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# taz.de -- Die Wahrheit: Nach Lust und Laune löschen
> Franken in Aufruhr: Das brandneue Bayerische Feuerwehrgesetz hat
> dramatische Folgen für die Region.
Bild: Wo Rauch ist, ist auch Fachwerk
Hilde Kleinschmitt* steht weinend vor den Trümmern ihres
Einfamilienhäuschens im gut situierten Nürnberger Norden. Sämtliche
Fensterscheiben sind zerborsten, in den Räumen stehen einen halben Meter
hoch Wasser und Löschschaum. Die Einrichtung ist komplett ruiniert:
Teppiche, Möbel, Bücher, Unterhaltungselektronik. Während die meisten der
Feuerwehrleute auf dem Bürgersteig schon wieder die Schläuche einrollen,
zerlegen drei Kollegen mit Spitzhacken die letzten intakten Reste des
Eichenparketts, um mögliche Brandnester zu beseitigen.
„Sie sind einfach am helllichten Tag vorbeigekommen“, schluchzt die
52-jährige Bibliothekarshelferin. „Ohne jeden Anlass und ohne Vorwarnung.
Ich konnte mich gerade noch aus der Küche, wo ich mir einen Tee zubereitet
habe, ins Freie retten. Dann ging das Gebrüll schon los: ‚Wasser Marsch!‘�…
Bei dem vergeblichen Versuch, ihren prächtigen Rhododendron zu retten, wird
die zierliche Frau von den Angehörigen der Nürnberger Berufsfeuerwehr durch
den halben Garten mitgeschleift, bis sie zitternd und heulend auf dem Rasen
liegenbleibt. Auch der muss noch weg wie überhaupt alle Pflanzen, die einem
eventuellen Feuer Nahrung und Versteck bieten könnten. Man kann ja nie
wissen: Vielleicht brennt es beim nächsten Mal wirklich.
## Weinbrandmeister Huber
„Viele Bürger zeigen leider noch keinerlei Einsicht in den Sinn und Nutzen
unseres brandneuen Bayerischen Feuerwehrgesetzes.“ In der Stimme von
Oberbrandmeister Huber schwingt Unverständnis, ja Verletztheit mit, ehe er
sich rasch wieder fängt und in sachlichem Ton erläutert: „Im Grunde könnte
jederzeit und überall ein verheerender Brand ausbrechen. Wir sind froh,
dass dem in der neuen Verordnung Rechnung getragen wird, und wir dadurch
nun auch vorbeugend tätig werden können.“
Früher, so der wackere Brandschützer weiter, habe man oft stundenlang
untätig in der Wache gesessen, das alte Gerät sei eingerostet, das neue
nicht ausreichend erprobt worden. Und kam im Ernstfall dann doch meist zu
spät, denn alles brannte ja schon. Jetzt aber könne man „nach Lust, Laune
und Bedarf“ (so der Wortlaut des Gesetzes zur provisorischen
Gefahrenabwehr, Paragraf 17.2.1) ausrücken.
Auch die Polizei beginnt nun, die Absperrungen zu beseitigen und
Schaulustige mit Gummigeschossen zu vergrämen. Einige unter 40-Jährige
werden dabei in Schutzhaft genommen – schließlich verbietet ihnen das neue
Bayerische Jugendschutzgesetz nach 16 Uhr den unbegleiteten Aufenthalt
außer Haus. Ein Beamter wirft vorsorglich noch zwei Handgranaten durch die
gähnenden Fensterhöhlen ins Wohnzimmer, damit Frau Kleinschmitts Katzen
nicht mehr länger gegen das quälende Ertrinken ankämpfen müssen.
## Polizei gibt Gesetz auf
Die Polizei, dein Freund und Helfer – im Freistaat ist das spätestens seit
der Verabschiedung des neuen Polizeiaufgabengesetzes endlich keine leere
Floskel mehr. Amtshilfe ist ihnen kein Fremdwort – das zeigt sich auch bei
der gewissenhaften Durchsetzung des neuen Bayerischen Tierschutzgesetzes.
Doch was geschieht nun mit der wohnungslos gewordenen Mieterin? Für sie ist
bestens gesorgt, denn hier greift zu ihrem Glück das neue Bayerische
Psychiatriegesetz. Renitenz gehört neben dem Beharren auf Grund- und
Menschenrechten sowie dem Genuss von alkoholfreiem Bier zu jenen
psychischen Erkrankungen, die zwischen Aschaffenburg und Berchtesgaden
neuerdings mit lebenslänglicher Sicherungsverwahrung, Sterilisierung sowie
täglichen Elektroschocks therapiert werden dürfen. Ein Beschluss ist
unnötig – zwischen die Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung und die
Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit passt kein störendes Blatt
Papier.
Schon bald wird Hilde Häusler (so heißt die Patientin wirklich; dank sei
dem neuen Bayerischen Pressegesetz zur Offenlegung der Namen von
potenziellen, mutmaßlichen und halbwahrscheinlichen Irren und Straftätern!)
sich kaum mehr an natürliches Tageslicht erinnern, geschweige denn sich
dieses ohne Gitterstäbe vorstellen können. Widerstand, Behinderung,
Landfriedensbruch, Körperverletzung, schwere Brandstiftung, dazu
offensichtlich eine üble Psychose. Was für ein Segen, dass man in Bayern
den Bürger endlich wieder wirksam vor der größten Bedrohung schützt, die es
gibt: vor sich selbst.
* Name von der Redaktion geändert
28 May 2018
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Polizei
Feuerwehr
Freistaat Bayern
#MeTwo
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Der Zuckerberg
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