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# taz.de -- Courtney Barnetts neues Album: Große Kunst aus gebrochenen Herzen
> Courtney Barnett haut mit „Tell Me How You Really Feel“ ein neues Album
> raus. Es bricht Innerlichkeit mit punkigem Gebratze.
Bild: Kontrastreiches Künstlerleben: Courtney Barnett
Courtney Barnett bringt mich immer zum Lachen. Der Grund ist nicht mal
lustig, es geht um eine unschöne Begebenheit aus dem Leben der Künstlerin:
Die bekennende Hypochonderin erlitt bei der Gartenarbeit einen
anaphylaktischen Schock und fand sich im Notarztwagen wieder.
Dankenswerterweise genießt [1][„Avant Gardener“], jener Hit der 30-jährig…
Australierin, in dem sie die Episode erzählt, beim Sender Radio 1
Powerplay-Status. Und tatsächlich funktioniert der trocken-verschrobene
Humor jedes Mal aufs Neue. Auch die schnodderige Moral von der Geschicht’ –
„Should’ve stayed in bed today“ – kommt mir bekannt vor. Zu finden ist …
Song auf Barnetts Debütalbum „Sometimes I Sit and Think and Sometimes I
Just Sit“ (2015).
Ganz so pointiert wie in ihren Songtexten wirkt Barnett im Interview nicht.
Anlass dafür ist die Veröffentlichung ihres neuen Soloalbums, „Tell Me How
You Really Feel“. Sowohl Nonchalance als auch Zuspitzung hebt sie sich
offenbar für ihre Texte auf. Barnett wirkt professionell freundlich und ein
bisschen spröde. Oder ist es am Ende gar nicht kokett, dass ein Song des
neuen Albums „Crippling Self Doubt and a General Lack of Confidence“ heißt?
In ihren Texten wirkt Barnett smart, ohne bemüht intellektuell
daherzukommen; selbstreflexiv, ohne der gerade in ihrem Genre verbreiteten
Neigung zur jammervollen Innerlichkeit nachzugeben.
## Bittersüß, aber nie klebrig
Ihre Alltagsbeschreibungen klingen bittersüß, ohne dass es klebrig wird,
ohne dass sie allzu gerührt von sich und der Welt zu sein scheint. Mit
ihrer eigensinnigen, ernsthaften, zugleich Distanz nehmenden Art verdichtet
sie Alltagsbeobachtungen unaufgeregt, aber treffsicher. Sie besitzt also
Qualitäten, die momentan selten sind im Popbiz. Beim Gespräch mit der taz
relativiert sie ihre Antworten schon, bevor sie fertig gesprochen sind –
was damit zu tun hat, dass sie auf „Tell Me How You Really Feel“, anders
als auf dem Vorgänger, kaum emotionale Distanz zu sich selbst einnimmt.
Barnetts punkiger, bisweilen melancholischer, öfter aber grungiger Sound
ist dem ihres Debüts ähnlich. Doch diesmal packt sie ihre Beobachtungen
nicht in Anekdoten, sondern legt ihr Innenleben offen – entsprechend der
Aufforderung „Tell Me How You Really Feel“. Auch diesmal gelingt es
Courtney Barnett, einen Schritt zurückzutreten: Lieber beschreibt sie den
Kontext ihrer Frustrationen, als dass sie in Selbstmitleid badet.
Bevor sie sich ans Komponieren machte, hatte Courtney Barnett eine
Schreibblockade zu überwinden. Währenddessen sei ihr klar geworden, dass
sie bisweilen traurig ist. Und oft wütend. „Nichts Neues“ erklärt sie. �…
fühle ich, seit ich denken kann. Früher habe ich mich deswegen mies
gefühlt. Aber jetzt ist mir endlich klar, was genau mich wütend macht.“ In
dem neuen Werk scheint sie sich des Unbehagens anzunehmen und auf die
kathartische Kraft von Kunst zu setzen. Schon im Eröffnungssong
„Hopefullessness “ heißt es: „Take your broken heart / Turn it into art�…
## Wirkungsmacht von Geschlechterrollen
Und doch scheint sie selbst überrascht davon, wie unvermittelt sich ihr
Blick auf die Welt manifestiert hat. „Was an Gefühlen in den Songs steckt,
wird mir erst im Rückblick langsam klar.“ Im genervt punkigen „I’m Not Y…
Mother, I’m Not Your Bitch“ geht es etwa um die Wirkungsmacht von
Geschlechterrollen. Aber auch um die Nadelstiche des Alltags, wie sie ihr
in Gestalt von Internettrollen begegnen. Ein solcher half Barnett sogar
beim Texten. Der anonyme Onlinekommentator fühlte sich bemüßigt, ihren
Lyrics Bedeutungslosigkeit zu attestieren: „I could eat a bowl of alphabet
soup / And spit out better words than you“, frotzelte er. Kurzum baute sie
die Beleidigung in den Song „Nameless, Faceless“ ein und versah sie mit
einem bissigen Kommentar. Ließe sich doch jede Übergriffigkeit so schön
drehen!
