie Menschen sich fühlen, die
dreiminütig überflogen werden, im Landeanflug? Mein einziger Trost ist,
dass es wieder enden soll.
Nur aufgrund einer Landebahnerneuerung werden die innerstädtischen Bereiche
überflogen, ausnahmsweise, so heißt es jedenfalls, ich habe mich erkundigt.
Von den letzten Jahren her weiß ich, dass es demnächst aber wieder,
ausnahmsweise, so sein wird.
Insbesondere im Sommer, wenn sie alle fliegen, dann wird es, ausnahmsweise,
so sein. Im August wird geflogen und geflogen, alle fliegen sie im August
jede Sekunde irgendwohin.
## Es wird viel mehr geflogen als vor zehn Jahren
Als ich vor zehn Jahren in meine Wohnung zog, war das Problem nicht da. Ich
kann mich nicht erinnern. Es wird einfach jetzt viel mehr geflogen. Die
Leute fliegen und fliegen und sie fliegen alle über mein Haus. Ich weiß
natürlich, dass es anderen noch schlimmer geht. Aber soll mich das trösten?
Was ist das denn für ein Leben, verdammt noch mal?
Und da wollen sie dann irgendwas machen. Irgendeine Maßnahme, damit sie
sagen können, sie haben sich gekümmert. Sie wollen Fluglinien, die ihre
Flugzeuge zu spät starten oder landen lassen eine Strafe aufbrummen.
Fünfhundert Euro an die Umweltbehörde sollen sie zahlen. Fünfhundert Euro!
Die Fluglinien werden zittern. Ich weiß, dass die Strafen vorher noch
lächerlicher waren, aber fünfhundert Euro? Ehrlich jetzt?
Von Januar bis April soll es 45 Starts und 215 Landungen nach 23 Uhr
gegeben haben. Eigentlich sind diese Starts und Landungen verboten gewesen.
Aber dieses Verbot hat keinen Wert, oder jetzt hat es einen Wert von
fünfhundert Euro. Es kostet fünfhundert Euro, dieses Nachtflugverbot außer
Kraft zu setzen.
Ich hoffe, dass es wieder aufhört. Ich hoffe, dass dieser Sommer weniger
schlimm wird als der letzte und dass ich nicht den Verstand verliere.
7 Jun 2018
## AUTOREN
Katrin Seddig
## TAGS
Fluglärm
Flugverkehr
Digital Natives
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Luftverkehr
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