Nachvollziehbar ist, dass es Barnett bei den großen Themen offenbar
schwerer fällt, Contenance zu bewahren. Noch im selben Song greift sie ein
Zitat der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood auf –„Men are afraid
that women will laugh at them / Women are afraid that men will kill them“
– und verbindet es mit der Forderung, dass auch sie nachts allein sicher
durch den Park gehen kann. Das Ganze kommt als Mitsing-Powerpop mit feistem
Gitarrengebratze daher. Was Barnett beim Songwriting anstrebt, ist die
Spannung zwischen Form und Inhalt. „Reibung macht einen Song für mich viel
interessanter“, erklärt sie.
Upbeat wirkt auch das melancholische „City Looks Pretty“, in dem Courtney
Barnett reflektiert, was sich durch ihren Erfolg verändert hat. Ihr eigener
Ruhm als Projektionsfläche für alles Mögliche bereitet der Künstlerin
Stress und ist einer der Gründe, warum sie nun expressiver und offensiver
auftritt und ihre selbstironische Beobachterhaltung verlässt. Im Interview
zuckt sie nur mit den Schultern. „Friends treat you like a stranger and /
Strangers treat you like their best friend, oh well“ zeigt eine Welt, die
auf dem Kopf steht.
## Doch kein Tennis
Aufgewachsen ist Barnett in einem Künstlerhaushalt. Als Jugendliche wollte
sie Tennisprofi werden, bis sie die Musik für sich entdeckte. Sie sammelte
Erfahrungen in diversen Bands, erste Aufmerksamkeit gab es für ihre
Solo-Doppel-EP „A Sea of Split Peas“ (2013). Es folgte das erfolgreiche
Debütalbum. Letztes Jahr veröffentlichte sie mit KurtVile,
US-Singer-Songwriter und Gründungsmitglied der Band The War on Drugs, das
niedlich-schluffige Duo-Album [2][„Lotta Sea Lice“.] Heute lebt Barnett mit
ihrer Lebensgefährtin Jen Cloher in Melbourne. Cloher ist ebenfalls
Musikerin, Barnett spielt auch Gitarre in ihrer Band.
Songs komponiert sie seit der Jugend. Auf dem neuen Album sind mit „Help
Yourself“ und „Sunday Roast“ gleich zwei, die Barnett bereits als
Teenagerin angefangen hat. „Manchmal liegt ein Stück unfertig in der
Schublade; bis ich mich wieder dransetze, vergehen Jahre. Mit den Texten
bin ich allerdings immer da, wo ich gerade stehe.“
Wo Barnett aktuell steht, hat für die Hörer nicht den Unterhaltungswert und
Charme des Debüts. Trotzdem hört man dieser Nabelschau, die „Tell Me How
You Really Feel“ geworden ist, gern zu. Schließlich ist es vor allem eine
kurzweilige und eingängig klingende Einladung, die eigene Wut
abzuschütteln. Ihrem eigenwilligen Sprechgesang, der klingt, als falle ihr
erst mitten im Satz ein, dass sie singen wollte, hört man sowieso gern zu.
Und vielleicht legt Barnett nächstes Mal den Fokus wieder stärker auf die
Außenwelt.
18 May 2018
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=bcnIhzaDTd0
[2] https://www.youtube.com/watch?v=3KNsBCf34fQ
## AUTOREN
Stephanie Grimm
## TAGS
Melbourne
Australien
Indierock
Neues Album
Popmusik
Schweden
Folk
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